CDU erwägt, die Personalie Lutz von Selle im Justizausschuss zu behandeln. Die FDP sieht Justizsenatorin Schiedek in der Pflicht.

Hamburg. Die Strafanzeige eines Hamburger Oberstaatsanwalts, der seinen Chef, Generalstaatsanwalt Lutz von Selle, der Verleumdung bezichtigte und über die das Abendblatt am Mittwoch berichtete, hat in Justiz- und innenpolitischen Kreisen für Aufsehen gesorgt. Von Selle, wegen seiner straffen Amtsführung dem Vernehmen nach bei manchen Mitarbeitern seiner Behörde gefürchtet, hatte dem Beamten, der seit mehr als 30 Jahren bei der Staatsanwaltschaft tätig ist, in einem Begleitschreiben zu einer Beurteilung an die Justizbehörde vorgeworfen, zur Leitung einer Abteilung in keiner Form fähig zu sein. Dadurch fühlte sich der altgediente Mitarbeiter verunglimpft. Die in der Hamburger Justizgeschichte wohl einmalige Strafanzeige eines Staatsanwalts gegen seinen Chef werfe ein Schlaglicht auf die Zustände in der Anklagebehörde, heißt es.

André Trepoll, justizpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, fordert rasche Aufklärung. Dass es Missstände gibt, die mit der Amtsführung von Selles zusammenhängen, sei in den politischen Gremien schon länger bekannt. Zwar sei es "durchaus positiv", dass von Selle seine Führungsaufsicht ausübe und er sich auch die Handakten zu allen Verfahren vorlegen lasse, in denen Heranwachsende nach Jugendstrafrecht bestraft würden.

Doch die Kritik habe inzwischen ein Ausmaß erreicht, das es erforderlich mache, den Vorwürfen nachzugehen. "Wir erwägen, zu diesem Thema eine Selbstbefassung des Justizausschusses zu beantragen", sagte Trepoll. Zudem müsse die Justizbehörde dafür Sorge tragen, dass die Arbeit in der Behörde "unbelastet" weitergeht. "Frau Schiedek muss sicherstellen, dass die Staatsanwaltschaft sich weniger mit sich selbst beschäftigt, sondern mehr mit der Strafverfolgung."

Nur hinter vorgehaltener Hand haben sich bisher Staatsanwälte zum Klima innerhalb der Behörde geäußert. Von Selle mische sich ein, heißt es da. Einige empfinden das regelrecht als Bevormundung. Es dauerte nicht lange, und der interne Ärger mit dem Hausherrn der Staatsanwaltschaft erreichte auch die Justizbehörde. Dort soll ihn Senatorin Jana Schiedek bereits um mehr Konzilianz gebeten haben.

Anna von Treuenfels, justizpolitische Sprecherin der FDP, geht das Engagement der Justizsenatorin indes noch nicht weit genug. "Wenn Meinungsverschiedenheiten unter maßgeblichen Mitarbeitern der Hamburger Justiz solche Eskalationsstufen erreichen, ist die Justizsenatorin gefordert: Nachdem die Problematik ja bereits in den letzten Monaten bekannt wurde, hätte Frau Schiedek längst handeln sollen", sagt von Treuenfels. "Es muss Anliegen einer Justizsenatorin sein, Schaden vom Ansehen des Justizapparats abzuwenden. Das Vertrauen der Bürger in Staatsanwaltschaft und Gerichte darf nicht unter öffentlich ausgetragenen Streitereien leiden."

Der damalige Justizsenator Till Steffen (Grüne) hatte von Selle 2009 in Amt und Würden gesetzt. Farid Müller, justizpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion und Vorsitzender des Justizausschusses, betont, dass die vielfach von Hamburger Richtern kritisierte Praxis der Staatsanwaltschaft, Verfahren nicht mehr einzustellen, auch wenn es sachlich geboten ist, auch der Senatorin schon lange bekannt sei. Auch in den anderen öffentlich diskutierten Streitfällen solle sie endlich Stellung beziehen. Müller: "Eine Senatsanfrage von mir hat ergeben, dass die Senatorin von allen Vorgängen im Voraus wusste - aber nicht von ihrem Weisungsrecht gebraucht gemacht hat. Als oberste Dienstherrin der Hamburger Justiz hat sie eine Verantwortung. Ihr Nichthandeln und ihre schweigende Distanzierung zeugen nicht gerade von einer verantwortungsvollen Dienstauffassung."

Dass es wenigstens Redebedarf gibt, ist in der SPD offenbar unstrittig. Nach Abendblatt-Informationen wird sich ein hochrangiger Sozialdemokrat Anfang nächster Woche mit Generalstaatsanwalt Lutz von Selle treffen, um über die Anzeige des Oberstaatsanwalts im Speziellen und das innerbehördliche Klima im Allgemeinen zu sprechen. Kritik wird aber auch am Oberstaatsanwalt laut, der mit seiner Anzeige den Stein ins Rollen gebracht hatte.

Farid Müller fordert im speziellen Fall gar Rückendeckung für den Generalstaatsanwalt durch die Justizsenatorin. Kritische Beurteilungen von Vorgesetzten seien nicht strafbar. Generalstaatsanwalt von Selle wollte sich am Mittwoch zum Fall ebenso wenig äußern wie die Justizbehörde.