Für die Busbeschleunigung baut Hamburg viele große Straßen um. Eine Belastung für Autofahrer, Anwohner und Geschäftsleute. Das Abendblatt sprach mit Betroffenen, Behörden und Planern.

Hamburg. Die 22 steckt fest. Der Bus nach Blankenese hat vor ein paar Sekunden die Haltestelle Frickestraße verlassen, dort, wo es auf der Osterfeldstraße herausgeht aus Eppendorf und hinein nach Lokstedt. Das Problem: Auf der Strecke liegt der teilweise gesperrte Siemersplatz, ein Nadelöhr. Eingekeilt steht die 22 nun in einer Kette von Autos, deren Motoren im Stillstand vor sich hin tuckern. Man kennt das hier inzwischen. Die Bremslichter-Paraden. Die Absperrgitter-Korridore. Hin und wieder schert jemand entnervt aus dem Stau aus und rauscht mit seinem Wagen in eine Nebenstraße. Fast jeden Morgen geht das so. Seit vier Monaten.

Die Baustelle

In ihrer Entstehung ist die Busbeschleunigung eine frustrierende Verkehrsentschleunigung. Die Behinderungen durch Straßenumbauten – ob an der Stresemannstraße, der Grindelallee, der Hoheluftchaussee oder am Siemersplatz – sorgen bei Verkehrsteilnehmern für blanke Nerven. Und bei ansässigen Geschäftsleuten für Existenzängste. Einen Albtraum nennt Ingrid Rix, Inhaberin des gleichnamigen Hörgeräte-Geschäfts am Siemersplatz, die Baustelle vor ihrer Ladentür.

Sie hat das nicht einfach so dahingesagt, sie hat es niedergeschrieben. In einem Brief an Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) und den Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). In diesem Brief berichtet sie von gefährlichen Fußgängerübergängen, unerreichbaren Parkplätzen, Kundenschwund. Die Zustände seien „für uns Selbstständige ruinös“.

Geschäftsleute vor Ort berichten dem Abendblatt, sie hätten bis zu 70 Prozent ihres Umsatzes eingebüßt. Nicht alle haben das verkraftet. Während sich draußen die Baggerschaufeln durchs Erdreich wühlen, gab Inhaber Thorsten Henck sein Feinkostgeschäft Behrmann, das er 16 Jahre lang am Siemersplatz geführt hatte, entnervt auf.

Der benachbarte Friseurladen von Ute Sörensen hat noch geöffnet. Noch kommen Sörensens Stammkunden, die meisten zumindest. „Wir haben ein paar ältere Kundinnen jenseits der 90, die früher wöchentlich hier waren. Wegen der Baustelle kommen sie jetzt nicht mehr. Auch Spontankunden vermissen wir schmerzlich.“

Die Inhaberin ist vor allem von der mangelnden Information der Verwaltung enttäuscht. Nur einen Zettel vor Baubeginn habe sie im Briefkasten gefunden. Von der Vollsperrung, die an den beiden finalen Wochenenden der Bauarbeiten, vom 11. bis 13. und vom 18. bis 20. Oktober, am Siemersplatz eingerichtet wurde, hatte die Inhaberin erst von ihren Nachbarn erfahren.

So richtig zur Kenntnis nimmt die Verwaltung die Sorgen der Anrainer bis heute nicht. Helga Krstanoski, Sprecherin der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, sagt: „Am Siemersplatz hat es keine gravierenden Verkehrsprobleme während der Bauarbeiten gegeben.“ Ingrid Rix kann diese Aussage nicht verstehen: „Ich erlebe hier täglich gravierende Verkehrsprobleme. Es ist nicht zu glauben, dass die Stadt die Situation bis heute ignoriert. Es wird nach wie vor alles verharmlost.“

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Die Kosten

Die Baustelle am Siemersplatz – sie ist bisher eines der prägenden Bilder des Projekts Busbeschleunigung. Es ist ein negatives und unvollständiges Bild, denn bisher sieht Hamburg vor allem, was die Busbeschleunigung kostet: Kunden, Umsatz, Nerven. Und die Steuerzahler viel Geld: Fast 260 Millionen Euro investiert die Stadt bis zum Jahr 2020. Wofür das alles? Für ein paar Minuten Zeitersparnis beim Busfahren?

Michael Heidrich, 51, ist seit 22 Jahren Verkehrsplaner bei der Hamburger Hochbahn AG. Und er kennt diese Fragen. Natürlich geht es bei der Busbeschleunigung nicht nur um schnellere Fahrten in die City. Es geht auch nur am Rande um die 1300 Tonnen CO2-Einsparung durch Menschen, die vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Und um mehr Barrierefreiheit an den Haltestellen.

Heidrich kann das Zwingende an der Busbeschleunigung sehr einfach ausdrücken: „Die Busse füllen sich. Die Kapazitätsgrenzen werden erreicht. Die Fahrgastzahlen steigen jährlich um zwei bis drei Prozent. Da muss man etwas machen.“ Zwei bis drei Prozent im Jahr klingt nicht viel. Doch bei bisher 360 Millionen Fahrgästen pro Jahr, setzen sich damit sieben bis 11 Millionen mehr Menschen pro Jahr in die Busse. Auch immer mehr und immer längere Fahrzeuge reichen nicht mehr, wenn die Busse in Staus oder vor roten Ampeln stehen. Wenn sie lange Zeit gar nicht und dann drei Busse auf einmal an der Haltestelle ankommen.

„Pulkbildungen“ nennt das der Verkehrsplaner. Sie führen dazu, dass die Kapazität nicht ausgenutzt wird. Außerdem kommt es auf der Linie 5, der mit täglich 60.000 Fahrgästen meistgenutzten Buslinie Europas schon jetzt vor, dass Fahrgäste draußen bleiben müssen, weil die Busse überfüllt sind.

Heidrich: „Wenn die Busse gleichmäßig und zügiger fahren könnten, könnten wir mit der gleichen Anzahl an Fahrzeugen mehr Touren fahren.“ Das Ziel ist eine Kapazitätssteigerung um 30 Prozent. Neben größeren Fahrzeugen ist die Busbeschleunigung der entscheidende Faktor. Die Busbeschleunigung ist eigentlich eine Busfahrtenvermehrung. Das ist ihr Sinn.

Um die Busse künftig schneller durch die Stadt zu bringen, baut die Stadt neue, eigene Spuren für Busse, bevorzugt sie an Kreuzungen und Ampeln und ersetzt Busbuchten durch „Buskaps“ – Haltestellen direkt auf der Fahrbahn, die ein schnelleres Ein- und Aussteigen der Fahrgäste ermöglichen. Die Bus-Bevorzugung soll stadtweit kommen, allein in der ersten Ausbauphase bis 2016 sollen die Linien 2, 3, 5, 6, 7, 20 und 25 sowie die Linien 4 und 21 im Bereich des Eidelstedter Platzes davon profitieren, sie sollen möglichst nur noch an Haltestellen halten. Dafür greift die Stadt erheblich in den Straßenverkehr ein, bis 2016 sind allein 250 einzelne Baustellen geplant.

Die Stadtbahn: eine Alternative?

Die Busbeschleunigung ist eine verkehrspolitische Grundsatzentscheidung. Und nicht jeder ist von ihr überzeugt. Auch weil viele die politisch inzwischen für tot erklärte Stadtbahn immer noch für die bessere Alternative halten. Zu den schärfsten Kritikern der Busbeschleunigung gehört Till Steffen, Verkehrsexperte der Grünen-Bürgerschaftsfraktion. Er hält das Projekt für Geldverschwendung, die anvisierten 30Prozent Kapazitätssteigerung für illusorisch. Das hätten Expertenanhörungen im Verkehrsausschuss klar gezeigt: „Maximal 20 Prozent seien bei konsequenter Beschleunigung zu erreichen, wenn der Senat dem Bus die oberste Priorität auf der Straße einräumt. Mit dem vorliegenden Programm wird Hamburg noch nicht mal die möglichen 20 Prozent erreichen. Dafür ist es nicht konsequent genug“, sagt Steffen. Und dafür 260 Millionen Euro ausgeben? Für dieselbe Summe hätte man schon einen Großteil der einst geplanten Stadtbahn bauen können. „Die Streckenführung von Bramfeld bis Altona wäre für eine ähnliche Summe zu haben gewesen.“ Und: Die Stadtbahn wäre mit bis zu 50 Prozent vom Bund gefördert worden, sagt Christoph Ploß, CDU-Fachsprecher im Ausschuss für Umwelt, Verkehr und Verbraucherschutz. „Für die 260 Millionen für die Busbeschleunigung ist dagegen kein Cent an Förderung geflossen.“

Insgesamt würde die Stadtbahn immer noch „ein Vielfaches der Investitionen für die Busbeschleunigung“ kosten, hält Behördensprecherin Helga Krstanoski dagegen. Und: Die Stadtbahn würde viel mehr Zeit kosten, „weil allein die erforderlichen Planverfahren Jahre dauern würden.“ Die Konflikte mit Anwohnern wären wegen langer Bauzeiten deutlich größer und der Baubeginn entsprechend später. „Bis zusätzliche Kapazitäten zum Tragen kämen, würden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen. Dafür haben wir keine Zeit. Wir brauchen kurzfristig wirksame Lösungen.“

Auch die Busbeschleunigung hat Grenzen, das gibt Hochbahn-Planer Heidrich zu: „Auf einigen, stark frequentierten Linien wird auch mit der Busbeschleunigung in etwa zehn Jahren eine Kapazitätsgrenze erreicht, wenn die Fahrgastzahlen weiter so steigen wie bisher.“ Doch viele Busspuren und die neue Technik der Ampelanlagen wären auch für die Stadtbahn nutzbar. „Das ist grundsätzlich aufwärtskompatibel. Ob da ein Bus oder eine Bahn funkt und Vorfahrt bekommt, ist im Prinzip egal, das Ampelsystem funktioniert gleich.“

Die Bürger: beteiligen oder nicht?

Stadtbahn oder Busbeschleunigung – diese Frage stellt sich am Mühlenkamp nicht. Hier ist man mit der Busbeschleunigung grundsätzlich einverstanden. Aber die aktiven Bürger des Winterhuder Quartiers wollten von Anfang an gern ein Wörtchen mitreden, wie man das vor Ort handhabt. Bei der Stadt sei das nicht auf Gegenliebe gestoßen, sagt Bernd Kroll, Sprecher der Initiative „Unser Mühlenkamp“: „Mein Eindruck ist: Bürgerbeteiligung ist bei diesem Projekt nicht erwünscht.“

Dafür spricht auch ein Antrag der CDU-Fraktion im Bezirk Hamburg-Nord vom September 2012, der mehr Bürgerbeteiligung und -information forderte. Der SPD-Senat lehnte ab. Die Bürger vom Mühlenkamp beteiligten sich trotzdem. Sie gingen schon vor Beginn der Planungen im Herbst 2012 auf die Politik zu, organisierten Planungsrunden, stellten Forderungen – und protestierten, als die Pläne diesen nicht entsprachen. Insbesondere gegen die Streichung der Abbiegespuren auf der Gertigstraße und eine Verlegung der Bushaltestelle an den engsten Punkt der Flaniermeile gingen sie vor, entwickelten in Planungswerkstätten Gegenvorschläge. Mit Erfolg.

Zu den bisherigen Plänen wurden auf Basis der Bürgervorschläge Alternativen entwickelt, die gute Chancen haben, umgesetzt zu werden. Wolfgang Kaufholz, Inhaber des Weinfachgeschäfts Weinlust am Mühlenkamp und Sprecher für das Gewerbe vor Ort, ist stolz: „Wir im Mühlenkamp haben es als erste in Hamburg geschafft, uns frühzeitig selbst einzubringen, als wir von den Plänen erfahren haben. Was mich besonders freut ist: Es ist kein simpler Protest gewesen ist, wir haben den Planern Vorschläge gemacht, wie man anders vorgehen kann. Das wünsche ich mir eigentlich immer von Politik, dass sie – wenn sie solche Maßnahmen plant – die Bürger im Detail vor Ort miteinbezieht.“ Initiativen-Sprecher Kroll sieht das ähnlich: „Die Haltung von Senat und Verwaltung muss sich bei Projekten wie der Busbeschleunigung ändern. Man muss sich den Bürgern gegenüber viel offener präsentieren. So hätte man sich eine Menge Ärger ersparen können.“

Verkehrsplaner Heidrich ist damit im Grunde einverstanden, sagt aber auch: „Sie haben bei Bürgerbeteiligungen immer einen Haufen Partikularinteressen.“ Ob die jedoch für die Allgemeinheit – etwa die Tausenden Fahrgäste – sprechen würden, hält Heidrich zumindest für fraglich. Und ja, „in diesem Bereich hätte man auch noch mehr machen können.“ Behördensprecherin Krstanoski sieht dagegen keinen Handlungsbedarf für eine Bürgerbeteiligung: „Für die Maßnahmen, die umgesetzt werden, besteht überall Planrecht im Rahmen der geltenden Bebauungspläne. Eine förmliche Beteiligung ist insofern nicht erforderlich. Gleichwohl hat jeder die Gelegenheit, in regionalen Gremien seine Anregungen, Kritik und gute Ideen einzubringen. Dort werden die Planungen vorgestellt.“

Der Kampf um Raum

Am Ende steht auch mit Bürgerbeteiligung ein Interessenkonflikt. Er ist das Kernproblem der Busbeschleunigung. Ob am Eidelstedter Platz, am Mühlenkamp oder in Blankenese: Die konsequente Bevorzugung der Busse kostet nicht nur Geld, sondern auch Platz. Die Busbeschleunigung lässt Abbiegespuren, über die Autofahrer bisher in Seitenstraßen kommen, verschwinden, sie nimmt Gehwegen Platz weg, auf die Gastronomen bisher Tische und Stühle gestellt haben. Dazu Planer Heidrich: „Der Bus kann über Funk zwar die Ampelphasen beeinflussen. Aber er muss die Ampel auch erreichen können, das kann er nicht, wenn er im Stau steht oder sonst wie behindert wird. Er braucht Platz.“

Die ersten Erfolge

Es ist 10.15 Uhr, Busfahrer Tim Sander, 31, steuert den 25 Meter langen Doppelgelenkbus auf der Hoheluftchaussee stadteinwärts. „Da vorn ist es“, sagt Sander. Da vorn erreicht er jetzt einen der wenigen Punkte, an denen Busse in Hamburg schon beschleunigt werden. Das geht so: Sanders Bus fährt an der Haltestelle Staatsbibliothek vor und kündigt bei der Bus-Ampel sein Erschein per Funk vollautomatisch an. Die Ampel zeigt ein weißes „A“. Ein paar Sekunden später ist ein „T“ zu sehen, der Hinweis für den Busfahrer, die Türen zu schließen. Noch ein paar Sekunden, dann kommt das Signal, ein vertikaler weißer Balken, das Grün der Busfahrer-Ampel. Der Bus bekommt vorzeitig freie Fahrt. Sander tritt aufs Gaspedal. So geht Busbeschleunigung.

Noch sind es nur Sekunden, vielleicht mal eine Minute eingesparte Fahrtzeit. Noch merkt das kaum ein Fahrgast. Wenn die Strecke allerdings einmal komplett auf Busbeschleunigung geschaltet ist, sollen zehn Minuten eingespart werden. Dann könnten pro Stunde zwei bis drei Busse mehr fahren. Ein Plus von 80 bis 120 Fahrten pro Tag – die Linie 5 würde täglich zwischen 11.000 und 17.000 Fahrgäste mehr transportieren. Ein Ziel in weiter Ferne. Auf dem Display von Tim Sander leuchtet die Zahl „+9:20“ – der Bus hat fast zehn Minuten Verspätung. Die Baustelle am Siemersplatz! Am Montag soll sie endlich verschwunden sein. Doch auch dann ist die Busbeschleunigung noch lange nicht am Ziel.