Achtmal mehr Eltern als 2011 wollen einen Schulbegleiter für ihr Kind. Schulbehörde überfordert

Die Gruppe von Eltern, die sich an diesem Morgen im Lehrerzimmer in der Schule am Hirtenweg trifft, ist verzweifelt und wütend. Es geht um ihre zum Teil schwer behinderten Töchter und Söhne, die die Schule für Körperbehinderte hier in Othmarschen besuchen. Die Eltern warten auf die Bewilligung für Schulbegleiter, die ihre Kinder unterstützen. Doch die Schulbehörde kommt mit der Bearbeitung der Anträge nicht hinterher. Bei fast gleichbleibender Kinderzahl hat sich die Menge der Anträge für die Eingliederungshilfe innerhalb von zwei Jahren nahezu verachtfacht. „Dieser hochdramatische Anstieg ist unerklärlich. Das ist ein einmaliger Vorgang“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD).

Waren es im Jahr 2011 noch 123 Schulbegleiter, die stark behinderte Kinder unterstützen, ist diese Zahl von 305 im Jahr 2012 auf jetzt 488 angestiegen, und mehr als 400 Anträge sind noch nicht bearbeitet. Dabei hat sich die Zahl der betroffenen Kinder nur geringfügig erhöht: Von 3.175 im vergangenen auf 3.312 Kinder in diesem Schuljahr. Und auch die Anträge für Schulbegleiter für nicht behinderte Kinder mit erhöhtem Förderbedarf, die an Regelschulen unterrichtet werden, habe ähnlich zugenommen. Statt wie bislang zwei Sachbearbeiter kümmern sich fünf um die Bewilligungen. Trotzdem stehen viele Kinder ohne Schulbegleiter da.

Matthias Stiehm hat zwar eine Bewilligung für einen Schulbegleiter für seinen Sohn Lenni, aber er findet keinen Betreuer, weil die Träger häufig eine längere Planungssicherheit brauchen und ihre Mitarbeiter lieber für ein Jahr einsetzen. Stiehm aber liegt eine Bewilligung vor, die auf ein halbes Jahr begrenzt ist. „Lenni wird auch in einem halben Jahr einen Begleiter brauchen“, so Stiehm. Eine individuelle Förderung seines Sohnes sei für Matthias Stiehm momentan nicht möglich. „Neulich musste das Schwimmen für Lenni ausfallen, weil ich ihn nicht begleiten konnte.“ Lenni hatte vor 16 Jahren bei seiner Geburt Hirnblutungen und ist seitdem schwerstbehindert. Er kann nicht allein essen oder trinken. Er kann nicht reden und nicht laufen und sitzt im Rollstuhl. Damit der Zehntklässler am Schulleben teilhaben kann, hatten sich Schulbetreuer um ihn gekümmert. Eine Rundumbetreuung, die nun Erzieher und Lehrer mit übernehmen.

Astrid Ruppelt hat für ihren 16-jährigen Sohn Marius noch bis April eine Bewilligung für einen Schulbegleiter. Was danach ist, weiß sie nicht. Sie hatte den Schulbegleiter per Annonce gefunden. 8,84 Euro kostet die Stunde, 20Stunden übernimmt die Behörde. Obwohl Schulbegleiter Anton sich um Marius, der ebenfalls im Rollstuhl sitzt und nur bedingt reden kann, kümmert, habe sich die Situation für ihren Sohn verschlechtert: „Die Schule muss gucken, wie sie den Mangel in den Griff bekommt, und hat die jetzigen Begleiter in einen Pool zusammengetan.“ So ist Anton nicht mehr nur allein für Marius zuständig, sondern für weitere Kinder.

„Es ist unglaublich, was die Behörde den Eltern zumutet“, sagt Martin Eckert vom Verein „Leben mit Behinderung“. Er fordert, die Gelder für die Schulbegleiter und die Organisation den Schulen zu überlassen. Stefanie von Berg, Schulexperten bei den Grünen, sagt: „Durch die Verzögerung der Bewilligung können Kinder teilweise nicht beschult werden. Das ist fahrlässig.“

Mittlerweile arbeitet eine Gruppe mit Vertretern aus der Behörde, von Trägern und Schulen daran, ein besseres Verfahren zu entwickeln. Senator Ties Rabe: „Wir werden jetzt noch schneller als bisher die Anträge nach einer ersten Prüfung bewilligen, um den Rückstau zügig aufzuarbeiten.“

Dieser hochdramatische Anstieg ist unerklärlich. Das ist ein einmaliger Vorgang.