Mit Sonne und Wind in Afrika saubere Energie zu gewinnen, auch für Europa – das war die Idee eines Hamburger Physikers. Firmenkonsortium wollte für das Projekt Desertec 400 Milliarden Euro investieren. Jetzt droht es zu scheitern.

Er ist der geistige Vater und Namensgeber des Desertec-Projekts: Der Hamburger Physiker Gerhard Knies, 75, arbeitet seit mehr als zehn Jahren an dem weltweit größten Energieprojekt. Er will mit Wüstenstrom aus Sonne und Wind sowohl Afrika als auch teilweise Europa mit sauberem Strom versorgen. Nun aber droht das Projekt, in das mithilfe des Desertec-Industriekonsortiums Dii vor drei Jahren sage und schreibe 400 Milliarden Euro investiert werden sollten, zu platzen.

Schon seit geraumer Zeit gab es Meldungen über zunehmende Streitigkeiten zwischen der Desertec-Foundation und dem Konsortium. Stiftung und Industrie, so hieß es, verfolgten mehr und mehr unterschiedliche Ziele. Anfang der Woche erfolgte dann der Bruch. „Die Desertec Foundation gibt die Kündigung ihrer Mitgliedschaft bei der Dii bekannt“, hieß es in einer Presseerklärung. Mit diesem Schritt zieht die gemeinnützige Stiftung „die Konsequenzen aus den unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten bezüglich der zukünftigen Strategie, den Aufgaben und der dafür notwendigen Kommunikation sowie nicht zuletzt des Führungsstils der Dii-Spitze“.

Was ist da los? „Es stimmt“, sagt Gerhard Knies, „es hat persönliche Rivalitäten gegeben, verknüpft mit einer Richtungsdebatte.“ Das sei bei einem solch gigantischen Projekt aber auch völlig normal.

Hintergrund ist ein Konflikt innerhalb der Dii-Führung. Dabei geht es um ein Desertec-Kraftwerk in Marokko. Die bis zu 600 Millionen Euro teure Sonnenanlage namens Sawian am Rande der Sahara sollte das gefeierte Pilotprojekt werden. Während Dii-Geschäftsführer Paul van Son dem Vorhaben eher skeptisch gegenüberstehen soll, halten andere Mitglieder im Industriekonsortium daran fest. Das Problem aber scheint zu sein, dass es für den geplanten Import von Wüstenstrom aus Marokko inzwischen ziemlich heftigen Gegenwind aus Spanien gibt.

Das bestätigt auch Gerhard Knies. „Wir standen mit Spanien im November letzten Jahres kurz vor einem Vertragsabschluss, was die Trassenführung für den Stromimport von Nordafrika nach Europa angeht. Die Vereinbarung war ausgearbeitet, doch im letzten Moment haben die Spanier einen Rückzieher gemacht.“

Das ist vielleicht nicht so verwunderlich, wenn man weiß, dass das wirtschaftlich angeschlagene Transitland mittlerweile selbst zu den Stromexporteuren gehört. „Die Spanier exportieren inzwischen selbst Strom aus erneuerbaren Energien nach Nordafrika“, sagt Knies.

Es war das Jahr 1986, als Gerhard Knies, damals Physiker bei Desy in Hamburg, mit dem Umdenken begonnen hat. Schlagartig sozusagen, nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Damals, so sagt er, wurden ihm zwei Dinge urplötzlich klar: Menschliches Versagen ist niemals auszuschließen. Dessen tödliche Folgen aber, wie im Fall des größten anzunehmenden Unfalls (GAU), dürfen der Menschheit nicht länger zugemutet werden. Seitdem hat er eine Zahl im Gepäck: In sechs Stunden empfangen die Wüsten der Erde mehr Energie von der Sonne, als die Menschheit in einem ganzen Jahr verbraucht. Damit überzeugte Knies Anfang des Jahres 2009 große Industrieunternehmen wie die Münchner Rück, Siemens oder RWE, sein Projekt zu realisieren. Es war die Geburtsstunde der Desertec Industrial Initiative.

Die Zahl gilt auch heute noch. Allerdings haben die erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne vor allem in Europa mächtig an Fahrt aufgenommen. Und spätestens seit der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima scheint die Energiewende nahezu unumkehrbar. Was dazu führt, dass sich Länder wie Dänemark oder Deutschland mittlerweile viel ehrgeizigere Zeitziele als Länder in Nordafrika gesetzt haben, ab wann sie großteils mit der Verbrennung von Öl, Gas oder Kohle aufhören wollen.

Interessant ist in dem Zusammenhang die jüngste Meldung des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR), basierend auf einer Auswertung der Strombörse EEX. Danach wurde am 16. Juni in Deutschland ein weltweiter Rekord aufgestellt. Sonne und Wind hatten an diesem Tag einen Anteil von mehr als 60 Prozent an der Stromversorgung in Deutschland. Windanlagen lieferten eine Leistung von 9300 Megawatt, Solaranlagen eine Leistung von etwa 20.300 Megawatt.

Und laut Bundesverband Solarwirtschaft nehmen die Menschen hierzulande die Energiewende inzwischen selbst in die Hand: Jeder zehnte Bundesbürger produziert bereits Solarenergie. Rund 8,5 Millionen Menschen in Deutschland leben in Gebäuden, die über eine eigene Solaranlage zur Strom- oder Wärmeerzeugung verfügen. Die im Lande installierten Solaranlagen werden allein 2013 den Ausstoß von rund 24 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermeiden.

Wer braucht also noch den Strom aus der Wüste? Die Konzerne Siemens und Bosch haben diese Frage schon für sich beantwortet und sind bei Dii wieder ausgestiegen.

„Wir haben immer gesagt, dass durch Desertec höchstens 20 Prozent des europäischen Strombedarfs gedeckt werden sollen und dass 80 Prozent für den Eigenbedarf der nordafrikanischen Länder sind“, sagt Knies. Es gehe bei Desertec vor allem auch um Technologietransfer sowie die Kooperationen von universitären Einrichtungen.

In Tunis wurde vor knapp drei Jahren das Desertec University Network gegründet. Dort arbeiten Nachwuchswissenschaftler aus Marokko und Algerien, Tunesien und Libyen, Ägypten und Jordanien an einer sauberen Energiezukunft, die das Zwei-Grad-Ziel verfolgt. Also das Ziel, die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad gegenüber dem Niveau vor der Industrialisierung zu begrenzen. Allerdings tritt dieses Ziel beim Kampf um die politische Zukunft in den Ländern derzeit komplett in den Hintergrund. „Die Regierungen kämpfen ja teilweise um das Überleben in den nächsten zwei Stunden“, formuliert Knies drastisch. Da muss das Überleben der Menschheit zunächst einmal mit einem Schattendasein zufrieden sein. Anders gesagt: Die politischen und wirtschaftlichen Umstände machen Desertec das Leben schwer. So ist die unsichere Lage in Nordafrika seit dem Arabischen Frühling für Investitionen Gift. Hinzu kommt die Schulden- und Wirtschaftskrise in Europa. Für Projekte außerhalb das Kontinents ist kaum Geld da.

Ein endgültiger Bruch zwischen Stiftung und Industrie ist aber noch nicht ganz zu vermelden. Die Desertec Foundation betont ausdrücklich ihr Verständnis für die Herausforderungen, mit denen das Industriekonsortium zu kämpfen hat.

Thiemo Gropp, Vorstand der Desertec Foundation: „Es war uns immer klar, dass die Umsetzung der Idee, in den Wüsten dieser Erde Strom zu produzieren, kein leichtes Unterfangen wird und mit extremen Herausforderungen verbunden ist. Die Mitarbeiter von Dii haben Enormes für die globale Energiewende geleistet. Nach diskussionsreichen Monaten müssen wir aber leider feststellen, dass es unsere Aufgabe ist, die Unabhängigkeit der Desertec Foundation nicht zu gefährden. Deshalb werden Dii und die Stiftung getrennte Wege gehen, was eine zukünftige Zusammenarbeit aber nicht ausschließt.“

Ist das der Anfang vom Ende für Desertec? „Wir sind weiterhin von der Wüstenstrom-Idee überzeugt“, sagt eine Sprecherin von Dii-Mitglied RWE. Zugleich kündigt sie aber auch an, die Situation bei Dii zusammen mit den anderen Partnern zu analysieren. Die Stiftung selbst will sich nun auf Projekte in Chile und Peru, Japan und China sowie vor allem in Saudi-Arabien konzentrieren. Aber auch für Projekte in Nordafrika ist das noch nicht das Ende. „Wir sind offen für alles“, sagt Gropp auf die Frage, ob eine Zusammenarbeit mit einem neuen Management bei der Industrieinitiative noch möglich sei.

Ist der Traum von Gerhard Knies vom sauberen Strom aus der Wüste für eine Welt mit zehn Milliarden Menschen, den auch Friedensnobelpreisträger Al Gore stets lautstark unterstützt hat, nun geplatzt? „Nein, natürlich nicht“, sagt Knies. Sie hätten doch schon so viel erreicht, in vielen Köpfen habe längst ein Umdenken stattgefunden, und nun müsse man sich eben wieder auf die veränderten Realitäten einstellen. Für das Gesamtprojekt sei die Trennung von Stiftung und Industrie nicht entscheidend, schließlich habe die Dii ihren Planungsauftrag erfüllt. „Es ist doch nicht nur mein persönlicher Traum“, sagt Knies, „es ist inzwischen der Traum von ganz vielen Menschen auf der Welt.“