Freunde der japanischen Manga-Kultur treffen sich regelmäßig in Eidelstedt. Am Wochenende kamen mehr als 500 ins Haus der Jugend.

Eimsbüttel/Eidelstedt. Beim Schlagermove, sagt Vivien Scibbe trocken, sehen die Leute bekloppter aus. Vivien trägt eine weiße Perücke und einen weiß-schwarzen Anzug aus diesem typischen Nylon-Faschingskostüm-Stoff. Als Ninja "Naruto Uzumaki" sieht die 17-Jährige nicht so gefährlich aus, wie es wohl sein sollte. Dazu ist ihr Gesicht einfach zu freundlich. Die 20-jährige Christine Schneider kommt als Dienstmädchen mit langen blonden Locken und kurzem Rüschchenkleid mit Schürze eher in Lolita-Manier daher. Die beiden gehören zu der Gruppe von meist Jugendlichen, die gerne japanische Comics (Mangas) lesen und sich als ihre Lieblingscharaktere verkleiden. Am Wochenende sind rund 500 Freunde dieser japanischen Popkultur zum Hamburger Chisaii-Treffen des Animexx-Vereins im Haus der Jugend in Eidelstedt zusammengekommen.

Es ist jedes Mal ein bisschen wie Kindergeburtstag und Klassenfahrt zusammen, wenn es nach Eidelstedt geht. Man kennt sich in der Szene. Und so kann es vorkommen, dass sich die Besucher vor lauter Wiedersehensfreude in die Arme springen.

Besonders viel Aufwand hat Jacqueline Karge aus Eidelstedt betrieben: Sie trägt gelbe Kontaktlinsen und ist am gesamten Oberkörper einschließlich der Fingernägel in einem Schwarz-Grau angemalt; ihre Haare verschwinden unter einer schwarzen, zotteligen Perücke. Ihr Charakter "Pitch Black" kommt allerdings nicht aus japanischen Comics, sondern ist die US-amerikanische Version des "schwarzen Mannes", sagt sie. Und hier in Eidelstedt können Jacqueline und die anderen sich selbst und ihre Kostüme präsentieren. Sie fotografieren sich gegenseitig und stolzieren über den Spielplatz hinter dem Haus der Jugend, trotz der eisigen Temperaturen, eine Winterjacke würde nur stören. Und so tippeln Verena Behncken und ihre Freundinnen in ihren japanischen Bastsandalen über den gefrorenen Grasboden zum nächsten Fotoshooting. Genau wie Kinder beim Fasching lieben es diese "Cosplayer", ihren Lieblingsfiguren ähnlich zu sein und in eine andere Rolle zu schlüpfen. Sie stellen Szenen nach und lassen sich dabei fotografieren. Normalerweise studiert Verena Behncken aus Barmek Illustration. Doch heute ist sie als "Onigumo", ein Halbdämon, unterwegs. "Es ist ein Rollenspiel, das einfach Spaß macht", sagt die 21-Jährige. Die Kostüme werden selbst genäht. Und zu dem Spaß am Verkleiden kommt die Kreativität, das Handwerkliche und der Stolz auf das selbst hergestellte Outfit.

Fünfmal im Jahr organisiert Kai Lühmann aus Harburg das Chisaii genannte Treffen. Dort verbringen die Jugendlichen, das Durchschnittsalter liegt bei 19 Jahren, den Nachmittag und die Nacht damit, japanische Animes - die Trickverfilmung der Comics - zu schauen, Karaoke zu singen oder an diversen Spielekonsolen im sogenannten "games room" zu spielen. Beim Cosplay (aus dem Englischen verkürzt, von costume play) stellen sie eine Figur möglichst originalgetreu dar. Die Charaktere stammen aus Mangas, Animes oder Videospielen. Oft werde diese Szene belächelt, sagt Kai Lühmann, Medien machten sich gern über die Leute in ihren schrillen Kostümen lustig. Für ihn ist das Ganze "ein geselliges Beisammensein von Japan-Fans". Der IT-Fachmann liegt mit seinen 45 Jahren deutlich über dem Altersdurchschnitt und liest selbst keine Mangas, sondern guckt sich Animes an. Der Reiz: "In diesen Filmen lassen sich Dinge zeigen, die man im realen Film nicht machen könnte. Die Ausarbeitung der Charaktere ist viel besser", meint Lühmann. Während der Convention versorgen die Veranstalter ihre Besucher mit Kuchen, Crèpes, Gummibärchen und Getränken, dem Geschmack des jungen Publikums angepasst. Alkohol ist tabu.

Christine Schneider mag die japanischen Comics, seitdem sie sechs Jahre alt ist. Vielleicht liegt es auch an dem Kindchenschema, das bei den japanischen Figuren häufig stark ausgeprägt ist. Begonnen hatte die Faszination mit der Serie "Sailor Moon". "Diese großen Augen, die schöne Musik. Damit konnte ich mich schon immer gut identifizieren", sagt Christine. Sie schlüpft gern in die Rolle der "Chibi Maid", diesem lolitamäßigen Dienstmädchen mit riesigen Kulleraugen. Je rüschiger und plüschiger, desto besser, findet sie. Typisch Mädchen eben. Dass sie auf der Straße schräg angeguckt wird, stört sie nicht. Selbstbewusst muss man sein bei diesem Hobby. Es geht ihnen ja auch darum, sich von der grauen Masse abzuheben. "Ich habe das Outfit auch schon zur Schule angezogen, um zu zeigen: Ich bin anders als ihr", sagt Christine, die die berufliche Schule für Wirtschaft und Steuern besucht. Und deshalb scheuen sich Christine und die anderen nicht, auch außerhalb der Faschingszeit in ihren Kostümen durch Hamburg zu gehen. "Ich mag es, wenn mich die Leute anschauen, auch wenn sie sich über mich lustig machen", sagt Vivien Scibbe. Bevor sie sich regelmäßig als Ninja verkleidet hatte, sei sie schüchterner gewesen. "Ich bin seitdem offener geworden." Manche von ihnen treffen sich jeden Sonnabend im japanischen Garten in Planten un Blomen gleich hinter dem Dammtorbahnhof.

Und auf dem Weg zur Convention nach Eidelstedt alle zwei Monate gibt es jedes Mal eine Gruppe, die vom Hauptbahnhof aus auf dem Weg nach Eidelstedt einen Zwischenstopp bei Volker Robrahn und seinem Manga- und Comicladen Eldorado/Sakura am Heußweg in Eimsbüttel einlegt. Am Sonnabend hat Robrahn Kuscheltiere für die Cosplayers und Manga-Fans versteigert. Die stehen auf Niedliches mit großen Augen. Begonnen hatte der 46-Jährige mit klassischen Comics, seit sieben Jahren liegt der Schwerpunkt bei den Mangas und allem Japanischen. Die Geschäfte laufen ganz ordentlich. "Manga-Leser sind voller Begeisterung und weniger nörgelig als die typischen, meist älteren Comicleser", sagt Robrahn. Christine Schneider besitzt 900 Mangas. Die japanischen Comics werden von hinten nach vorne und von rechts nach links gelesen. In den Mangas kann es um alles gehen, um Ninjas und Waldgeister genauso wie um den Alltag japanischer Schüler. Freundschaft und Liebe spielen eine Rolle, andere Mangas können blutrünstig und düster sein.

Die Fangemeinde sei aber sehr friedliebend und freundlich, sagt Christine Schneider in ihrer Klein-Mädchen-Stimme. Man glaubt es sofort.