Mit seiner wirtschaftsfreundlichen Position in der Rückkauf-Debatte hat sich Bürgermeister Olaf Scholz auch innerhalb der SPD durchgesetzt. Doch mit BUND-Chef Manfred Braasch hat er einen starken Gegenspieler. Stationen einer Auseinandersetzung.

Die Generalprobe ging kräftig daneben. Als der damalige SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz der Öffentlichkeit am 28. November 2010, einem Sonntag, seine Pläne für die Energiewende in Hamburg vorstellen wollte, platzte in die Pressekonferenz hinein die Nachricht vom Bruch der schwarz-grünen Koalition im Rathaus. Kein Journalist interessierte sich mehr für Scholz’ Idee, 25,1 Prozent der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze von den Betreibern Vattenfall und E.on zu kaufen und mit den Unternehmen langfristige Verträge über die ökologische Modernisierung der Energieerzeugung zu schließen.

Für die Premiere inszenierte sich Scholz – inzwischen imposanter Wahlsieger und Erster Bürgermeister der allein regierenden SPD – dann fast auf den Tag genau ein Jahr später, am 29. November 2011, auf der ganz großen, feierlichen Bühne. Wenn es so richtig wichtig und bedeutend wirken soll, dann wählen Bürgermeister gern den Kaisersaal des Rathauses als Rahmen. Und genau dort nahmen außer Scholz auch die Unternehmens-Chefs Pieter Wasmuth (Vattenfall) und Hans-Jakob Tiessen (E.on) vor schweren Ledertapeten und unter Kronleuchtern Platz.

Das war der Deal: Die Stadt erwirbt für 543,5 Millionen Euro einen 25,1-Prozent-Anteil an den drei Versorgungsnetzen, die erst Mitte der 90er-Jahre im Zuge der Privatisierung der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) und HeinGas mitverkauft worden waren. Im Gegenzug investieren Vattenfall und E.on 1,6 Milliarden Euro in neue Kraftwerke sowie den Ausbau und die Modernisierung der Netze. Die Unternehmen garantieren der Stadt eine Dividende zwischen 4,2 und 4,5 Prozent zunächst für fünf Jahre. „Ein Geschäft ohne Risiko“, sagte Scholz damals. Wer wollte, konnte ein wenig Stolz in seiner Stimme hören.

Selten dürfte ein Senat mehr Geld ausgegeben haben, um eine öffentliche Debatte in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. Nie hat ein Senat mehr investiert, um einen Volksentscheid in seinem Sinne zu beeinflussen. Lange bevor die Kampagne zur Abstimmung des Souveräns über den vollständigen Netze-Rückkauf so richtig Fahrt aufgenommen hatte, wollte Sozialdemokrat Scholz ein Zeichen setzen und Fakten schaffen.

Rückblende: Am 5. Juli 2010 hatte ein Bündnis von BUND, Verbraucherzentrale, kirchlichen und weiteren Umweltorganisationen die Volksinitiative „Unser Hamburg – unser Netz“ mit dem Ziel gegründet, die Energienetze vollständig in städtische Hand zurückzuführen. Der Zeitpunkt war mit Blick auf die Jahre 2014 und 2015 bewusst gewählt: Dann laufen die 20-jährigen Konzessionsverträge für den Netzbetrieb aus, und die Stadt muss die Lizenzen neu vergeben. Die Rekommunalisierung, so die Initiative, sei eine notwendige Voraussetzung für die Energiewende. Demokratisch kontrolliert könnten die Netze im Sinne der Bürger modernisiert sowie dezentraler und effizienter betrieben werden. Nicht zuletzt, so BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch, ließe sich mit dem Netzbetrieb auch Geld verdienen.

Im Juni 2011, ein halbes Jahr vor den Verträgen des SPD-Senats mit Vattenfall und E.on, hatten 116.000 Hamburger – doppelt so viele wie erforderlich – beim Volksbegehren für den kompletten Rückkauf gestimmt. Der Weg zum Volksentscheid war damit frei. Scholz hatte sich sehr früh gegen die Initiative festgelegt: Die rund zwei Milliarden Euro, die der vollständige Erwerb der Netze die Stadt kosten würde, hält der SPD-Politiker für nicht finanzierbar. Zudem trüge die Stadt bei 100 Prozent Netzbesitz das volle unternehmerische Risiko. Schließlich, so Scholz, seien nicht die Netze in erster Linie für die Energiewende entscheidend, sondern die Energieerzeugung. Deswegen müsse die Politik Verträge mit den Unternehmen etwa zur CO2-Reduzierung schließen. Statt Konfrontation mit den Konzernen also Kooperation.

Das ist sehr wirtschaftsfreundlich gedacht und durchaus eine untypische, wenn nicht riskante Position in der nach wie vor staatsgläubigen Partei SPD. Sozialdemokraten und auch die mit ihnen historisch eng verbundenen Gewerkschaften haben große Sympathie für den Satz „Der Staat soll’s richten“. Scholz weiß, dass er gegen die vorherrschende Stimmung in der SPD-Wählerschaft argumentiert. Zwei Drittel der Hamburger waren in einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Abendblatts im Februar 2013 für den vollständigen Rückkauf der Netze. Unter den SPD-Wählern lag die Zustimmung jedoch sogar bei 72 Prozent. Scholz vertrat oder vertritt also eine klare Minderheitenposition in seinem Lager – übrigens auch über die Stadtgrenzen hinaus. Die Sozialdemokraten in Berlin, wo ebenfalls ein Volksentscheid ansteht, favorisieren jedenfalls prinzipiell eine Mehrheitsbeteiligung. Zwar verfolgen etliche, zumeist kleine schleswig-holsteinische Kommunen ein Modell mit einem Anteil unter 50 Prozent, und Bremen plant Vergleichbares, aber rund 200 Rekommunalisierungen seit 2007 sprechen andererseits für einen bundesweiten Trend.

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