NEUSTADT. Vielleicht hätte es an einem anderen Ort niemanden gestört. Oder zu einer anderen Zeit. "ACAB" könnte rein theoretisch so ziemlich alles heißen. Der Fantasie sind da kaum Grenzen gesetzt. "Altes Chamäleon ackert beträchtlich" ist ein scherzhaft überzogener Vorschlag, den der Staatsanwalt im Prozess vor dem Amtsgericht macht, eine sehr hübsche Idee und auch ausgesprochen kreativ. So gesehen wäre es ganz bestimmt keine Provokation oder gar eine Beleidigung.

Doch der Ankläger weiß mit am besten, dass diese spezielle fantasievolle Interpretation alles andere als nahe liegend ist, wenn man bedenkt, dass dieser Schriftzug am Rande eines Fußballspiels an der U-Bahn-Haltestelle Feldstraße zur Schau getragen wurde, von einem jungen Mann und direkt vor einer Gruppe Polizisten. Und vor allem angesichts der Tatsache, dass im Internet und in bestimmten Personenkreisen eine sehr eindeutige Auslegung kursiert, die ganz und gar nicht wohlmeinend ist. Danach bedeutet die Buchstabenkombination nämlich häufig: "All Cops are Bastards" (Alle Polizisten sind Bastarde). Und genau so und nicht anders ist es laut Staatsanwaltschaft auch gemeint gewesen, als Affront, als Beleidigung.

Nicht doch! Das Ganze sei eine Fehlinterpretation, ist jetzt im Prozess die Botschaft des jungen Mannes, den dieser vermeintlich inkriminierende Schriftzug vor Gericht gebracht hat. Giorgio R. (Name geändert) will die Initialen ganz anders verstanden wissen. "All Colours are beautiful" (Alle Farben sind schön) habe er damit ganz friedfertig und harmlos ausdrücken wollen, lässt der 23-Jährige wissen, dessen optisches Erscheinungsbild so gar nicht zu diesem bunten und fröhlichen Motto zu passen scheint. Dunkle Kleidung, düstere Miene, ein Arm wild tätowiert, so sitzt der Hamburger da, dem die Anklage vorwirft, am 12. November vergangenen Jahres anlässlich eines Fußballspiels des FC St. Pauli gegen den VfL Bochum eine Mütze mit besagter Buchstabenreihe "ACAB" getragen zu haben. Die Kopfbedeckung mit den weißen Initialen auf schwarzem Grund habe er so gedreht, dass der Schriftzug einer Reihe von Polizisten nur allzu deutlich ins Auge fiel, so die Staatsanwaltschaft.

"Der Angeklagte ging an uns vorbei, er schritt uns praktisch ab, sodass die Buchstaben genau zu sehen waren", erinnert sich ein Polizeibeamter als Zeuge. "Ich habe das als Beleidigung empfunden." Gerade einmal etwa zwei Meter sei der Mann von ihnen entfernt gewesen. Als er ihn ansprach, habe der Mann behauptet, dass der Schriftzug "All Colours are beautiful" heißen solle. "Aber in der Fußballszene ist bekannt, dass es für 'All Cops are Bastards' steht", betont der Polizist. Als er seinerzeit die Mütze sicherstellte, habe der Mann gemeint, "dass ich ja auch einen Schriftzug habe, der ihm nicht passt, nämlich 'Polizei'. Er sagte außerdem: Ich hasse dich und du mich." Auch drei weitere Beamte bestätigen als Zeugen, dass die vier Buchstaben auf der Mütze sehr deutlich zu erkennen waren.

Bei einer Befragung durch die Polizei indes hatte der Angeklagte, der sein Geld als Kellner verdient, seinerzeit gemeint, er "streite den Akt der Provokation ab". Und sein Verteidiger legt jetzt in der Verhandlung zu Beweiszwecken Fotos von einem T-Shirt mit dem Aufdruck "ACAB" vor, das im Internet zu kaufen sei. Demnach habe dieser Schriftzug tatsächlich die ausnehmend friedliche und farbenfrohe Botschaft, dass "alle Farben schön" seien.

Theoretisch sind beide Interpretationen möglich, sagt der Staatsanwalt, "All Cops are Bastards" genauso wie "All Colours are beautiful". Bei der Deutung der Buchstabenkombination komme es deshalb auf den Zusammenhang an. Wenn etwa ein Neonazi ein Spruchband mit den Buchstaben "HH" hochhalte, liege es nahe, dass er damit "Heil Hitler" meine und nicht etwa die Vorzüge einer schönen Stadt preise. "Aber am Nummernschild meines Autos heißt es ganz klar Hansestadt Hamburg", betont der Ankläger. Entsprechend müsse auch in diesem Fall beachtet werden, dass es nicht etwa um die Eröffnung der Filiale einer Modekette geht und "auch nicht um die Gartenschau". Zusammen mit der Bemerkung des Angeklagten, "Ich hasse dich und du mich", sei die beabsichtigte Bedeutung klar und damit die Beleidigung erwiesen, fasst der Staatsanwalt seine Überzeugung zusammen.

Eine Strafe von 60 Tagessätzen zu 30 Euro, also insgesamt 1800 Euro, verhängt am Ende der Amtsrichter in seinem Urteil gegen Giorgio P. "Wer mit einer solchen Mütze auf Polizisten zugeht, begeht eine Straftat und zahlt dafür", macht der Richter klar. Das könne der Angeklagte auch ruhig weitererzählen, schlägt der Jurist vor. Was die Initialen "ACAB" bedeuten, sei in der Rechtsprechung ausreichend geklärt und immer wieder durch Gerichte bestätigt worden. In diesem Fall sei auch nicht etwa die unbegrenzt große und deshalb unbestimmte Menge aller Polizeibeamten gemeint gewesen. "Er ist auf eine kleine Gruppe Polizeibeamten zugegangen mit der Intention, sie herabzuwürdigen." Eine Beleidigung durch den Angeklagten steht demnach für ihn fest. Solche Äußerungen seien zudem nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, betont der Richter. "Und Polizisten sind kein Freiwild für die Spaßgesellschaft."