Hamburg hat elf von rund 300 jungen Intensivtätern in den umstrittenen Heimen in Brandenburg untergebracht. Dort gilt jetzt ein Aufnahmestopp. Was die Hansestadt gegen auffällige Kinder und Jugendliche tun kann

Hamburg. Die Vorwürfe sind ernst. Wenn drei Jugendliche aus einem geschlossenen Heim in Brandenburg flüchten und anschließend von unhaltbaren Zuständen in der Jugendhilfeeinrichtung erzählen, muss die Politik reagieren. Hamburg ist von den Vorgängen im Osten Deutschlands betroffen, weil es elf kriminelle Jugendliche in Heimen der Haasenburg GmbH unterbringen ließ. Einer der Geflüchteten stammt aus der Hansestadt und wird nun, wie die Sozialbehörde am Dienstag erklärte, wieder in Hamburg betreut.

Brandenburgs Jugendministerin Martina Münch (SPD) sprach am Dienstag ein Beschäftigungsverbot für drei Mitarbeiter der Heime aus. Außerdem dürfen in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH in Brandenburg zunächst keine neuen Kinder aufgenommen werden. „Drei namentliche benannte Mitarbeiter stehen aktuell im Verdacht, zumindest zwei Jugendliche körperlich und seelisch misshandelt zu haben“, sagte Münch. Die Vorwürfe könnten zunächst nicht ausgeräumt werden, daher die Suspendierung.

Die Vorgänge um die geschlossenen Heime in Brandenburg werfen die Frage auf, wie die Hansestadt mit Jugendlichen umgeht, die sich von ihren Eltern nicht mehr erziehen lassen, die bereits eine Reihe von Jugendhilfemaßnahmen hinter sich haben und wiederholt straffällig wurden. Das geschlossene Heim in der Feuerbergstraße war von der schwarz-grünen Koalition im Jahr 2008 ja geschlossen worden.

Experten schätzen, dass es in Hamburg rund 300 jugendliche Intensivtäter gibt. 80 Prozent von ihnen sind Jungen, der Großteil ist zwischen zwölf und 16 Jahre alt. Zudem sollen jugendliche Intensivtäter für drei Viertel der Straftaten Jugendlicher verantwortlich sein. Um den Betroffenen zu helfen, die Gesellschaft zu schützen und eine engere Zusammenarbeit von Behörden zu erreichen, hat die Stadt ein umfangreiches Paket aus Hilfen und Maßnahmen geschnürt.

So gibt es eine sogenannte Obachtliste, die Namen von etwas weniger als 250 jungen Menschen enthält, die besonders aufgefallen sind. Sie werden durch die zuständigen Behörden – Soziales, Bildung Justiz und Inneres – mithilfe eines „Ampelsystems“ im Blick behalten. Regelmäßig signalisieren die Behörden der Leitstelle, ob etwas schiefgegangen ist. Ist alles in Ordnung, bleibt der Jugendliche auf „Grün“. Hat er etwas angestellt, springt die „Ampel“ auf „Gelb“ oder „Rot“.

Eine Fallkonferenz, an der in der Regel Vertreter der Polizei, der Jugendhilfe, der Schule und der Staatsanwaltschaft teilnehmen, prüft, wie dem jungen Menschen geholfen werden kann. So kann es beispielsweise sein, dass der Jugendliche nicht mehr in einer Jugendwohnung untergebracht wird, weil das als Hilfe nicht ausreicht. Dann erwägen die Behörden andere Hilfemöglichkeiten – bis hin zur intensivpädagogischen Betreuung.

Bei der Sozialbehörde gibt es mit dem Familien-Interventionsteam (FIT) eine Art Spezialjugendamt. Die rund 20 Mitarbeiter betreuen die besonders schwierigen Jugendlichen. So muss ein Mitarbeiter beispielsweise innerhalb von fünf Tagen nach Meldung bei dem Jugendlichen beziehungsweise seinen Eltern einen Hausbesuch gemacht haben. Die Erfahrungen des Familieninterventionsteams, so berichten Fachleute, sind dabei durchaus positiv. Viele Jugendliche sind zwar im ersten Moment erschrocken, wenn sich das FIT plötzlich um sie kümmert. Später sind viele von ihnen allerdings erleichtert, dass sich da jemand über einen längeren Zeitraum mit ihnen beschäftigt.

Inzwischen setzen Hamburgs Behörden mit der Gewaltprävention auch schon im Kindesalter an. Der Grund: Jugendliche Intensivtäter waren oft bereits im Kindergarten oder in der Grundschule verhaltensauffällig. Um jene Kinder von ihren Gleichaltrigen zu unterscheiden, die einfach nur „dummes Zeug“ machen, gibt es eine international erprobte Diagnostik. Die Sozialbehörde bietet für Kitas und Grundschulen Schulungen an. Zudem gibt es Expertenteams, die bei einem auffälligen Kind herausfinden können, ob ein Vorfall nur ein Ausrutscher war oder es Anzeichen für eine Verfestigung von schwierigem Verhalten gibt.

Bei der Staatsanwaltschaft wiederum wurde das Projekt „Protäkt“ aufgelegt. Das bedeutet, dass ein Jugendlicher, der auffällig geworden ist, stets vom selben Staatsanwalt und vom selben Polizisten betreut wird. Dadurch fällt sofort auf, wenn Probleme sich häufen. Zudem finanziert die Justizbehörde zur Vermeidung von Untersuchungshaft ein Heim für Jugendliche am Hofschläger Weg. Dieses Heim, das neun Jugendlichen Platz bietet, ist zwar nicht geschlossen, allerdings auch kein „Haus der offenen Tür“. Die Jugendlichen dürfen in den ersten vier Wochen das Haus nicht verlassen. In dieser Zeit wird intensiv mit ihnen gearbeitet.

Die geschlossene Unterbringung jugendlicher Intensivtäter soll für die betroffenen Jugendlichen das letzte Stoppsignal vor dem Abgleiten in die (schwere) Kriminalität sein. Im Kern geht es darum, Kinder und Jugendliche aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld herauszuholen.

Voraussetzung für die Unterbringung in einem geschlossenen Heim ist allerdings, dass zuvor alle Möglichkeiten der Jugendhilfe ausgeschöpft wurden und dass ein Familiengericht die Einweisung verfügt.

In der geschlossenen Unterbringung geht es dann darum, den Betroffenen „Grundregeln des Lebens“, zum Beispiel einen strukturierten Tagesablauf, beizubringen. Dabei ist der entscheidende Unterschied zur ambulanten Jugendhilfe die Tatsache, dass die „Tür zu bleibt“.

Um die Unterbringung von Jugendlichen in einem geschlossenen Heim gibt es seit Jahren Streit, auch wenn dieser inzwischen weniger ideologisiert ausgetragen wird, wie Hamburgs Ex-Justizsenator Till Steffen (Grüne) einmal in einem Gespräch sagte. Ein Grund dafür dürfte sein, dass es längst auch positive Ergebnisse dieser Erziehungsmaßnahme gibt.

Im brandenburgischen Frostenwalde nahe der Grenze zu Polen beispielsweise betreibt das evangelische Jugend- und Fürsorgewerk ein entsprechendes Wohnprojekt. Dort können 32 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren vier bis fünf Monate untergebracht werden. Eine Auswertung ergab, dass 60 Prozent der Jugendlichen, die in Frostenwalde untergebracht waren, nicht mehr straffällig wurden.

Ein andere wissenschaftliche Studie ergab, dass bei etwa 70 Prozent der Jugendlichen, die ein Jahr in einem geschlossenen Heim untergebracht würden, die Entwicklung positiv verlaufe.