Kreativität, Verschenken, selbst in die Hand nehmen: Warum Selbermachen jetzt wieder voll im Trend liegt, erzählt Geneviève Wood.

Es fühlt sich schön weich an, wenn der Wollfaden durch die Finger gleitet. Dazu das Klackern der Nadeln - das hat etwas herrlich Monotones, das entspannt und beruhigt. Jedenfalls solange beim Stricken alles glatt läuft. Anfänger können schon verzweifeln, wenn die Mütze trotz aller Bemühungen fingernagelgroße Löcher hat und immer und immer wieder aufgereppelt werden muss, bis sie dann doch irgendwann fertig ist.

Dieses Gefühl, eine Sache mit den eigenen Händen geschaffen zu haben, die es so nur einmal gibt, hat etwas Erhabenes. Und es ist egal, dass die Mütze nicht perfekt geworden ist. Früher war Selbermachen notwendig, weil Kleidung teuer war und kaputte Hosen und Socken nicht sofort weggeworfen wurden. Heute lässt sich mit Stricken, Nähen oder Häkeln die eigene Kreativität ausleben. Die Sehnsucht, Dinge wieder in die eigene Hand zu nehmen, wächst.

"Handarbeit hat ihr Öko- und Hippie-Image verloren", sagt Naima Hakim. Sie hat vor drei Jahren das Strickcafé "mylys" an der Weidenallee eröffnet. Neben Strickkursen für Wiedereinsteiger und Anfänger (drei Termine à zwei Stunden kosten 60 Euro), die in den kommenden Wochen alle ausgebucht sind, gibt es jeden ersten und dritten Freitag im Monat die "Knight Night". Die Stricknacht ist offen für jeden. Kati Fakler, 35, mag lieber abends zu Hause in ihrer Wohnung in Altona sitzen. Dann strickt sie Mützen für ihre Kinder und trinkt dabei einen Rotwein. "Stricken hat ganz viel mit Zeit und Muße zu tun." Jetzt in der Elternzeit - Tochter Antoni ist elf Monate alt - geht das gut. "So kann ich meine Zeit zu Hause produktiv nutzen", sagt sie. Es sei entspannend und aufregend zugleich.

Wenn die Nähmaschine surrt, ist das für Simone Pelant ein bisschen wie Meditation. "Während man an einer Sache arbeitet, kann man so schön nachdenken", sagt sie. Die 32-Jährige näht schon, seit sie groß genug ist, um mit dem Fuß das Pedal der Nähmaschine zu erreichen. Vorbild war ihre Mutter. Die gelernte Schneiderin hat mit Zenny Wang und Eva Engel ein Nähcafé eröffnet: Das "Nähzimmer" soll für jeden sein, der unter Gleichgesinnten sein möchte. Hier kann man Nähmaschinen mieten, wenn man zu Hause keine hat, sich beraten lassen und Nähkurse besuchen. Vier Termine à zweieinhalb Stunden kosten 80 Euro. Begleitetes Nähen nennt sich das, wenn man Hilfe braucht. Die Kurse sind schnell ausgebucht. Simone Pelant hat anscheinend einen Nerv getroffen.

Zum Beispiel bei Stephanie Ihm. Die Sonderschullehrerin näht an diesem Montagabend mit anderen Frauen an den Nähmaschinen, angeleitet von Simone Pelant und Zenny Wang. Stephanie Ihms Projekt gehört zu den anspruchsvolleren: Sie schneidet gerade den Stoff für einen Strampler für ihre drei Monate alte Carla zu. "Hier habe ich mal Zeit nur für mich", sagt die 31-Jährige. Das Baby hütet der Papa. "Ich habe auch einen Garten, und irgendwie hängt das alles zusammen", sagt sie, "es geht darum, Sachen selbst zu machen und die eigene Kreativität auszuleben." Die Erde im Garten, der Stoff beim Nähen - beides gleite durch die Hände. Es ist die haptische Wahrnehmung, die im Alltag zu kurz kommt. E-Mails, Handys, die ständige Erreichbarkeit seien bei der Handarbeit ganz weit weg. Stephanie Ihm: "Zeit spielt keine Rolle."

Die Digitalisierung ist auch der Grund für die wachsende Sehnsucht, die Dinge wieder in die eigene Hand nehmen zu wollen, weiß Marc Schüling vom Trendbüro. Man möchte seine eigene Welt wieder im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. "Außerdem kann man mit dem Selbermachen auch weitere große Trends befriedigen: Selbstmanagement, also das gezielte Inszenieren der eigenen Person." Das kann mit einem selbst genähten Einkaufsbeutel anfangen und mit eigenen Erfindungen weitergehen. Zenny Wang zum Beispiel hat eine kleine Wickeltasche entworfen, in die ihre gesamten Schwimmsachen passen. Eine Wachsschicht sorgt dafür, dass die Nässe in der Tasche bleibt. Für ihre Freunde näht sie individuelle Sachen. "Selbstgenähtes zu verschenken ist toll. Die Leute freuen sich so", sagt die 33-Jährige.

Trendexperten wie Marc Schüling beobachten auch einen enorm gestiegenen Wunsch nach "Emotional Comfort", nach Geborgenheit und emotionaler Wärme. "Und in selbst gemachten Dingen fühlt man sich eben gleich zu Hause." Handarbeit ist groß in Mode und Teil einer Do-it-yourself-Bewegung. Begonnen hat sie in den USA vor gut zehn Jahren. Dort gibt es schon länger Näh- oder Strickcafés, ebenso seit ein paar Jahren in Berlin, Frankfurt, München und eben auch in Hamburg. Es ist wohl ein Großstadtphänomen, dass (überwiegend) Frauen zusammenkommen, nähen und stricken und dabei klönen. Aber: Geschlechterspezifisch lasse sich dieser Trend nicht eingrenzen, sagt Schüling. Selbermachen umfasst ja mehr als Stricken und Häkeln, nämlich auch Gardening (Gartenarbeiten) oder zum Beispiel urbanes Imkern.