Offroad-Modelle, Ledergriffe und Handyhalter. Der Markt für Gehhilfen wächst. Vom Discounter bis zum Stararchitekten Hadi Teherani mischen alle mit.

Hamburg. Die Zeit der Scham geht zu Ende. Immer weniger ältere Menschen, die auf einen Rollator angewiesen sind, fühlen sich ausgegrenzt. Sie genießen vielmehr die ihnen durch die Geräte verbliebene Mobilität, nutzen integrierte Körbe oder Taschen zum Einkaufen oder pausieren unterwegs auf dem Sitz für ein paar Minuten. „Viele unserer Kunden sind stolz auf ihre Rollatoren“, sagt Robert Bauch, Vertriebsleiter von Hamburgs größtem Sanitätshaus, der Herbert D. Stolle GmbH.

Diese Aussage gilt vor allem für diejenigen, die sich mehr leisten können als die Krankenkassen bezahlen. Sie wählen ihre Lieblingsfarbe, entscheiden sich für Ledergriffe oder für einen Offroad-Rollator mit größeren Rädern, um mit ihnen grobes Pflaster bewältigen zu können. „In Stadtteilen wie Blankenese“, sagt Bauch, „haben schon mehr als die Hälfte der Rollatoren einen höheren Standard als die Krankenkassenmodelle.“

Die Industrie setzt vor allem auf diese finanzkräftigen Kunden. Als Marktführer für Premium-Rollatoren gilt heute der Hersteller Topro, der in Norwegen und damit als Einziger der Branche noch in Europa fertigt. Das Unternehmen gehört sechs Gemeinden und einem Landkreis im hohen Norden, hat im Heimatland 350 Mitarbeiter und erzielt deutlich mehr als die Hälfte des Umsatzes von 40 Millionen Euro mit seinen Rollatoren. In Hamburg verkaufte Topro 2012 rund 2500 Geräte im Premium-Segment und erzielt damit einen geschätzten Marktanteil von 60 Prozent. „Wir haben zuletzt beim Absatz jährlich um zehn bis zwölf Prozent zugelegt und rechnen auch für dieses Jahr mit einem solchen Zuwachs“, sagt Thomas Appel, Geschäftsführer für Deutschland, die Schweiz, Österreich, Frankreich und Italien.

Neueste Entwicklung ist ein Schloss, das Rollatoren vor Diebstahl schützen soll. Offiziell soll es am 1. September vorgestellt werden. „Wir haben aber schon einmal 1000 Stück ausgeliefert. Sie lassen sich für alle Typen von Rollatoren nutzen“, versichert Appel. „Die Norweger bieten das meiste Zubehör für Rollatoren“, sagt Stolle-Vertriebschef Bauch. Aber auch von anderen Herstellern gibt es inzwischen zusätzlich montierte Stock-, Handy- oder Regenschirmhalter, eine Beleuchtung oder einen Alarm, der beim Kippen des Gefährts automatisch einsetzt.

Die Hersteller agieren auf einen wachsenden Markt. Denn die Gesellschaft altert. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird die Zahl der über 65-Jährigen von heute 17 Millionen bis zum Jahr 2050 auf etwa 23 Millionen steigen. Diese Menschen bilden die Hauptkundengruppe. „Wir gehen davon aus, dass bundesweit bereits mindestens zwei Millionen Menschen Rollatoren nutzen“, sagt Volkmar Runte von der Deutschen Gesellschaft für Gerontotechnik (GGT) in Iserlohn. Das gesamte Potenzial schätzt die Gesellschaft, die sich für generationsübergreifend nutzbare Produkte einsetzt, heute auf zehn Millionen.

Weil inzwischen Kunden zum Teil mehrere Rollatoren außerhalb und innerhalb ihrer Wohnungen einsetzen, dürften nach ihrer Schätzung jährlich 400.000 bis 500.000 Geräte vermarktet werden. Steigen die Zahlen weiter, wäre es möglich, dass die Rollatoren künftig als „allgemein angewandtes Produkt“ eingestuft werden, prognostiziert Runte. Damit könnte die Unterstützung der Krankenkassen beim Kauf entfallen. Ob dies geschieht, ist jedoch offen.

Klar ist hingegen: Die Nachfrage steigt weiter. Beispiel AOK Hamburg. Dort ist allein die Zahl der von der Krankenkasse bezahlten Rollatoren von 4421 im Jahr 2010 auf 5034 im vergangenen Jahr gestiegen. Auch für die Kosten der Hilfsmittel, zu denen die Rollatoren gehören, weist der AOK Bundesverband in den vergangenen fünf Jahren stets höhere Kosten aus. Pro Versicherten haben sich die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung von knapp 81 auf knapp 93 Euro erhöht. Die in Hamburg ansässige Techniker Krankenkasse kommt für Heil- und Hilfsmittel 2012 sogar auf knapp 130 Euro für jedes Mitglied. Bereits 2011 waren diese Aufwendungen um mehr als 17 Prozent gestiegen.

Grundsätzlich zahlen die Krankenkassen für verordnete Rollatoren derzeit zwischen 70 und 90 Euro. Das reicht aus, um ein Standardmodell zu bezahlen. Das Gerät wird dem Patienten für drei bis vier Jahre zur Verfügung gestellt. Reparaturen oder auch ein Austausch sind inklusive. Der Rollator bleibt aber im Besitz der Kasse oder des Sanitätshauses. Nach Ablauf der Frist kann dann über eine Verlängerung, eine Folgepauschale der Kasse, entschieden werden. „70 Prozent aller Käufe werden über gesetzliche oder private Kassen abgerechnet“, sagt Stolle-Vertriebsleiter Bauch. Wer ein aufwendigeres Gerät haben will, muss die Differenz zum Preis von 300 bis 500 Euro selber zahlen. Vor allem Menschen, die sich auch ohne ärztlichen Rat für einen Rollator entscheiden, wählen aus dieser Preisklasse.

Dabei sind die Rollatoren für Stolle nur ein Teil eines wachsenden Geschäfts. Das Sanitätshaus, das Herbert D. Stolle 1963 aus der Orthopädischen Werkstatt des Allgemeinen Krankenhauses Barmbek gegründet hatte, bietet heute Prothesen, Bandagen oder auch orthopädische Schuhe und Einlagen aus eigenen Werkstätten an. Mit 380 Mitarbeitern, zwei Dienstleistungszentren in Farmsen sowie in Schwerin, 24 Filialen in der Hamburger Metropolregion und in Mecklenburg-Vorpommerns Hauptstadt gilt Stolle als einer der Marktführer in Norddeutschland. Im Jahr 2012 stieg der Umsatz des Unternehmens, an dem die Familie Stolle weiter beteiligt ist, leicht auf 26 Millionen Euro. Zum weiteren Wachstum sollen künftig auch die Rollatoren beitragen. „Wir wollen die Zahl der privat verkauften Geräte in den kommenden fünf Jahren von derzeit 100 im Monat verdreifachen“, sagt Bauch. Das wären dann ebenso viele wie derzeit über die Kassen abgesetzt werden. Am 28. und 29.September stellt Stolle bei der Internationalen Gartenschau verschiedene Modelle der Rollatoren vor, die kostenlos ausprobiert werden können.

Konkurrenz bei den Gehhilfen kommt inzwischen aber auch von branchenfremden Anbietern. So bietet der Discounter Lidl bereits seit 2008 Rollatoren bei Aktionen in seinen Filialen an. Für sie gebe es eine kostenlose Telefon-Hotline ebenso wie einen Ersatzteil-, Austausch- und Reparatur-Service, sagt eine Lidl-Sprecherin. Zwar äußert sich das Unternehmen nicht zu der Strategie der einwöchigen Aktionen. „Aber es ist durchaus möglich, dass wir auch künftig wieder Rollatoren anbieten“, sagte die Sprecherin.

Immerhin mehrere Tausend Geräte dürften jährlich über die Handelsschiene abgesetzt werden, schätzt GGT-Experte Runte. Er verweist jedoch auf den seiner Meinung nach deutlich umfassenderen Service der Sanitätshäuser. „Wir haben zudem noch niemanden weggeschickt, der bei uns um Hilfe bei einem Rollator gebeten hat auch wenn er ihn nicht im Fachhandel gekauft hat“, versichert Bauch.

Selbst Hamburgs Stararchitekt Hadi Teherani hat die Rollatoren für sich entdeckt. Der gebürtige Iraner schickt sich nun an, das Design der Wagen nach seinen Vorstellungen zu verbessern. Denn die aktuellen Modelle, fand er im vergangenen Sommer, sähen „zumeist scheußlich aus“. Seine ersten Entwürfe in Schwarz zieren viel Chrom und eine Sitzfläche aus edlem Leder. Noch jedoch sei das Projekt nicht abgeschlossen, sagt eine Teherani-Sprecherin.

Immerhin: Der Architekt dürfte den Trend zu höherer Qualität und Ausstattung der Rollatoren richtig erkannt haben. „Auch wir glauben daran, dass sich immer weniger Menschen mit Standard-Produkten zufrieden geben werden“, sagt Stolle-Vertriebschef Bauch. Zumal die Generation der heute 40- bis 50-Jährigen zumeist finanzkräftiger sei als noch vor Jahren. Viele Söhne und Töchter seien daher in der Lage, ihren Eltern im Alter unter die Arme zu greifen. „Für die“, sagt Bauch, „kommt es gar nicht infrage, ihre Väter oder Mütter mit einem Einfachmodell auf die Straße zu schicken.“