270 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs beim Hamburger Versandhändler. Konzern will jährlich 50 Millionen Euro sparen. Mitarbeiter sollen entweder über Altersteilzeitregelungen ausscheiden oder Abfindungen erhalten.

Hamburg. Von seinem Büro im sechsten Stock der Otto-Zentrale hat Alexander Birken einen beneidenswerten Blick über Hamburg. Kleine Bäume stehen auf der Terrasse, an den Wänden hängen abstrakte Gemälde der norddeutschen Künstlerin Sylvia Goebel und Fotografien aus Chicago, wo der hochgewachsene Manager einige Jahre gelebt hat. Auf seinem Schreibtisch steht das iPad neben den Familienfotos.

Wenig erinnert in dieser ruhigen Atmosphäre an die Kämpfe, die Birken in den vergangenen Monaten beim weltgrößten Versandhändler ausgefochten hat. Der 48-Jährige ist der Verantwortliche für das Spar- und Umstrukturierungsprogramm Fokus, mit dem der Handelskonzern versucht, die Kosten im deutschen Kerngeschäft zu senken und an die Geschwindigkeit der Onlinekonkurrenz anzuschließen. Für die rund 6300 Beschäftigten bei den drei deutschen Versendern Otto, Baur und Schwab bringt das Programm heftige Einschnitte mit sich. Seit Oktober vergangenen Jahres hat Birken mit den Betriebsräten über den bevorstehenden Stellenabbau verhandelt, teils mehrere Gespräche pro Woche geführt. Es ging um die Zukunft einzelner Mitarbeiter und ganzer Abteilungen. Ein Thema "kneten" nennen sie das bei Otto. "Das war ein anstrengender, aufreibender Prozess, der alle Beteiligten auch psychisch stark belastet hat", sagt der Konzernvorstand für den Bereich Multichannel Distanzhandel.

Nun stehen die Ergebnisse fest. "Wir werden bei den drei Versendern Otto, Baur und Schwab bis 2015 rund 270 Vollzeitstellen abbauen", sagt Birken. 200 Stellen würden bei Otto überwiegend in Hamburg gestrichen, 60 bei Baur in Burgkunstadt und zehn bei Schwab in Hanau.

Die betroffenen Mitarbeiter sollen entweder über Altersteilzeitregelungen aus dem Unternehmen ausscheiden oder Abfindungen erhalten. "Ob wir in diesem Prozess ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen werden, hängt davon ab, inwiefern die Betroffenen die Angebote, die wir ihnen machen, annehmen", sagt Birken.

Insgesamt streicht Otto im Rahmen des Fokus-Programms 650 Arbeitsplätze, etwas weniger als die ursprünglich angekündigten 700 Stellen. Der größte Teil ist laut Birken schon durch die Nichtbesetzung frei gewordener Jobs, Versetzungen oder andere Maßnahmen weggefallen. Rund 100 Arbeitsplätze konnten durch den Lohnverzicht von Mitarbeitern in der Buchhaltung gesichert werden, die nun in eine Tochtergesellschaft mit dem Namen Otto Shared Service Center wechseln. "Insgesamt können wir über die Hebung der Synergiepotenziale und die klare Onlineausrichtung unserer Prozesse und Strukturen Einsparungen in Höhe von 50 Millionen Euro jährlich realisieren", sagt Birken. Dies entspreche dem ursprünglich angepeilten Volumen.

Deutliche Kritik kommt von den Arbeitnehmervertretern. "Für die betroffenen Mitarbeiter ist der Personalabbau ausgesprochen bitter", sagt der Betriebsratsvorsitzende des deutschen Versenders Otto, Karl-Heinz Grussendorf. "Diese einschneidende Maßnahme hätte vermieden werden können, wenn der Vorstand die Weichen rechtzeitig richtig gestellt und die Zahl der Arbeitsplätze Stück für Stück an die veränderten Marktbedingungen angepasst hätte."

Die Wandlung des Geschäftsmodells vom Katalog hin zum Onlinehandel sei schließlich schon seit Jahren absehbar gewesen. "Daher ist es höchst ärgerlich, dass der Stellenabbau nun in einem Hauruckverfahren geschieht." Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen sei es aber immerhin gelungen, ein gutes Ergebnis für die Betroffenen auszuhandeln. Die angebotenen Regelungen bezeichnete Grussendorf als "akzeptabel".

Die Einschnitte gehen mit der Umstrukturierung zahlreicher Bereiche der drei Versender einher. Zum einen legt der Konzern den Einkauf für die drei Marken zusammen. "Die Bündelung gibt uns vor allem im Textilbereich eine größere Schlagkraft und Flexibilität", ist Birken überzeugt. Künftig soll es möglich sein, auf aktuelle Modeentwicklungen schneller als bisher zu reagieren und erst im Herbst identifizierte Trends noch in die Frühjahrskollektion des kommenden Jahres aufzunehmen.

Während es in zukunftsträchtigen Abteilungen wie dem E-Commerce praktisch keine Kürzungen gibt, werden andere Abteilungen wie etwa die Betreuung von Sammelbestellern deutlich verkleinert. Diese Bestellart, bei der einzelne Personen Waren für Freunde oder den Nachbarn ordern, spielt heute bei Otto eine immer geringere Rolle.

Werbung und Präsentation von Mode will der Konzern künftig ebenfalls für die deutschen Versender bündeln und "formatneutral" gestalten. Soll heißen: Bislang wurden Fotostrecken für eine neues Kleid oder eine neue Hose zunächst für den Katalog konzipiert und dann auf die anderen Medien wie zum Beispiel den Onlineshop übertragen. Diese führende Rolle der gedruckten Medien wird es künftig nicht mehr geben.

Damit trägt der Konzern der Tatsache Rechnung, dass schon heute 80 Prozent der Erlöse der Otto-Einzelgesellschaft über das Netz erzielt werden. Papier spielt eine immer geringere Rolle. "Über den traditionellen Hauptkatalog generieren wir heute nur noch acht Prozent des Umsatzes", sagt Birken. "In zwei bis drei Jahren werden wir uns vermutlich ganz vom Hauptkatalog verabschieden." Dann werde es ausschließlich Spezialkataloge geben, die sich an bestimmte Zielgruppen richteten.

Durch die Einsparungen bei Fokus will Otto auch preislich attraktiver werden. Bislang hat der Versender nämlich das Problem, dass die Angebote des Unternehmens im Ranking der Preissuchmaschinen selten an oberster Stelle auftauchen. "Im Hartwarenbereich haben wir unsere Hausaufgaben bereits gemacht", sagt Birken.

"Wir sind nicht der billige Jakob, aber unsere Angebote und Preise sind absolut wettbewerbsfähig - auch mit Hinblick auf den Service, den wir den Kunden bieten." Entwicklungsbedarf gebe es hingegen noch bei der Damenoberbekleidung. "Hier wollen wir unsere Sortiments- und Fashionkompetenz noch deutlich ausbauen. Das wird sich auch in einer schnelleren Liefergeschwindigkeit zeigen", sagt Birken.

Erste positive Auswirkungen von Fokus sind aus Sicht des Managers bereits spürbar. "Wir rechnen im laufenden Geschäftsjahr mit einem Umsatzplus von mindestens fünf Prozent bei der Otto-Einzelgesellschaft." Dies gelte auch für die Versender Baur und Schwab. Bezüglich der Rendite liege man bei der Marke Otto im Korridor des internen Ziels von vier Prozent.

Die Zuwächse dürften allerdings erneut nicht ausreichen, um die Erosion der Marktanteile der Hamburger zu stoppen, da die gesamte Versandhandelsbranche inklusiv des boomenden Onlinehandels ein Plus von fast elf Prozent in diesem Jahr in Deutschland erwartet. "Wir wollen und müssen nicht mit den Wachstumsstorys von Unternehmen konkurrieren, die sich mithilfe von Risikokapitalgebern Marktanteile kaufen und dabei nicht auf die Rentabilität ihres Geschäftsmodells achten müssen", sagt Birken fast ein wenig trotzig. Man verfolge eine ergebnisorientierte Strategie.

Es ist eine Formulierung, die schon Konzernchef Hans-Otto Schrader bei der Präsentation der Bilanz der gesamten Gruppe vor einigen Wochen verwendete und die vor allem auf die aggressiven Wettbewerber Zalando und Amazon gemünzt ist.

Vom weltgrößten Onlinehändler Amazon will sich Otto vor allem inhaltlich abgrenzen. "Amazon ist eher männlich ausgerichtet, Otto eher weiblich", sagt Birken mit Blick auf die Tatsache, dass überwiegend Frauen bei den Hamburgern einkaufen.

In der Personalplanung will der Vorstand den Forderungen der Betriebsräte für die Zukunft entgegenkommen. Einen so deutlichen Arbeitsplatzabbau wie bei Fokus soll es nicht mehr geben. "In Zukunft werden wir unsere Strukturen permanent anpassen", sagt Birken. "Lieber ein paar kleine Schmerzen als ein großer."