Obwohl der Ex-SPD-Abgeordnete in Indien festsitzt, wird in Hamburg weiterverhandelt. Am 21. Mai wird der Prozess fortgesetzt.

Neustadt. Dass Bülent Ciftlik nicht erscheint zum Verhandlungstermin im Landgericht, überrascht nicht: Seit Mitte März sitzt der 41-Jährige in Indien fest. Weil ihm nach einem Verkehrsunfall, in den er angeblich verwickelt ist, sein Reisepass abgenommen worden war, kann der einstige Hoffnungsträger und Sonnyboy der SPD nicht an der Hauptverhandlung vor dem Landgericht teilnehmen. Der Prozess läuft seit mehr als einem Jahr, angeklagt ist Ciftlik wegen neun Straftaten - unter anderem soll er eine Ex-Freundin überredet haben, eine Scheinehe mit einem türkischen Bekannten einzugehen.

Am Montag nun hatte das Gericht zu befinden, ob der Prozess gegen den 41-Jährigen fortgesetzt werden kann. Dies wäre nach der Strafprozessordnung dann möglich, wenn Ciftliks Fehlen eigenmächtig, also selbstverschuldet wäre. Eine Entscheidung über den Fortgang der Hauptverhandlung war für Montag erwartet worden - tatsächlich ist sie am Montag lediglich vertagt worden. "Wir werden die Hintergründe des Falls noch weiter prüfen", sagt der Vorsitzende Richter Rüdiger Göbel. Am 21. Mai werde der Prozess fortgesetzt.

Die Verteidiger von Bülent Ciftlik, Gabriele Heinecke und Florian Melloh, können kaum glauben, was sie gerade gehört haben. Die Anwälte halten die Fortsetzung des Verfahrens für verfassungswidrig. Nach der Strafprozessordnung darf ein Strafprozess maximal für 30 Tage unterbrochen werden - diese Frist sei bereits am 12. April verstrichen. "Deshalb muss der Prozess neu aufgerollt werden", sagt Heinecke. Der Beschluss des Gerichts benachteilige ihren Mandanten, beschneide seine prozessualen Rechte. Zudem bürde jeder Verhandlungstermin Ciftlik weitere Kosten auf. Die Verteidiger wollen nun beantragen, den Prozess nicht weiter fortzusetzen, ansonsten werde wohl ein Befangenheitsantrag fällig.

Was war passiert? Nach Angaben von Ermittlern und einer Verbindungsbeamtin des Bundeskriminalamtes war Ciftlik am 11. März aus "geschäftlichen Gründen" nach Indien geflogen. Am 13. März soll Ciftlik, der in einem Mietwagen in der nordindischen Stadt Patilia mit einem Geschäftspartner unterwegs war, mit dem Neuwagen eines Einheimischen kollidiert sein. Das angebliche Opfer will demnach noch gesehen haben, wie ein "Ausländer - westlicher Typ" vom Unfallort davongerannt sei - angeblich Ciftlik. Nun hatte der türkischstämmige Hamburger die Wahl: Entweder er zahle rund 10.000 Euro Schadenersatz oder er stelle sich einem womöglich Jahre dauernden Strafverfahren. Hingegen glaubt Ciftlik an eine Räuberpistole, er habe nicht mal am Steuer des Wagens gesessen. Die BKA-Beamtin, die mit Ciftlik am 25. April persönlich sprach, konstatierte: Bei dem Unfall könne es sich um eine Masche handeln, mit der Touristen abgezockt werden. "Für alle Beteiligten wäre eine außergerichtliche Einigung von Interesse - außer für Herrn Ciftlik", so die Beamtin. Mit einer raschen Aufklärung sei kaum zu rechnen.

Während Ciftlik in Indien festsitzt, streiten in Hamburg die Prozessbeteiligten darüber, ob sein Fehlen als "eigenmächtig" anzusehen ist. Eine Frage, die der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft bejaht. Begründung: Ciftlik hätte doch rechtzeitig zur Verhandlung in Hamburg sein können - hätte er die geforderten 10.000 Euro Schadenersatz gezahlt. "Das ist wirklich das Abwegigste, was ich je gehört habe", entfährt es Heinecke, und ihr Kollege ergänzt süffisant: "Soll sich Ciftlik dem Unrecht in Indien beugen, um in Hamburg an einem Strafprozess teilzunehmen?"

Richter Göbel sagte, es seien ein "Kunstgriff" und ein "Spagat" nötig, um den Prozess fortzusetzen. Ciftlik entstünde durch sein Fernbleiben kein Nachteil, da es im Prozess aktuell nicht um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, sondern allein um die Frage der Eigenmächtigkeit gehe. Das Gericht werde nun ein Rechtshilfeersuchen an die indischen Behörden stellen. Göbel: "Das wird Zeit in Anspruch nehmen."