Der „Shutdown“ ist Symptom für ein zutiefst gespaltenes und verunsichertes Amerika

Die zentrale Frage im bizarren Haushaltsstreit der amerikanischen Parteien stellte am Ende die demokratische Senatorin von Missouri, Claire McCaskill, im Senat: die Frage nämlich, ob die politisch Verantwortlichen in Washington eigentlich vollständig den Verstand verloren hätten.

Zur Illustration sei erwähnt, dass der republikanische Senator von Texas, Ted Cruz, fast 22 Stunden lang im Senat gegen Präsident Barack Obamas Gesundheitsreform geiferte und sich dabei nicht entblödete, Obama mit dem britischen Appeasement-Politiker Neville Chamberlain zu vergleichen. Dieser habe die Briten dazu aufgefordert, Hitler zu akzeptieren. Und das sei wie mit Obama und seiner Reform.

Der sogenannte Shutdown, der nun erhebliche Teile der US-Bundesverwaltung paralysiert, ist ein Symptom für die tiefe Spaltung der USA und die Verunsicherung eines Landes, das noch vor 20 Jahren auf dem Olymp einer fast grenzenlosen Machtentfaltung saß. Wie die radikalen Salafisten im Islam, die angesichts einer verwirrend komplexen Welt das Heil in der Rückwendung auf die mohammedanischen Ursprünge sehen, so strebt auch der starke rechte Flügel der Republikanischen Partei, gebündelt in der „Tea Party“, nach der ideologischen Reinheit der Gründerzeit.

Aus europäischer Sicht ist es völlig selbstverständlich, dass Obama rund 50 Millionen Amerikaner per Gesetz in eine Krankenversicherung einbringen will, die bislang keinen ausreichenden Schutz genießen und bei Vorerkrankungen von Versicherungen bisher abgelehnt werden konnten. Die Behauptung, diese Versicherung werde Amerika ruinieren, aus dem Mund von Politikern zu hören, die am liebsten noch mehr für militärische Zwecke als die grotesken 682 Milliarden Dollar des Jahres 2012 ausgeben wollen, ist schon gewöhnungsbedürftig.

Und das ideologische Hauptargument, ein solches Gesetz verletze die sakrosankte Eigenverantwortlichkeit der amerikanischen Bürger, ist angesichts der oft prekären Lage dieser Menschen unerträglich zynisch. Treibende Kraft hinter der Blockade ist die US-Gesundheitslobby, die sich drohende Ausgaben ersparen will.

Die USA sind nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch in einer bedenklichen Verfassung. Die Bankenkrise enthüllte eine unappetitliche Gier weniger zulasten vieler. Die stets vehement propagierten Menschenrechte wurden in Abu Ghraib und Guantánamo massiv verletzt; die oft beschworene Freiheit des Einzelnen droht in einer Allmacht von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden zu ersticken. 30.000 Menschen fallen jedes Jahr dem Waffenfetischismus zum Opfer. Und fast 80 Prozent der Amerikaner glauben eher an die biblische Schöpfungsgeschichte als an die biologische Evolution. Der Modellcharakter der USA verblasst, Amerika wird sich neu erfinden müssen.

Eine kleine extreme Gruppe innerhalb der Republikaner hat ein ganzes Land als Geisel genommen und scheut in ihrem Hass auf den reformbereiten Präsidenten nicht davor zurück, dem eigenen Gemeinwesen schwersten Schaden zuzufügen. Patriotismus sieht anders aus. Dabei ist der Shutdown nur ein kleines Vorbeben angesichts der globalen Krise, die eine republikanische Blockade bei der Anhebung der Schuldenobergrenze von 16,7 Billionen Dollar auslösen könnte, die am 17. Oktober erreicht wird. Die stärkste Wirtschaftsmacht der Erde, Anker der Weltwirtschaft, betreibt eine unverantwortliche Politik am Rande des Abgrunds. Viel Spielraum gibt es nicht: Das Budget-Minus der USA dürfte in diesem Jahr dasjenige Griechenlands prozentual übersteigen. Eine Hoffnung liegt in der Erkenntnis führender Republikaner, dass die Amerikaner diese Misere überwiegend der „Grand Old Party“ anlasten. Es liegt also im Eigeninteresse der Republikaner, die Blockade im Kongress rasch aufzugeben.