Die Vermieter verpflichten sich, den Branchenmix im Stadtteil zu erhalten

Die Lange Reihe, gelegen auf der Rückseite des Hauptbahnhofs, ist seit vielen Jahren so etwas wie ein Gegenentwurf zur glatten Einkaufsmeile Mönckebergstraße auf anderen, glänzenden Seite Richtung Innenstadt. Bewohner, Hamburger und Besucher schätzen das, in den vergangenen Jahren sind St. Georg und seine bunte Meile mit kleinen Läden und Kulturangeboten immer beliebter geworden. Die Kehrseite des Erfolgs ist hinlänglich bekannt: Die Mieten explodierten, Geschäftsinhaber mussten aufgeben und die Filialen großer Handelsketten machten sich breit. Das nennt man Gentrifizierung – und ist im Moment eines der großen Themen nicht nur in deutschen Metropolen.

Das Alte ist vergangen, könnte man sagen und zur Tagesordnung übergehen. Im Multikulti-Dorf St. Georg aber ist vieles ein bisschen anders. Dort haben die Grundeigentümer jetzt ein Papier unterzeichnet, um diese Entwicklung zu bremsen. Es ist eine freiwillige Selbstverpflichtung unter dem sperrigen Titel „St. Georg – Erhalt und Förderung der diversifizierten Angebotsstruktur“, ohne konkrete Handlungsvorgaben oder messbare Zielmarken. Kurz: eine Absichtserklärung mit vielen Hintertürchen – Ergebnis offen. Trotzdem gebührt dem Schritt, Resultat eines Runden Tisches auf Initiative von SPD-Bezirksamtsleiter Andy Grote, Anerkennung. Denn er ist auch ein Signal.

Einerseits, weil Vermieter, oftmals vor allem daran interessiert möglichst hohe Mieten zu kassieren, sichtbar und öffentlich Verantwortung übernehmen über das eigene Haus hinaus. Motto: „Eigentum verpflichtet“. Das mag altmodisch klingen, ist aber der Stoff, aus dem Gemeinwesen wächst und damit eine lebendige Stadt.

Andererseits steht die Entwicklung in St. Georg pars pro toto für andere Hamburger Stadtteile wie etwa Ottensen oder St. Pauli. Hier wie dort drohen Charme und Unverwechselbarkeit langweiligem Einheitsbrei zu weichen. Dazu kommt, dass nicht nur kleine Geschäfte und Restaurants vertrieben werden, sondern auch die Bewohner, die die steigenden Mieten nicht zahlen können. Viele in dieser Stadt sehen das mit großer Sorge. Ein Grund mehr, rechtzeitig nach neuen Lösungen zu suchen. Soziale Erhaltungsverordnungen, wie sie die Stadt inzwischen mehrfach erlassen hat, können nur ein Teil sein.

In St. Georg hat sich der seit langem schleichende Veränderungsprozess Ende 2012 in öffentliche Empörung entladen. Anlass war, dass die alteingesessene Buchhandlung Wohlers aus ihren Geschäftsräumen ausziehen musste, weil der Eigentümer des Gebäudes die Miete drastisch erhöht hatte. Die wehrsamen Bürger des Stadtteils machten mobil, es gab zähe Verhandlungen und letztlich doch noch einen Kompromiss. Die Buchhandlung zog in ein frei werdendes Ladengeschäft einige Häuser weiter. Die Lage hat sich inzwischen beruhigt. Doch der Ruch, die Eigentümer würden einzig ihren Profit im Auge haben, auch zu Lasten der Attraktivität des Stadtteils, ist nicht vom Tisch.

Insofern ist der Runde Tisch in St. Georg, an dem Geschäftsleute, aber auch Vertreter der SAGA und von Wohnungsbaugenossenschaften zusammenfanden, und die daraus resultierende Selbstverpflichtung natürlich auch der Versuch einer Ehrenrettung. Das ist legitim. Und es gibt Anlass zu der Hoffnung, dass die formulierten Ziele auch umgesetzt werden. Denn langfristig, das sehen auch Eigentümer und Vermieter, kommt die Vielfalt St. Georgs auch ihnen zu Gute. Ein lebendiger Stadtteil, der sich mit mit buntem Branchenmix von anderen abhebt, ist fürs Geschäft förderlich. Gemeinsam statt gegeneinander. Das könnte erfolgreich sein – und vielleicht sogar übertragbar. Allerdings müssen Politik und Bürger weiter genau hinschauen und aufbegehren, sollten die Ankündigungen sich doch noch als PR-Trick erweisen.

Die Autorin ist Redakteurin der Lokalredaktion des Hamburger Abendblatts