Hamburger Unternehmen plant mittelfristig mit zwei Millionen Kunden. Zukäufe kleiner Ökostrom-Anbieter geplant. „Auf dem Markt herrscht ein harter Preiswettbewerb.“

Hamburg. Es war lange ruhig um Heiko von Tschischwitz. Vor dreieinhalb Jahren wechselte der Chef von Deutschlands größtem Ökostromanbieter LichtBlick in den Aufsichtsrat des Unternehmens. Seit gut einem Jahr sitzt er wieder im Chefsessel und spricht erstmals über seine neue Strategie. Das Hamburger Unternehmen mit seinen knapp 610.000 Kunden und 480 Mitarbeitern soll künftig aus eigener Kraft, durch Innovationen und Übernahmen wachsen. Die Zeit für Zukäufe sei gut. Der Strommarkt befindet sich laut Tschischwitz in einer Konsolidierung. Nach den Pleiten der Anbieter Teldafax und Flexstrom würden auch andere Ökostromlieferanten, die auf das große Geschäft gehofft hatten, ihre Pläne überdenken. „Ein Versorger braucht 200.000 Kunden, damit sich das Geschäft rechnet. Diese Zahl schaffen nur die wenigsten“, so Tschischwitz.

Auch Stadtwerke wollten aus Furcht, dass ihre Kunden zu einem anderen Anbieter wechseln, den möglichen Verlust durch einen bundesweiten günstigen Online-Tarif ausbügeln. „Doch jetzt merken sie, dass sich dies für sie nicht rechnet. Diese Firmen möchten wir einsammeln“, so Tschischwitz. Als Erstes hat LichtBlick nun den Versorger Nordland Energie mit der Marke Drift geschluckt. „Mit weiteren Firmen sind wir in Gesprächen. Mittelfristig planen wir zwei Millionen Strom- und Gaskunden.“

LichtBlick selbst hat schwierige Zeiten hinter sich. Dem steigenden Forschungsaufwand standen Verluste bei der Kundenanzahl gegenüber. „Auf dem Markt herrscht ein harter Preiswettbewerb. Discounter und von Konzernen oder Kommunen subventionierte Anbieter locken die Kunden mit Dumpingpreisen“, so Tschischwitz, dessen Tarif laut dem Portal verivox.de bei einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden im Jahr 110 Euro teurer ist als der von Hamburg Energie. „Billig allein reicht nicht“, kontert der Manager. 2012 verlor das Unternehmen 120.000 Strom- und Gaskunden. Im Gegenzug wurden aber mehr als 110.000 neue Abnehmer hinzugewonnen. „70 Prozent der Kundenverluste gehen auf Umzüge oder Haushaltsleistungen“, so Tschischwitz, der sich bewusst ist, dass das Stromgeschäft derzeit das stärkste Standbein des Konzerns ist. „2014 wollen wir in der Kundenzahl wachsen.“ Dann wird auch der Umsatz von derzeit 711 Millionen Euro weiter steigen.

Die Leidenschaft des Managers gilt dem Thema Schwarm-Energie. Bunt gemischt wie ein Fisch- oder Vogelschwarm sollen künftig kleine Einheiten entstehen, die Strom erzeugen können. „Derzeit gibt es in Deutschland rund 500 Großkraftwerke, die mit Kohle, Atomstrom und Gas betrieben werden. Sie versorgen ganze Regionen. Gleichzeitig haben wir bereits 1,5 Millionen kleine Kraftwerke, die Energie erzeugen, etwa durch Windstrom, Fotovoltaik und Kraft-Wärme-Kopplung. Diese Zahl wird steigen, sodass die großen Dinosaurier in der Energieversorgung aussterben werden“, so der Manager. In dieser revolutionären Wende will LichtBlick ganz vorne mitmischen. „Für eine sichere und bezahlbare Versorgung braucht die neue, dezentrale Energielandschaft ein funktionierendes Betriebssystem. Und das haben wir entwickelt.“ Mit Volkswagen hat das Unternehmen einen mächtigen Verbündeten gewonnen.

Gemeinsam mit dem Autohersteller hat LichtBlick bereits rund 800 sogenannte Zuhause-Kraftwerke verkauft, die über Kraft-Wärme-Kopplung nicht nur Wärme, sondern auch Energie produzieren. „Doch wenn die Anlagen isoliert stehen, bringen sie die Energiewende nicht voran“, so Tschischwitz. Das Unternehmen hat eine Software entwickelt, mit der diese kleinen Kraftwerke miteinander und mit LichtBlick vernetzt werden können. „Unser neues System Schwarmdirigent ist in der Lage, die Steuerung der Stromproduktion jeder einzelnen Anlage zu regeln“, sagt Tschischwitz. Schon heute steuere der Schwarmdirigent knapp 800 Zuhause-Kraftwerke von LichtBlick-Kunden.

„Ziel ist, dass der von den kleinen Erzeugern nicht benötigte Strom an der Leipziger Strombörse verkauft werden kann.“ LichtBlick könne die Anlagen per Smartphone herunterfahren, wenn das Stromangebot groß und der Preis an der Strombörse niedrig ist. Gleichzeitig werde bei Stromknappheit so viel Energie wie möglich produziert und an der Börse verkauft. „Mit unserer Software können wir erreichen, dass Tausende in Deutschland verstreute Stromerzeuger zusammen viele große Kraftwerke ersetzen können“, so Tschischwitz. Ziel sei, dass die dezentralen Kraftwerke zur Stabilisierung des Stromnetzes dienen können, wenn zu wenig Windstrom verfügbar ist.

Mit Volkswagen, SMA Solar Technology und dem Fraunhofer Institut arbeiten die Hamburger zudem daran, mit gezieltem Be- und Entladen in Batterien von Elektroautos der Volkswagen-Marken Strom zu speichern, der in Notfällen die Stromnetze stabilisieren kann. „Wir sind dafür vom Bund als Leuchtturmprojekt ausgezeichnet worden“, so der Manager. Auch andere Energiekonzerne forschen in der Speichertechnologie. Doch noch handelt es sich um Zukunftsmusik, ein marktfähiges Konzept gibt es noch nicht.

„Statistisch gesehen fährt ein Auto nur 30 Minuten am Tag. Für Elektroautos, die zumeist Zweitwagen sind und wenig gefahren werden, reicht es oft, dass die Batterie für den Betrieb des Fahrzeugs nur halb voll sein muss. Den Rest der Speicherkapazität nutzen wir als Stromspeicher, entweder über das Aufladen der Batterie, wenn zu viel Strom vorhanden ist, oder der Entnahme von Strom aus den Batterien bei einer Flaute.“ Voraussetzung sei, dass der Fahrzeughalter an einer Ladesäule von VW und LichtBlick steht und signalisiert, dass sein Wagen bereit ist. Diese Verfahren können dafür sorgen, dass auch in stromschwachen Zeiten das Licht brennt.