Hamburgs Bürgermeister will mehr als ordentlich regieren

Olaf Scholz hat in dieser Woche zwei bemerkenswerte Reden gehalten. Am Montag sprach der Bürgermeister vor Mitgliedern der Atlantik-Brücke in Hamburg über die deutsch-amerikanischen Beziehungen und darüber, wie interessiert er die Auftritte Barack Obamas nach dessen Wiederwahl zum US-Präsidenten verfolgt habe. So wie Obama, sagte Scholz - und meinte damit wohl vor allem: mit dessen Pathos - könnten sich deutsche Politiker nicht präsentieren; manchmal wäre es aber doch ganz schön. Und wenn man sich in Deutschland nur auf das Aufzeigen großer Linien konzentrierte.

Womit wir bei der zweiten Ansprache des Bürgermeisters wären. Die Rede, die Olaf Scholz vor dem Übersee-Club gehalten hat, war anders als die Reden, die man von ihm kennt. Kein "Hamburg will gut regiert werden", kein "Wer Führung bestellt, bekommt sie auch". Scholz hat, in dieser Form zum ersten Mal, eine Gesamtkonzeption, um nicht zu sagen: Vision, für Hamburg skizziert, ein komplettes Bild von der Stadt für die 20er- und 30er-Jahre. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Nahezu alle der genannten Punkte, vom Wohnungsbau bis zur Erschließung beziehungsweise Popularisierung neuer Stadtteile, hat der Bürgermeister schon bei anderen Gelegenheiten thematisiert. Aber dass er all das zu einer, sagen wir es eben doch: Vision für Hamburg verbindet, ist neu. Spätestens seit Mittwochabend hat Olaf Scholz die Sphäre des allein ordentlich Regierenden verlassen. Der Mann will mehr, ein Glück.

Kritiker werden sagen, dass Scholz mit seiner Idee von einem Hamburg der zwei Millionen Einwohner nichts anderes macht, als das Konzept der Wachsenden Stadt des Vorgängersenats fortzusetzen, und das tut er ja auch. Dem Bürgermeister gelingt es aber, seinen Plan für die Zukunft der Stadt weit in deren Vergangenheit zu verankern. Scholz spricht nicht über einen Zeitraum von zehn, 20, sondern eher von 100 Jahren - und genau das macht seine Überlegungen größer, als es normalerweise bei Regierungschefs mit überschaubaren Legislaturperioden der Fall ist. Die zweite Hälfte seiner Amtszeit beginnt der Bürgermeister mehr als Gestalter denn als Verwalter. Das Kernproblem auf dem Weg zur Zwei-Millionen-Metropole bleibt ein mentales: Wie gelingt es, die durch die Elbe getrennte Stadt zu einen? Wann werden Stadtteile wie Hausbruch, Heimfeld oder Sinstorf so selbstverständlich zu Hamburg gezählt wie Blankenese, Eppendorf oder Winterhude? Oder: Was meinen die Hamburger eigentlich, wenn sie von Hamburg sprechen? So schön es wäre, wenn 2020 oder 2030 Hamm und Veddel genauso angesagt wären wie derzeit Ottensen und Othmarschen - in den Köpfen vieler Bürger ist Hamburg aufgeteilt in Stadtteile, in denen man wohnt und in denen man nicht wohnt. Viele der Letzteren liegen südlich der Elbe. Eine Grundvoraussetzung für Scholz' Thesen und für das Wachstum der Stadt ist es, dass endlich der Sprung über den Fluss, die natürliche Grenze, gelingt. Der Bürgermeister ist mit vielen anderen optimistisch, dass es 2013 so weit sein wird - unter anderem wegen der Internationalen Gartenschau und der Internationalen Bauausstellung in Wilhelmsburg. Wahrscheinlich war die Chance selten größer, aus Hamburgs vergessenem Süden Hamburgs Zukunft zu machen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Sollte die Anbindung in diesem Jahr nicht gelingen, dann dürfte der Sprung über die Elbe ein für alle Mal Geschichte sein.

Insofern kommt die Rede des Bürgermeisters zur rechten Zeit. Soll noch einer sagen, wer Visionen hat, müsse zum Arzt gehen ...