Pädagogen protestieren in einem Brief gegen möglichen Abbau von Lehrerstellen. Sie warnen vor “katastrophalen Folgen“ für die Kinder, wie es in dem vierseitigen Brief heißt, der dem Abendblatt vorliegt.

Hamburg. Der Widerstand gegen den möglichen Abbau von Lehrerstellen an vielen Grundschulen hat einen neuen Höhepunkt erreicht. 67 der insgesamt 204 Grundschulleiter protestieren in einem Brief an Schulsenator Ties Rabe (SPD) gegen den neuen Sozialindex. Darin fordern die Verfasser, die aus ihrer Sicht "fehlerhaften Einstufungen" zurückzunehmen. Sie warnen vor "katastrophalen Folgen" für die Kinder, wie es in dem vierseitigen Brief heißt, der dem Abendblatt vorliegt.

Wie berichtet, hatte der Schulsenator eine Aktualisierung in Auftrag gegeben, der zuletzt 2008 ermittelt worden war. Der Sozialindex (auch KESS-Index) erfasst alle Schulen: Die Skala reicht von KESS 1 für Schulen in stark belasteten Lagen bis KESS 6 für Standorte in bevorzugter sozialer Lage. Die Einteilung wird anhand von 24 Kriterien ermittelt, die von der Arbeitslosigkeit der Eltern über die Anzahl der Bücher zu Hause, die Bildungsabschlüsse und das Einkommen der Eltern bis hin zu deren Deutschkenntnissen reicht.

Der KESS-Faktor hat Einfluss auf die Klassengrößen (19 oder 23 Kinder) sowie auf die sprachliche und sonderpädagogische Förderung. Das bedeutet: Schulen in sozial schwieriger Lage bekommen mehr, Schulen in sozial weniger belasteten Lagen bekommen weniger Lehrer und Erzieher von der Behörde zugewiesen. Erstmals auswirken werden sich die neuen Einstufungen der Schulen im Schuljahr 2014/15.

Die Unterzeichner zweifeln die Richtigkeit des Sozialindexes an. Die "Methoden bei der Elternbefragung" sowie die Einbeziehung von Leistungsdaten und allgemeiner Stadtteildaten ließen auf ein "verfälschtes Ergebnis" schließen. "Eine Vergleichbarkeit mit früher erhobenen Daten ist keinesfalls gewährleistet. Vielmehr stellen wir Veränderungen in der Beurteilung fest, die nicht mit der Schulwirklichkeit in Einklang stehen", schreiben die Schulleiter. Konkret: Eine Schule mit exakt den gleichen Ausgangsbedingungen wie bei der letzten Erhebung könne plötzlich ein bis zwei Stufen besser oder schlechter dastehen.

Schulsenator Ties Rabe wies auf Abendblatt-Nachfrage erneut den Vorwurf zurück, die Erhebung sei fehlerhaft. "Nach den neuen, wissenschaftlich seriös ermittelten Sozialindizes werden Lehrkräfte jetzt gerechter auf die Schulen verteilt: 59 Grund- und Stadtteilschulen bekommen etwas mehr, 70 Grund- und Stadtteilschulen etwas weniger Personal." Die Umverteilung werde behutsam bis 2017 gestaffelt.

Die Pädagogen warnen gerade vor den Umschichtungen der Mittel für Sprachförderung und sozialpädagogische Betreuung. "Weniger oder mehr Unterstützung führt insbesondere in den Grundschulen zu schlechteren oder besseren Chancen für den Erfolg in den weiterführenden Schulen. Schwerpunktschulen für Integration oder Sprachförderung können von einem Jahr zum anderen ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen und müssen vielleicht Personal abgeben. Eine Veränderung der Klassenfrequenzen hat ähnliche Effekte. Soziale Brennpunkte sind nicht mehr angemessen versorgt", schreiben sie. Besonders auffällig seien die Veränderungen im Grundschulbereich. Von bisher 68 Schulen mit kleinen Klassen blieben nur noch 59. Dagegen wachse die Zahl der Stadtteilschulen von 13 auf 26 und die der Gymnasien von eins auf drei. "Damit finanzieren Grundschulen die Bedarfe der Stadtteilschulen."

Ties Rabe appellierte nach der Kritik an den Gemeinschaftssinn der Schulleiter: "Ich wünsche mir sehr, dass die Schulen jetzt untereinander solidarisch sind und eine gerechtere Verteilung des Personals mittragen. Nach den gewaltigen Personalaufstockungen für jede Grundschule wäre es sehr bedauerlich, wenn eine geringfügige Verschiebung von Lehrerstellen zugunsten von Schulen in schwieriger Lage sofort zu Protesten führt." Der SPD-Senat habe die Ausstattung der Grundschulen mit mehr als 680 zusätzlichen Lehrkräften und Erziehern in nur zwei Jahren stärker verbessert als jemals zuvor ein Hamburger Senat, so Rabe. "Aufgrund der verbesserten sozialen Lage vieler Stadtteile dämpfen die neuen Sozialindikatoren den künftigen Stellenzuwachs an den Schulen, dennoch wird die Zahl der Lehrkräfte an Hamburgs Schulen noch weiter steigen."