Über die Solidarität, die eine Großstadt wie Hamburg nötig hätte

Zu den größten Vorteilen Hamburgs gehört es, dass der Flughafen beinahe mitten in der Stadt liegt. Denkt man zumindest so lange, wie die vielen täglich startenden und landenden Maschinen nicht über das eigene Haus beziehungsweise die eigene Wohnung fliegen. Ändert sich das plötzlich, ändert sich alles – vor allem aber steigt der Respekt vor und das Mitleid mit den Menschen, die in Hamburg und Schleswig-Holstein den Fluglärm ertragen müssen. Nicht nur ein paar Wochen, weil eine Start- und Landebahn repariert werden muss, sondern nahezu immer, Jahr für Jahr.

Es heißt ja, dass man sich an alles gewöhnt – aber auch an Flugzeuge, die man aus dem eigenen Garten besser beobachten kann als von einer Aussichtsplattform direkt am Airport? Als temporär Betroffener, derzeit besonders stark zum Beispiel in Alsterdorf, macht man sich zusammen mit den Nachbarn erst mal einen Spaß, ein Spiel daraus. „Fluggesellschaften raten“ kann an Sommerabenden wie diesen anfänglich ein lustiger Zeitvertreib sein, zumal man nach wenigen Tagen den Unterschied zwischen einer Boeing 777 von Emirates und einer kleineren Lufthansa-Maschine tatsächlich heraushört. Mittelfristig ist es nur nervig, dass die wenigen lauen zu lauten Nächten mutieren. Da hilft nur die Aussicht, dass der ganze Spuk irgendwann einmal wieder zu Ende, dass das Ganze nur eine Ausnahme aus aktuellem Anlass ist.

Gleichzeitig macht einen diese Erkenntnis seltsam demütig und dankbar gegenüber denjenigen, über deren Häuser die Flugzeuge normalerweise fliegen, und denen wir anderen es zu verdanken haben, dass wir nicht, wie zum Beispiel die Münchner, ewig lange zum Flughafen unterwegs sind. An diesem einem Beispiel zeigt sich überdeutlich, dass eine Großstadt wie Hamburg nur, nein, vor allem deshalb funktioniert, weil es eben jede Menge Menschen gibt, die bereit sind, die Begleiterscheinungen einer Metropole zu ertragen. Die in der Nähe des Flughafens oder an großen Durchgangsstraßen wohnen; an deren Gärten und Balkonen U- und S-Bahnen vorbeirauschen; die nichts gegen große Schulen in der Nachbarschaft haben, gegen Einkaufszentren und so weiter.

Fair wäre es, auch das ist eine Erkenntnis unserer Fluglärm-Tage, wenn sich die Belastungen einer Großstadt gleichmäßig verteilen ließen, wenn nicht einige zu viel und andere gar nichts davon zu tragen hätten. Wenn es in unserer Gesellschaft einen Konsens darüber gäbe, dass sich das sogenannte Sankt-Florians-Prinzip mit dem Zusammenleben in Hamburg nicht vereinbaren lässt.

Unter dem Sankt-Florians-Prinzip versteht man, um es lexikalisch zu sagen, ein Verhalten, das potenzielle Belastungen oder Bedrohungen auf andere abwälzt. „Heiliger Sankt Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andere an“, hieß es früher. Diese Art des Denkens kommt einem leider nicht unbekannt vor, gerade in einer Metropole nicht, deren Vorteile jeder gern nutzt, deren Nachteile man aber am liebsten auslagern würde. Wer freut sich nicht, wenn er auf einer großen Straße zügig durch die Stadt kommt? Aber direkt daran wohnen? Bitte nicht… Wie oft gibt es Proteste gegen einen Neubau in der Nachbarschaft, selbst gegen eine Kindertagesstätte um die Ecke? Ja, wir brauchen mehr Wohnungen, ja wir brauchen Betreuungsplätze – aber muss das unbedingt bei uns sein?

In ein paar Wochen werden die Bauarbeiten am Flughafen wieder beendet und die Maschinen über unserem Stück des Hamburger Himmels endlich verschwunden sein. Natürlich sind wir froh darüber, alles andere wäre gelogen. Unsere Lektion haben wir aber auch gelernt. Und wenn der Flugverkehr wieder einmal in unsere Richtung umgelenkt wird/werden muss, werden wir es akzeptieren, ob nun Sommer oder Winter ist, ob wir nun im Garten sitzen wollen oder nicht. Das ist das Mindeste, was man im Sinne großstädtischer Solidarität machen kann – und machen sollte.