In Volksdorf trafen sich die Hamburger Sezessionisten. Ihr Haus ist für 1,65 Millionen Euro zu haben. Freundeskreis will Gebäude neu beleben.

Hamburg. Im "Auge Gottes" ging Hamburgs Avantgarde baden. Ohne strenge Badetoilette und gern bei rauschenden Festen, die schon mal mehrere Tage dauern konnten. Die Kunstszene der 1920er-Jahre hatte endlich ihren Kristallisationspunkt gefunden: das Volksdorfer Künstlerhaus von Emil Maetzel und Dorothea Maetzel-Johannsen an dem kleinen See mit dem magischen Licht. Um 1930 war der kulturelle Rückstand zu Berlin fast aufgeholt. Dann kam der Untergang.

Die 1933er-Frühjahrsausstellung der Hamburgischen Sezession wurde von der Reichsregierung als " kulturbolschewistisch" geschlossen, der Verein der international anerkannten Maler, Grafiker, Bildhauer und Architekten aufgefordert, seine jüdischen Mitglieder auszuschließen und sich zum Regime zu bekennen. Bei ihrem letzten Treffen am 16. Mai 1933 vertranken die Sezessionisten ihre Vereinskasse und lösten sich auf. Gleichschalten lassen wollten sie sich nicht. Das Auge Gottes, in dem sich immer der Himmel gespiegelt hatte, spiegelte nun die Vorboten der Hölle.

Heute steht die Villa auf dem 6000-Quadratmeter-Grundstück zum Verkauf. Grossmann & Berger bietet sie an, 1,65 Millionen Euro soll das letzte erhaltene Künstlerhaus Hamburgs kosten. Die gesamte Anlage ist denkmalgeschützt. Das kubische, von Emil Maetzel entworfene Gebäude und der runde Badesee, die geschwungenen Wege und die strenge Ordnung der Räume, die leicht versteckt liegende Gedenkstätte für den 1940 gefallenen Sohn Peter im vorderen Teil des Gartens. Hinten gibt die leicht erhöhte Terrasse den Blick frei auf zweckmäßig arrangiertes Grün, das trotzdem etwas Wildes hat. Hohe Bäume stehen im Halbrund um den See, kleine Plastiken im hohen Gras. Nichts ist kaputt renoviert.

Nur nach dem Kriege wurde der umlaufende steinerne Laubengang zugemauert und die Dachterrasse geschlossen - was repariert werden könnte. Gut 300.000 Euro veranschlagen Experten für die Wiederherrichtung des wohlproportionierten Zwölfzimmerhauses im Stil der gemäßigten Moderne.

Der "Freundeskreis Künstlerhaus Maetzel e. V." will das Haus wieder beleben: Mäzen verzweifelt gesucht. Eine Stiftung soll ins Leben gerufen werden, in Kooperation mit der Kunsthochschule Stipendiaten in die Villa locken, dort wohnen und arbeiten lassen, die Hamburger Sezessionisten ausstellen, die anspruchsvolle Gebrauchstöpferei von Monika Maetzel, der jüngsten Tochter Emils und Johannas, anbieten, wieder Gartenfeste mit Motto und künstlerischen Darbietungen geben. Ein Café-Betrieb soll Teile der Kosten erwirtschaften und helfen, das Haus am Stadtrand zum Ausflugsziel zu machen. Die Magie des göttlichen Auges soll sich entfalten und wieder den Himmel spiegeln. 52 Schicksale lang ist die Liste der Sezessionisten. Anita Rée nahm sich auf Sylt das Leben. Alma del Banco folgte ihrem Weg, um der Deportation nach Theresienstadt zuvorzukommen, Gretchen Wohlwill floh nach Portugal, Johannes Wüsten starb im Lager, Rolf Nesch emigrierte nach Norwegen und verletzte sich 1943 selbst schwer, um dem Zugriff der Wehrmacht zu entgehen. Karl Schneider, Erbauer des (zerstörten) Kunstvereinsgebäudes an der Neuen Rabenstraße, ging nach Chicago.

Emil Maetzel ist im ländlichen Volksdorf geblieben. Der Gastgeber, Eigentümer und Partylöwe, der Architekt und Stellvertreter Fritz Schumachers, der Maler - das war er alles. Belegt mit Berufs- und Ausstellungsverbot. Beladen mit der Sorge um seine vier Kinder, die den frühen Tod der Mutter verwinden mussten.

Ein frostiger Wind geht über den See und die morbide Gartenanlage im längst wieder avantgardefreien Volksdorf. Der verwitterte Klinker trotzt tapfer der Feuchtigkeit. Große Fenster geben dem Licht Raum, die Einfachverglasung der Frischluft. 2010 starb Monika Maetzel, die im Geiste ihrer Eltern deutschlandweit ausstellte und verkaufte, Ende letzten Jahres zog ihre Partnerin, Birgit Best, mit der Werkstatt ins nahe Gut Wulfsdorf um.

Größen aller Stilrichtungen gingen bei Emil und Dorothea Maetzel-Johannsen ein und aus. Ein gemeinsames Programm, wie etwa die Brücke in Dresden, hatten die Hamburger nicht. Aber einen hohen Anspruch an sich selbst. Sie dachten liberal und verfolgten eine Idee vom Schönen, die nicht nur einzelne Dinge als schön ansieht, sondern das ganze Leben zum Werk, zum "Gesamtkunstwerk" macht.

Die Hamburger Sezessionisten arbeiteten, aßen, feierten zusammen, stellten zusammen aus. Sie suchten die Nähe zu Natur und Naturvölkern, weil sie sie für besonders ursprünglich hielten. Und sie suchten die Nähe zum anderen, um aufgeschlossen zu bleiben für neue Zugänge zu Dingen.

Auch die Gäste der Sezession waren erlesen. Karl Kraus referierte, Gustav Gründgens spielte, Klaus Mann las. Und alle feierten sie die Kunst, viele von ihnen übrigens auch die Freikörperkultur. Kein Nachbar, viele gab es allerdings nicht, monierte die nackt vorgetragenen Ausdruckstänze am Auge Gottes.

Nur den irdischen Augen der Maetzel-Kinder erschien das Gehopse der Alten am magischen Nass gelegentlich etwas übertrieben ...