Merkel und Steinbrück forderten sich – und die 17,6 Millionen Fernsehzuschauer

Ja, dieses TV-Duell war anstrengend, kompliziert, manchmal trocken. Es kostete Kraft, zuzuhören und alles zu verstehen, und man kann nur über jene Menschen staunen, die quasi zeitgleich Dutzende Bewertungen und Kommentare via Internet versendeten. Eigentlich konnte man es sich nicht leisten, die Aufmerksamkeit auf ein anderes Medium zu lenken: Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr SPD-Herausforderer Peer Steinbrück forderten nicht nur sich im Fernsehen, sondern auch den Zuschauern im Wohnzimmer alles ab.

Und das war gut so! Es war wohltuend, dass es nur kurz zu Beginn um persönliche Marginalien ging, die Moderatoren bald auf das Wesentliche kamen und die Kontrahenten zu keinem Zeitpunkt der Versuchung unterlagen, mit privaten Anekdoten Werbung für sich zu machen. Man merkte beiden an, auch wenn Angela Merkel am Ende Steinbrück das Gegenteil vorwarf, dass es ihnen in erster Linie um die Sache, um die Themen ging, und um die Frage, was wichtig für Deutschland ist.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Natürlich treiben Merkel und Steinbrück auch persönliche Interessen an, vor allem der Wunsch nach Macht und Gelingen. Trotzdem wirkten die derzeit wichtigsten Politiker des Landes uneitel, sie setzten nicht auf Emotionen, sondern schlicht auf Argumente und Fakten. So gehört es sich auch für jemanden, der Kanzler bleiben oder werden will.

Das Niveau, das die beiden dabei erreichten, war verglichen mit anderen Kanzler- oder Politikerduellen eindrucksvoll. Von Merkel wie von Steinbrück ist bekannt, dass beide nichts so sehr langweilt, wie intellektuell unterfordert zu werden. Die Gefahr bestand am Sonntagabend nur selten, der Herausforderer ließ der Kanzlerin kaum die Chance, einmal durchzuatmen, und umgekehrt. Am Ende standen die beiden 90 Minuten unter Hochspannung, die natürlich nicht mit der in einem „Tatort“ zu vergleichen ist, der normalerweise um diese Zeit im Fernsehen läuft. Aber als politische Auseinandersetzung war das Duell fesselnd, bot und bietet Gesprächsstoff – und die Gewissheit: Zwei derart kompetente Kandidaten um das wichtigste Amt des Staates hat man nicht oft.

Dass es weder Merkel noch Steinbrück gelang, auf die ihnen gestellten Fragen so zu antworten, dass wirklich jeder der fast 17,6 Millionen Fernsehzuschauer alles verstanden hätte, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Die Themen sind heute von einer derartigen Komplexität, dass es schon bemerkenswert ist, wenn ein Politiker dazu überhaupt eine schlüssige und ansatzweise nachvollziehbare Antwort hat. Bestimmte Problemstellungen lassen sich schlicht nicht in wenigen Sekunden oder Minuten zusammenfassen und bewerten. Wer so tut, als könne er das, lügt. Auch das haben die CDU-Frau und der SPD-Mann nicht getan. Keine Leichtigkeit, nirgends.

Und weil das alles so ist, weil es bei der Frage, wer Deutschland regieren soll, eben um mehr geht als um eine TV-Show und eine Momentaufnahme, erübrigt sich die Frage nach einem Sieger. Die, die sich damit beschäftigen, sprechen von einem „Unentschieden“. Das stimmt sicherlich, wenn man die anderthalb Stunden für sich betrachtet. Bezieht man ein, was in den Wochen und Monaten zuvor passiert ist, dann war der Sonntagabend aber vor allem für Peer Steinbrück ein Gewinn. Vor dem Fernsehduell hätte zumindest niemand davon gesprochen, dass er sich „auf Augenhöhe“ mit der Bundeskanzlerin befindet.

Einen klaren Verlierer gab es übrigens auch – die Wahlforscher. Mit Erstaunen musste der zappende Zuschauer miterleben, wie zunächst das ZDF Angela Merkel zur eindeutigen Siegerin erklärte – auf Grundlage einer repräsentativen Umfrage. Kurz darauf teilten die entsprechenden Experten der ARD mit, dass Steinbrück vorn lag – natürlich laut repräsentativer Erhebung…