Der 48-Jährige aus Billstedt hatte zuvor angekündigt, sich umbringen zu wollen. Er wird an beiden Beinen getroffen, kommt ins Krankenhaus.

Es sind dramatische Szenen, die sich am Mittwochvormittag auf St. Pauli abspielen: Ein offenbar lebensmüder Mann spielt mit seinem Leben. Er reizt die Polizei, will sich erschießen lassen. Er bedroht Passanten. Mehrfach richtet er seine Waffe gegen sich selbst. Schließlich geht er mit vorgehaltener Pistole er auf die Beamten zu, die sich auf der Seilerstraße hinter einem Streifenwagen verschanzt haben. Kurz darauf fallen Schüsse. Sie treffen den 48-Jährigen in beide Beine. Mit einem Rettungswagen wird er in ein Krankenhaus gebracht. Es besteht keine Lebensgefahr.

Mehr als ein halbes Dutzend gelber Farbkreise, gezogen mit einer Farbspraydose, zeugen auch am Abend noch von den Schüssen auf den Mann aus Billstedt. Sie markieren, wo die Hülsen der Patronen auf dem schmutziggrauen Asphalt liegen blieben. Geschossen haben sollen zwei Beamte der Wache 41 in Hamm, die mit ihrem Peterwagen zuvor die Seilerstraße abgesperrt hatten. Die Polizei wollte das nicht bestätigen.

Sieben Schüsse scheinen die Beamten abgegeben zu haben. Erwin H. wird von zwei Kugeln getroffen. Eine durchschlägt das Schienbein des rechten Beines, die andere trifft den Oberschenkel des linken. Die Arterien werden nicht verletzt, was von äußerst präzisen Schüssen zeugt.

Die Videoaufzeichnungen eines Café-Besuchers, der den Polizeieinsatz mit seinem Handy durch die Fensterscheiben filmt, zeigen einen bewaffneten Mann: groß, kräftig. Er trägt eine dunkelblaue Wetterjacke über dem bunten Hemd, außerdem eine beigefarbene Hose. Als ihn der erste Schuss trifft, taumelt er kurz, doch dann richtet er sich wieder auf - und geht weiter auf die Polizisten zu. So als warte er nur darauf, dass weitere Schüsse fallen.

Für die Ermittler erscheint mittlerweile klar, dass der 48-Jährige die Situation bewusst eskalieren ließ. Mehrere Zeugen sagten aus, Erwin H. habe gedroht sich umzubringen, sich zu erschießen. Zu den Hintergründen ist nur wenig bekannt. Einem Taxifahrer soll er anvertraut haben, schwer krank zu sein. Medienberichten zufolge soll er von seiner Familie verlassen worden sein. Allerdings: Mit seiner Waffe hätte er sich zwar schwer verletzen, aber wohl nicht das Leben nehmen können - es handelt sich um eine Gaswaffe.

Wie die Polizei mitteilte, hatte sie bereits in der Nacht nach dem 48-Jährigen gesucht. Grund: Um kurz vor 3 Uhr am frühen Morgen hatte sich der Mann von einem Taxifahrer von der Steinbeker Hauptstraße zur Reeperbahn chauffieren lassen. Der Taxifahrer, dem er nicht nur seine angebliche Krankheit anvertraute, sondern auch, dass er sich nun betrinken und dann umbringen werde, hatte sich daraufhin auf der Davidwache gemeldet.

Während die Suche nach dem Mann in der Nacht noch erfolglos bleibt, meldet sich knapp sieben Stunden später ein Gast der Kneipe Elbschloss Keller am Hamburger Berg: Dort sitze jemand mit einer Waffe am Hosenbund, der sich umbringen wolle. Als die Polizei kurz vor 11 Uhr eintrifft, hat Erwin H. bereits das bekannte Kiezlokal verlassen und läuft mit gezogener Waffe durch die angrenzenden Straßen.

Einem Polizisten gelingt es noch, den 48-Jährigen in ein Gespräch zu verwickeln. Unterdessen sperren seine Kollegen den Bereich weiträumig ab, der Polizeihubschrauber "Libelle" steigt auf, das Mobile Einsatzkommando (MEK) ist auf dem Weg. Doch Erwin H. weigert sich, seine Waffe abzulegen. Polizeisprecherin Karina Sadowsky: "Der 48-Jährige ließ sich zunächst auf das Gespräch ein, richtete dann aber plötzlich die Waffe auf die Einsatzkräfte und drückte ab. Als sich aus der Waffe kein Schuss löste, lud er erneut durch."

Für die Polizisten ist es eine ganz schwierige Situation, denn sie wissen nicht, um welchen Typ Waffe es sich handelt, ob sie scharf ist und geladen. Ein Warnschuss wird abgegeben. Als Erwin H. nicht reagiert, stoppen ihn die Beamten durch ihre gezielten Schüsse. Mit einem Rettungswagen wird der Verletzte in die Asklepios Klinik St. Georg gebracht.

Für die Beamten ist der Einsatz noch lange nicht zu Ende: Ob sie in Notwehr oder Nothilfe gehandelt haben, ob ihre Reaktion verhältnismäßig war, wird nun die der Innenbehörde unterstellte Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) klären. Das LKA 41, die Mordkommission, übernimmt dabei die Tatortarbeit, erklärte ein Polizeisprecher. Dies sei der übliche Weg, da die Beamten aus rein strafrechtlicher Sicht eine schwere Körperverletzung begangen haben.