An diesem Mittwoch wird als letzte Vorpremiere ein Film über den großen britischen Regisseur Alfred Hitchcock gezeigt. Am 20. März ist dann Schluss.

Hamburg. Sanft fallen dicke Flocken auf die Leuchtbuchstaben. Eine dünne Schneeschicht bedeckt den sonst strahlenden Schriftzug an diesem trüben Wintertag. Der graue Himmel passt zur Stimmung unter den 22 Mitarbeitern vom Streit's. Im Februar haben sie ihre Kündigung erhalten. Seit dem Frühjahr 2011 versuchte die Betreiberfirma CineStar, das Aus abzuwenden - ohne Erfolg. Gespräche mit dem Vermieter hätten zu keinem Ergebnis geführt, sagt Geschäftsführer Oliver Fock.

Zwar wird es im Streit's voraussichtlich noch bis zum 20. März Vorstellungen geben, aber an diesem Mittwochabend hat Kinoleiter Gary Rohweder, 43, langjährige Partner wie Sprachschulen eingeladen, um sich gemeinsam von der Institution am Jungfernstieg zu verabschieden.

Ausgerechnet die Vorpremiere von "Hitchcock" wird der Abschiedsfilm sein. Auch dort geht es um das harte Kino-Geschäft. Mittwochabend wird Anthony Hopkins als Alfred Hitchcock über die Leinwand flimmern. Im Plot möchte der Kult-Regisseur seinen nächsten Film "Psycho" drehen, aber das Studio mag die Geschichte nicht und will sie nicht finanzieren. Stattdessen drängt man den Regisseur, eine Kino-Institution, die seit Jahrzehnten im Geschäft ist, ans Aufhören zu denken. Am Ende dreht Hitchcock seinen Film, der zu einem seiner größten Erfolge wird. Er arbeitet danach noch 16 Jahre weiter. Das Streit's dagegen schließt am 31. März endgültig seine Türen.

Bis dahin muss das Unternehmen das Haus räumen. Das gesamte Mobiliar samt Lüftung und Leinwand muss ausgebaut werden. Dies gilt ebenso für die Bar Streit's Lounge. Ein trauriger Moment. Auch für Jens Wandrich. Der 54-Jährige ist Filmvorführer - seit 30 Jahren im Streit's. Ob er traurig ist, wenn er das letzte Mal oben über den Zuschauern sitzt und den letzten Film vorführt? "Ich sach mal so, das wird ein komisches Gefühl."

Nur über einen Hinterhof und eine schmale Stahltreppe erreicht man seinen Arbeitsplatz. Im Abspielraum riecht es nach kaltem Rauch und Staub. An der Wand hängt ein Spruch: "Wir verdienen ,spielend' unser Geld." Wandrichs Humor. Er sagt, wie's ist. Zum Beispiel Sätze wie diese: "Mein Job stirbt aus, das übernehmen externe Server, die Sache ist erledigt, aber man hat ja noch Träume." Der hochgewachsene Mann mit der Brille hat sich bei der Hochbahn beworben. Er will sich zum U-Bahn-Fahrer ausbilden lassen.

Auch wenn Wandrich vielleicht bald in Hamburgs Untergrund Züge steuert, wird er seinen Filmen treu bleiben. Wie viele er in den 30 Jahren vorgespielt hat? "Das müssen Tausende gewesen sein." Auch wenn Wandrich die glanzvollsten Zeiten des Streit's nicht miterlebt hat, erzählt er stolz davon.

1956 feierte das Streit's Eröffnung. Es war die glanzvolle Zeit des Filmtheaters. Seit dem prächtigen Start am 6. Dezember lag der rote Teppich regelmäßig vor der Hausnummer 38. Jahrzehntelang war es das Hamburger Premierenkino: "Irma la Douce" (1963), "Was gibt's Neues, Pussy?" (1965), "Einer flog über das Kuckucksnest" (1976), "Gandhi" (1983), "Yentl" (1984), "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" (1994).

Doch die Zeit des ehemaligen Premierenkinos ist vorbei. Christoph Reimers, 44, und seinem Vater Peter, 78, gehört das Streit's-Haus, das auch dem Kino seinen Namen gibt. Denn Christian Daniel Friedrich Streit hatte das Haus 1837 als Hotel erbaut. Die Reimers wollen nach Auslaufen des Vertrages offenbar mehr Miete einnehmen. Was im Erdgeschoss des Streit's-Hauses nach dem Auszug von Kino und Nachbarläden geschehen wird, wollen die Besitzer noch nicht bekannt geben. "Wir wollen uns dazu nicht äußern", sagte Christoph Reimers auf Abendblatt-Anfrage. Seniorchef Peter Reimers hatte aber Gerüchte dementiert, die von einem neuen Kino oder einer Shopping-Passage sprachen.

Das Streit's verlängert nun die Liste der geschlossenen Lichtspielhäuser. Das Grindelkino, der Ufa-Palast am Gänsemarkt, das Aladin an der Reeperbahn, sie alle verschwanden. Nur das beliebte Passage-Kino in der Mönckebergstraße, das im November 2009 schließen musste, erlebte eine Wiedergeburt.

Der schwäbische Investor und Kinofan Heinz Lochmann, 52, sanierte das Haus und eröffnete es im Mai 2010 neu. Auch die Kino-Institution am Jungfernstieg wollte Lochmann übernehmen. "Ich habe mein Interesse schon im Frühjahr letzen Jahres bekundet, habe mit den Reimers gesprochen, aber sie haben sich nie bei mir gemeldet", sagte Lochmann dem Abendblatt.

Auch der Kinobetreiber Hans-Joachim Flebbe hat sich nach eigenen Angaben vergeblich um das Streit's bemüht. Ende Mai eröffnet Flebbe das Savoy am Steindamm in St. Georg wieder, das er für 1,2 Millionen Euro umgebaut hat. Flebbe will Filme in Originalfassung spielen und damit Ersatz für das Streit's bieten, das sich darauf spezialisiert hatte.

Mehr als 2900 Unterstützer hat die Facebook-Gruppe "Streit's bleibt". Auf der Pinnwand tauschen sich die Nutzer schon über Alternativen aus und nennen tatsächlich das Savoy.

Den "Hitchcock" hat Jens Wandrich natürlich schon vorab gesehen und weiß, was ihn Mittwoch erwartet. Seine Lieblingsszene? "Nach dem Abspann gibt es noch eine Sequenz: Hitchcock geht von der Bühne. Das passt doch wie die Faust aufs Auge." Leider als Sinnbild für das Streit's.