Lidl bringt billige Nachahmerprodukte auf den Markt und fordert so Nestlé heraus. Hamburger Tchibo will die Marktführerschaft abjagen.

Hamburg. Wie kleine VIPs sollen sich die Kunden vorkommen, die in der Nespresso-Boutique am Neuen Wall vorbeischauen. Wer dort einkauft, wird im Anschluss noch auf einen Kaffee eingeladen, Spezialitäten wie Arpeggio oder Linizio Lungo ruhen wie funkelnde Juwelen in Vitrinen, und die Verkäuferinnen erkundigen sich standardmäßig nach dem Zustand der häuslichen Espressomaschine.

Solchen Service lassen sich die Kunden einiges kosten: Bis zu 3,90 Euro muss man für eine Stange mit zehn Kapseln bei Nespresso bezahlen, pro Tasse also 39 Cent. Damit ist Nespresso das mit Abstand teuerste Kapselsystem in Deutschland. Zum Vergleich: Eine Tasse Filterkaffee ist schon für durchschnittlich fünf Cent zu haben, andere Systeme wie Caffissimo von Tchibo liegen bei 25 Cent pro Tasse.

Nun aber bläst der Discounter Lidl zum Großangriff auf den Marktführer und den dahinterstehenden Nestlé-Konzern. Mit ganzseitigen Anzeigen wirbt die Billigkette für ihre Nachahmerkapseln unter der Eigenmarke Bellarom. "Geeignet für Nespresso-Maschinen" steht explizit auf den Packungen, die in mehr als 3200 Filialen und im Internet verfügbar sein sollen. Der Preis: 1,99 Euro für eine Stange mit zehn Kapseln, also knapp 20 Cent pro Tasse. Der Vorgang hat eine gewisse Brisanz, hat Nestlé doch bislang alles getan, um Nachahmerprodukte für das Nespresso-System vom Markt fernzuhalten. So versuchte der Konzern im Sommer des vergangenen Jahres mithilfe von Eilanträgen, den Verkauf von Kapseln der Schweizer Unternehmen Ethical Coffee Company und Betron in Deutschland zu verhindern. Die Konzerntochter Nestec, die die Patente an den Nespresso-Maschinen hält, machte vor dem Landgericht Düsseldorf angebliche Patentverletzungen geltend.

Die Richter sahen dies allerdings anders. Zwar sei die Kapsel für die Inbetriebnahme der patentgeschützten Kaffeemaschinen unerlässlich, jedoch nicht deren funktionales "Herzstück". Ebenso wenig verkörpere sie eine besondere Eigenschaft der Erfindung. Die Nachahmerprodukte konnten daher vorläufig weiterverkauft werden. Wie Nespresso auf den Vorstoß von Lidl reagieren wird, dazu wollte sich das Unternehmen am Donnerstag nicht äußern. Grundsätzlich sei Wettbewerb für das Unternehmen nichts Neues. Man habe im Segment portionierter Kaffee mehr als 100 Mitbewerber, von denen 50 behaupteten, ihre Kapseln seien für Nespresso-Maschinen geeignet, sagt Nespresso-Deutschland-Chef Holger Feldmann dem Abendblatt.

Bei dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf handelt es sich laut Feldmann lediglich um eine vorläufige Entscheidung. Nespresso sei nach wie vor von der Stärke seiner rechtlichen Argumente überzeugt und "wird daher weiterhin juristische Maßnahmen ergreifen, um seine geistigen Eigentumsrechte zu schützen".

Dass der Kapselkönig seine führende Stellung in Deutschland mit Zähnen und Klauen verteidigt, ist für Experten keine Überraschung. "Den Herstellern ist es mit ihren Kapselsystemen auf technische Weise gelungen, ausgesprochen lukrative Quasimonopole aufzubauen", sagt der Handelsexperte Thomas Roeb, Professor an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg. Diese seien nun durch den Einstieg der Discounter in das margenstarke Geschäft bedroht. Wenn Lidl den Anfang mit Nespresso-Kapseln mache, werde Aldi sicher bald nachziehen.

Wie attraktiv das Geschäft mit Kaffeekapseln ist, zeigen die Wachstumsraten der vergangenen Jahre. Der Konsum von Einzelportionen (Pads und Kapseln) habe sich seit 2005 mehr als verfünffacht und steige weiter an, sagt Britta Zietemann vom Deutschen Kaffeeverband. "Der Konsument bevorzugt heute eine zunehmend einfache und unkomplizierte Zubereitung", erklärt die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin das Phänomen.

Davon profitiert auch der Hamburger Handelskonzern Tchibo mit seinem Kapselsystem Caffissimo. Um 30 Prozent ist Tchibo in diesem Segment im vergangenen Jahr gewachsen, für 2013 sind ähnlich hohe Wachstumsraten geplant. Die Hamburger, insgesamt führend im heimischen Kaffeemarkt, liefern sich mit Nespresso schon seit Jahren ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen um den deutschen Kapselthron. Um Weihnachten herum tobte der Konkurrenzkampf besonders hart. Tchibo senkte den Preis für die eigenen Kaffeemaschinen um 20 Euro, Nespresso lockte im Gegenzug mit einem Kapselguthaben von 50 Euro beim Kauf eines neuen Geräts.

Insgesamt dürfte es für Tchibo allerdings schwierig werden, an den Schweizern vorbeizuziehen. Denn der Nestlé-Konzern vertreibt Kapseln nicht nur unter der Hochpreismarke Nespresso, sondern auch unter der günstigeren Marke Nescafé Dolce Gusto. Und für die lassen die Eidgenossen in der Nähe von Schwerin gerade ein neues Werk errichten. Geplanter Ausstoß: 430.000 Kapseln in der Stunde, zwei Milliarden im Jahr.