Pröpstin und Hauptpastorin Dr. Ulrike Murmann

Jeremia mag nicht mehr. Er mag nicht mehr Gottes Prophet sein: "Du hast mich dazu überredet, und ich hab mich überreden lassen", hält er seinem Gott vor. "Ich habe dein Wort gepredigt, immer und immer wieder, und man hat mich dafür ausgelacht. Hohn und Spott hat man über mich ausgeschüttet. Nun kann ich nicht mehr, nun will ich nicht mehr. Ich bin müde, erschöpft, ich bin am Ende!" - Burn-out eines Propheten, eines Gottesmannes.

Als ich den Predigttext für den morgigen Sonntag las, war ich wieder mal verblüfft, wie aktuell diese alten Texte der Bibel doch sein können. Ein Burn-out, auf Deutsch "Ausgebrannt sein" zählt zu den Volkskrankheiten unserer Zeit: Lehrerinnen ziehen sich erschöpft aus dem Schulalltag zurück. Ärzte und Manager versuchen ihre verloren gegangenen Kräfte in der Abgeschiedenheit eines Klosters zurückzugewinnen. Pastoren gehen zur Vermeidung eines Burn-outs in ein sogenanntes Sabbatical und üben für einige Monate eine andere Tätigkeit aus. Wenn der gefühlte Druck auf Dauer zu stark ist, erkranken wir an unserer Seele. Wir leiden nicht nur an der Arbeit, die uns früher erfüllt hat, wir leiden an uns selbst. Eine große Leere stellt sich ein. Es ist für niemanden leicht, sich eine solche Ermüdung einzugestehen.

Der Prophet Jeremia hat einen klugen Ausweg gewählt, finde ich: Er hält seine Erschöpfung Gott vor, er spricht aus, was ihn belastet. Seine Freunde sind ihm fremd geworden, sie verstehen ihn nicht mehr. In seiner Einsamkeit wendet er sich an den Gott, der ihn dahin geführt hat. Er bezieht ihn in seine Krise ein und offenbart seine Verzweiflung. So bleibt er nicht allein, sondern holt Gott zu sich. Keinen Gott zum Kuscheln, aber einen Gott, der ihm zuhört und mit trägt, was zu schwer geworden ist. Das mag nicht für jeden eine Hilfe sein, aber ein Beispiel für einen wahrhaftigen Blick auf den Menschen ist es schon: Wir müssen keine Helden sein, sondern sollten darauf achten, dass unsere verwundbare Seele durch unser überfrachtetes Leben keinen Schaden nimmt. Die Passionszeit lädt dazu ein, über die Wunden und Heilkräfte unserer Seele in Ruhe nachzudenken.

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