Ärzte retteten Loubna Semlali nach Ausbruch von Blutkrebs das Leben. Sie soll zurück nach Marokko, weil die Reisekrankenkasse nicht zahlt.

Hamburg. Als Loubna Semlali am 2. Januar in Hamburg aus dem Flugzeug stieg, war sie bester Stimmung. Sie freute sich darauf, ihre hochschwangere Cousine und deren Mann in Harburg zu besuchen. Doch statt bei den Baby-Vorbereitungen zu helfen, stand die Marokkanerin plötzlich zwischen Leben und Tod. Ärzte der Asklepios Kliniken diagnostizierten bei Loubna Semlali kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland den akuten Ausbruch einer myeloischen Leukämie. Das und was seitdem geschah, ist eine Geschichte darüber, wie brutal und ohne Vorwarnung das Schicksal zuschlagen kann.

Es ist auch eine Geschichte von Ärzten, die dem hippokratischen Eid gefolgt sind und der jungen Frau das Leben retteten, und von einem Krankenhauskonzern, der sie medizinisch versorgte - jetzt aber wohl auf den Behandlungskosten von mehreren Zehntausend Euro sitzen bleibt. Nach der ersten - erfolgreichen - Phase der Krebstherapie wird das Unternehmen Loubna Semlali deshalb in eine ungewisse Zukunft entlassen. Am vergangenen Freitag wurde sie von Altona nach Westerland auf Sylt verlegt, wo Asklepios ein Krankenhaus mit einem großen Reha-Bereich betreibt, aber eben kein onkologisches Schwerpunktzentrum.

Loubna Semlali bemüht sich darum, die Fassung zu wahren. Doch dann bricht es aus ihr heraus, die Verzweiflung, die Angst vor dem, was in ihrem Körper geschieht: "Es ging alles so unglaublich schnell", sagt die 33-Jährige am Telefon auf Englisch. Einige Tage nachdem sie in Hamburg angekommen war, habe sie plötzlich Fieber bekommen. Der Hals schwoll an, am Zahnfleisch bildeten sich schmerzhafte Entzündungen. Obwohl sie Medikamente einnahm, sei es ihr immer schlechter gegangen. Zusätzlich bildeten sich Hämorriden, die Loubna Semlali ambulant entfernen ließ. Am 10. Januar kam sie gemeinsam mit ihren Verwandten in die Notfallaufnahme des AK Harburg. Eine Blutuntersuchung ergab die Diagnose Blutkrebs. Der Zustand der Marokkanerin war so kritisch, dass sie noch am selben Tag in die hoch spezialisierte onkologische Abteilung im AK Altona verlegt wurde. "Es war ein solcher Schock, einfach unglaublich", sagt Loubna Semlali. "Als ich losgefahren bin, habe ich mich vollkommen gesund gefühlt."

Und abgesichert. Die Marketingfachfrau aus Casablanca, Mutter von acht und zehn Jahre alten Kindern, hatte schließlich eine Reisekrankenversicherung abgeschlossen. Nicht bei einer kleinen Versicherung, sondern bei der ISAAF Assistance, einem Unternehmen mit weltweiten Kooperationen, unter anderem mit der Allianz Versicherung in Deutschland. Behandlungen akuter Erkrankungen und die Rückführung nach Marokko sind mit der Versicherung abgedeckt. Das Limit: 30.000 Euro. Wer rechnet auch mit einer akuten Krebs-Diagnose?

In den Wochen danach taten die Ärzte alles, um das Leben Semlalis zu retten. Sie bekam eine erste Chemotherapie, zweimal musste sie nach dramatischen Komplikationen auf die Intensivstation verlegt werden. Fast den gesamten Februar über war sie im künstlichen Koma. Seit Mitte März ist ihr Zustand einigermaßen stabil. Doch dann kam der nächste Schock. Die Versicherung lehnte die Übernahme der Behandlungskosten in Hamburg ab. Auf eine Anfrage des Abendblatts nach den Gründen äußerte sich das Unternehmen nicht.

Aufgelaufen sind bislang etwa 80.000 Euro. Das jedenfalls hat das Krankenhaus Loubna Semlali mitgeteilt. Auf Nachfrage des Abendblatts wollte sich Asklepios zu konkreten Summen und der weiteren Abwicklung nicht äußern. Aber die Größenordnung ist nach Ansicht von Experten realistisch. Klar ist auch, dass die Kosten jetzt, nach der ersten Notfallbehandlung, eine Rolle spielen. Üblicherweise erfolgt, so steht es in einem vorläufigen Arztbrief, der dem Abendblatt vorliegt, bei Patienten mit diesem Krankheitsbild "nach Erreichen einer kompletten Remission eine Konsolidierungstherapie mit drei bis vier Zyklen Chemotherapie". Remission bedeutet in der Medizin das temporäre oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen, jedoch ohne Erreichen der Genesung. Das ist bei Semlali der Fall, von weiteren Chemotherapien ist allerdings nicht mehr die Rede.

Auch der Klinikkonzern befindet sich in einem Dilemma. Schließlich ist Asklepios ein Wirtschaftsbetrieb. Geld, das ausgegeben wird, muss auch wieder erwirtschaftet werden. Für Behandlungen muss es jemanden geben, der sie bezahlt. Entweder Krankenkassen oder Versicherungen oder die Patienten selbst. Es ist verständlich, dass Asklepios Menschen wie Loubna Semlali nicht kostenlos behandeln kann. Und es ist noch verständlicher, dass Asklepios befürchtet, dass sich in ihren Notfall-Ambulanzen andere Menschen melden - Menschen, die kein Geld haben, aber an lebensbedrohenden Krankheiten leiden, deren Behandlung wiederum viel Geld kostet.

Auf der anderen Seite steht das tragische Schicksal einer Mutter, die zufällig aus Marokko stammt. Loubna Semlali ist inzwischen völlig am Ende. "Ich will wieder gesund werden. Ich muss doch zurück zu meinen Kindern", sagt sie. In Casablanca wohnt die junge Frau bei ihrem Vater, die Kinder sind bei ihrem Ex-Mann. Geld hat sie nicht, im vergangenen Jahr hat die junge Mutter ihren Job verloren. Und mit ihrer Scheidung ist auch ihr Krankenversicherungsschutz in der Heimat erloschen. Die Erkrankte hat die marokkanische Botschaft um Hilfe gebeten. Bislang ohne Resonanz. Die Hamburger Verwandten haben in ihrer Not bei Hilfsorganisationen angefragt. Auch ohne Erfolg. Ein Spender aus Marokko habe 20.000 Euro angeboten, sagt Loubna Semlali. Das reicht nicht. "Aber vielleicht finden sich noch mehr Menschen, die mir helfen können. Das ist meine Hoffnung."

Für sie sehr plötzlich sollte Loubna Semlali direkt nach Ostern das Krankenhaus verlassen. "Die Patientin wird zum Zwecke der unterstützenden Maßnahmen für eine Genesung aus der Asklepios Klinik Altona in die Asklepios Nordseeklinik Westerland auf Sylt verlegt, da keine andere Klinik die Patientin annehmen wollte", teilte Asklepios-Sprecher Mathias Eberenz auf Anfrage schriftlich mit. Sie müsse sich zunächst von der anstrengenden Therapie erholen, bevor ihr eine weitere zugemutet werden könne. "Nach der Reha empfehlen wir der Patientin die Weiterbehandlung in einer hämato-onkologischen Spezialklinik, die es auch in Casablanca, ihrem Wohnort, gibt."

Klar ist damit: Eine Rückkehr nach Altona ist nicht vorgesehen. Grundsätzlich ist eine Behandlung in Marokko möglich, das bestätigt auch die Organisation "Ärzte ohne Grenzen". Aber wahrscheinlich wird Loubna Semlali auch in ihrer Heimat dafür zahlen müssen. Inzwischen ist sie im Westerländer Krankenhaus. Dort könne sie bis zum 19. April bleiben, habe man ihr gesagt. Ihre Verwandten haben eine Sammelaktion gemacht, damit sie ein bisschen Taschengeld hat, und wollen sich auch um den Rückflug kümmern. "Ich weiß nicht, was in Marokko wird", sagt Loubna Semlali. "Ich weiß noch nicht mal, wie ich von der Insel zum Flughafen nach Hamburg kommen soll."