Europa darf auf David Camerons riskante Forderungen nicht eingehen

Es ist mehr als 200 Jahre her, dass der deutsche Dichter und Philosoph Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, schrieb: Jeder Engländer ist eine Insel.

Gültig ist diese Erkenntnis nach wie vor. Heute, inmitten eines schwierigen Prozesses der europäischen Einigung, betont Großbritannien ein weiteres Mal ausdrücklich seinen insularen Charakter. Der britische Premier David Cameron wird derweil immer mehr zu einer tragischen Figur. Zwar übt er durchaus berechtigte Kritik am Zustand der Europäischen Union - vergisst dabei allerdings zu erwähnen, dass es gerade die Briten waren, die das europäische Einigungswerk immer wieder ausgebremst und die Etablierung effektiver Strukturen verhindert haben.

Cameron ist Pro-Europäer, wird aber von den europafeindlichen Kräften in seiner Partei buchstäblich mit der Säbelspitze in eine Konfrontation mit der EU gehetzt. Seine Drohung mit einem Volksentscheid soll ihm jene Kräfte gewogen machen, zugleich ist sie der schwer erträgliche Versuch einer Erpressung Brüssels. Er wolle einen besseren Deal für Großbritannien herausschlagen, hat Cameron in seiner Grundsatzrede unverblümt gesagt. Das ist schon starker Tobak, denn London genießt bereits jetzt eine Reihe von Sonderrechten, die mit dem Prinzip einer Gemeinschaft eigentlich unvereinbar sind. Die britischen Konservativen stellen sich die EU als bloßen Binnenmarkt ohne jegliche politische Verpflichtung vor.

Doch ein Europa à la carte mit Großbritannien als Rosinenpicker darf es nicht geben. Der glücklose Premier aus der Downing Street erweist sich als kurzatmiger Machttaktiker ohne Weitblick und analytischen Verstand.

Zum einen droht er mit einem Referendum, ohne zu wissen, ob er dann überhaupt noch regiert. Zum anderen ist Großbritannien - und das gilt für Deutschland, Frankreich oder Italien gleichermaßen - weder groß noch stark genug, um es in der neuen multipolaren Welt auf Dauer allein mit den gigantischen Spielern USA, China, Indien, Japan, Brasilien und anderen aufnehmen zu können - weder wirtschaftlich noch monetär. Vor den Augen der europhoben Tories wabert offenbar noch eine Fata Morgana des längst verblichenen Empires. Auf sich gestellt, müsste Großbritannien am Katzentisch Europas Platz nehmen.

Multinationale Unternehmen und immens viel Kapital würden aus London abziehen; ihren Rang als internationaler Finanzplatz würde die City schneller verlieren, als man "EU-Austritt" sagen kann. Wenn man sich vor Augen führt, dass ausländisches Kapital bereits 50 Prozent des britischen Bruttoinlandsproduktes ausmacht, so wird deutlich, dass das Poker um einen Austritt ungeheure Risiken für die Briten beinhaltet. Die USA, mit Großbritannien traditionell in einer "special relationship", würden ihren Brückenkopf in der EU verlieren; entsprechend entsetzt ist man in Washington über Camerons Kurs.

Auch innenpolitisch spielt der Premier mit dem Feuer. Nimmt man einmal an, Cameron werde wiedergewählt - was derzeit bereits als steile These gelten kann - und er würde tatsächlich das angekündigte Referendum veranstalten, so ist keineswegs gesichert, dass das Volk für den EU-Austritt stimmt. Doch eine Niederlage in dieser Grundsatzentscheidung würde die Tories politisch demontieren.

Die Risiken der unausgegorenen Cameron-Strategie sind für die Briten eindeutig größer als für die EU. Doch auch für die Gemeinschaft wäre es verheerend, wenn das Land Shakespeares und Newtons künftig vor der Tür bliebe. Andere unsichere EU-Kantonisten könnten auf ähnliche Ideen kommen - das wäre wohl das Ende der europäischen Vision.

Und mit einer EU ohne Großbritannien verhält es sich wie mit Loriots Leben ohne Möpse: grundsätzlich möglich, aber eigentlich sinnlos.