Niels Annen war ein Hoffnungsträger der SPD - umso tiefer erschien sein Absturz. Jetzt kandidiert er in Eimsbüttel wieder für den Bundestag.

Eimsbüttel. Es sind zumeist Sozialdemokraten der älteren Generation, die an diesem Abend in den Gartensaal des Hamburger Hotels Baseler Hof gekommen sind. Das Forum Internationale Politik der hanseatischen SPD hat zur Diskussion geladen. Das Thema ist die Zukunft der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik. Es ist zugleich das Thema schlechthin für den Hauptredner der Veranstaltung, für Niels Annen. "Die Außenpolitik hat mich schon mein gesamtes politisches Leben begleitet", sagt er. Und so fühlt er sich sichtlich wohl, wenn er im 150. Jahr der SPD über Außenbeziehungen spricht und über die "Kultur der Zurückhaltung" der aktuellen schwarz-gelben Bundesregierung schimpft. Annen, inzwischen 40 Jahre alt, will zurück auf die Bühne der Politik, zurück in den Bundestag. Für seinen Comebackversuch kehrt er ausgerechnet an den Ort zurück, an dem er seine größte Niederlage erlitt.

Annen hat Höhen und Tiefen erlebt. Er wurde als Juso-Vorsitzender von den Medien erst gefeiert, dann als Dauerstudent in den Medien und in sozialen Netzwerken verspottet und als Bundestagsabgeordneter schließlich von der eigenen Partei vom Hof gejagt. Seither ist der Spross einer Arbeiterfamilie, 1973 in Hamburg geboren und 1989 in die SPD eingetreten, gelassener geworden und dankbar für die Erfahrungen. "Ich war Vorsitzender in einer für die Jusos schwierigen Phase. Gerhard Schröder hatte die Agenda 2010 durchgesetzt, gegen manchen Widerstand", erinnert sich Annen, der sich damals ständig mit dem "nicht immer gut gelaunten, aber sehr durchsetzungsfähigen Bundeskanzler auseinandersetzen musste."

Die Öffentlichkeit beobachtete den aufstrebenden und streitbaren Sozialdemokraten: "Ich war zweimal bei Harald Schmidt, als ihn die Leute noch geguckt haben, war in Talkshows, und habe Interviews in den großen Zeitungen gegeben", sagt Annen. Auch deshalb verspürt er heute nicht mehr den Druck, auf sich aufmerksam machen zu müssen: "Ich muss mich in der Berliner Käseglocke nicht um die besten Fotoplätze hinter dem Kanzlerkandidaten drängeln. Das hatte ich alles schon mal." Es verändere das Leben ohnehin deutlich weniger, als man beim ersten Mal denke.

Annen weiß, dass es in der Politik weder Garantien noch einen Anspruch auf Erfolg gibt, auch wenn ihn wohl insbesondere die schweren Momente nie ganz loslassen werden. Immer noch wird er darauf angesprochen. Annen hatte von 2005 bis 2009 für den Wahlkreis Eimsbüttel im Bundestag gesessen und hoffte seinerzeit auf eine erneute Kandidatur. Doch der Etablierte scheiterte, völlig überraschend, weil sich die Genossen 2008 für den bis dato unbekannten Studenten Danial Ilkhanipour entschieden. Bei der Bundestagswahl 2009 erlebte dann Ilkhanipour sein Debakel, landete hinter Rüdiger Kruse (CDU) und Krista Sager (Grüne) auf Platz drei. Vier Jahre zuvor hatte Annen den Wahlkreis direkt geholt - seit 1949 beinah eine Selbstverständlichkeit für die SPD in Eimsbüttel.

"Das war für alle Beteiligten eine bittere Erfahrung", blickt Annen auf 2009 zurück. Doch er ordnet die Niederlage lieber ein, statt sich mit Zorn zu belasten. "Ich war mal einer von mehr als 620 Abgeordneten im Bundestag und einer von denen, die ihr Mandat wieder verloren haben. Das war nicht schön für mich, war aber auch kein weltpolitisches Ereignis."

Heute könne er "mit gutem Gewissen sagen, dass wir uns in Eimsbüttel zusammengerauft haben". Geschlossenheit sei eine wichtige Voraussetzung für politischen Erfolg. Denn für die Eimsbütteler Sozialdemokraten soll er bei der Bundestagswahl im September den Wahlkreis zurückholen. "Wieder als Kandidat anzutreten, ist sicher keine einfache Entscheidung für Niels Annen gewesen", sagt der Kreisvorsitzende Milan Pein. Aber die Genossen hätten ihn "mit offenen Armen empfangen", stünden geeint hinter ihm. Bei seiner Nominierung erhielt Annen Ende 2012 eine Zustimmung von mehr als 90 Prozent. "Jeder, der eine Aufgabe hat - ob nun in der Politik oder anderswo - hat es leichter, wenn er unterstützt wird", freut sich Annen, seit 2003 Mitglied im SPD-Parteivorstand, über den zurückgewonnenen Rückhalt.

Bevor er allerdings nach Eimsbüttel zurückkommen konnte, musste er erst gehen. Ganz bewusst hat er sich für eine Auszeit entschieden. Annen schloss endlich sein Studium ab, ging ins Ausland, arbeitete in Washington für eine Denkfabrik. Nicht nur, dass sein Blick auf Deutschland, auf das hierzulande von den Menschen Erreichte, milder geworden ist. Auch hat ihm der Abstand gutgetan. "Allein durch meine Anwesenheit hätte ich die Leute ständig an den alten Konflikt erinnert. Und Zeit heilt viele Wunden", sagt Annen, der die Ereignisse von 2008/2009 abgehakt und längst ein "gutes" Verhältnis zu seinem früheren Widersacher Ilkhanipour hat. Auch Ilkhanipour hegt "keinen Groll oder Ähnliches": "Wir sind beide überzeugte Sozialdemokraten. Und bei allen Unterschieden verbindet uns mehr als uns trennt." Beide kämpften für eine starke SPD in Eimsbüttel. Folglich sei alles andere, als Annen nun zu unterstützen, "nie eine Option" für ihn gewesen.

Weil Politik nun mal ein wichtiger Teil seines Lebens ist und er "ein emotionales Verhältnis" zu Eimsbüttel hat, ist es für Annen wenig überraschend, genau dorthin zurückzukehren. "Er ist mit Sicherheit erfahrener geworden, seit er das letzte Mal Bundestagsabgeordneter war", sagt Pein über Annen. Das seither Geschehene habe ihn geprägt, Annen sei dadurch noch reifer, noch besser geworden. "Er hat schon immer Mut zur Meinung gehabt, das war stets sein Motto. Wenn er von einer Sache überzeugt ist, dann vertritt er das auch. Das ist etwas, was man heute nicht mehr bei allen Politikern antrifft", lobt Pein. Mit Annen habe die SPD-Eimsbüttel die Chance, den Wahlkreis wieder zurückzuholen. Der Kandidat selbst gibt sich ebenso kämpferisch, will sich für bezahlbare Mieten, gerechte Bildung und den Ausbau der Kinderbetreuung einsetzen. Er wolle und könne gewinnen, sagt der leidenschaftliche Verfechter des Sozialstaates.

Folglich geht Annen direkt auf die Wähler zu, besucht sie in ihren Wohnzimmern und nutzt Gelegenheiten wie die Diskussion an diesem Abend im Hotel Baseler Hof, schärft sein Profil als Außen- und Europapolitiker: Aus Angst vor einer negativen Reaktion zu Hause verzichte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit vier Jahren auf eine eigene Außenpolitik. "Das war in Libyen ebenso der Fall wie in Mali. Deutschland verzichtet darauf, am Tisch zu sitzen, wenn die eigenen Bündnispartner entscheiden. Gestaltungswille - Fehlanzeige", klagt Annen. Stattdessen gelte es, die Welt gemeinsam zu gestalten und dafür nach Partnern zu suchen. Angriffslustig wie in früheren Jahren richtet er diese Worte an die Genossen - an Genossen, die ihre ikonenartigen Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt miterlebt, aber auch die schmerzhaften Reformen unter Schröder durchlebt haben. In Annen sehen sie wieder einen Hoffnungsträger - einen, der die Sprache der Basis spricht und nicht aufgibt.

"Sozialdemokratische Wähler sind meist ein bisschen anspruchsvoller als die der anderen Parteien. Wir haben seit 150 Jahren die Vorstellung, die Welt zu verbessern", erklärt Annen. Doch höhere Erwartungen führten auch zu größeren Enttäuschungen. "Wir müssen einfach bessere Politik machen, dann unterstützen uns die Wähler auch wieder", sagt er. Am 22. September entscheidet sich, ob Niels Annen diesen Auftrag erfüllt hat.