Der 70-Jährige ließ schon 100 Modellschiffe vom Stapel. Seine Wohnung ist voller Kuriositäten aus Afrika, wo er als Lehrer arbeitete.

Hamburg. Vom Elbufer sind es nur ein paar Stufen bergauf, und eine verwitterte Tafel mit Flaggen aus aller Herren Ländern neben der Wohnungstür weist den Weg: In einer urigen Butze, in zweieinhalb Zimmern einer ehemaligen Kohlenhandlung auf 50 Quadratmetern, ist Hamburgs wahrer "Werftchef" zu Hause. Mehr als 100 Schiffe ließ Hartmut Kirst in den vergangenen Jahren vom Stapel - aus winzigen Einzelteilen liebevoll und gekonnt zusammengefügt. "Vigeliensch", sagt man im Blankeneser Treppenviertel dazu. Geschickt eben. Die historischen Modelle zieren Restaurants, Wohnzimmer und natürlich auch Kontore echter Reeder.

"Moin!", sagt der Hobbybastler herzhaft zur Begrüßung und bittet in sein Reich, das origineller und persönlicher nicht sein kann. "Ich bin Hartmut." Also ist man im Nu per Du. Er stellt einen gewaltigen Pott Kaffee auf den braunen Holztisch in der guten Stube, direkt am Fenster. Die "Regina", eine schmucke dänische Holzyacht für Stückgutfracht auf der Nordsee, ist auch von draußen zu sehen.

Im Frühjahr und Sommer sitzt Hartmut Kirst im Miniatur-Vordergarten davor auf einer Bank und werkelt auf einem Nähmaschinentischchen. So kommt er mit Nachbarn und Passanten am Fuße des Blankeneser Treppenviertels im Vorübergehen in Schnack. Ist ja ein öffentlicher Weg, der viel genutzt wird. Passt ins Bild, dass der stufige Aufgang Am Hang heißt. Offizielle Adresse: Strandweg 19a. Wer hier mittenmang wohnt, hat automatisch Kontakt.

Werbezettel, Anzeigen, Internetpräsenz oder zumindest ein Schild am Klingelknopf? "Alles Tüdelüdelüüt", befindet Hartmut Kirst. Überflüssiger Krams also. Kundschaft kommt auch so - per Mundpropaganda. Und wer maritime Kunstwerke aus der Hand eines versierten Modellbauers sucht, wird bei dem 70 Jahre alten Rentner mit der enormen Fingerfertigkeit fündig. Hat sich im Stadtteil und in der Szene herumgesprochen.

Und zwar seit 1977. Da zog es den Sozialpädagogen, einen gebürtiger Berliner, der ook en beten Platt snackt, in die ursprüngliche Treppenwelt Blankeneses. Dort waren früher Kapitäne und Seeleute ansässig.

Auf die Idee "Schiffbau im Kleinen" brachte ihn Kumpel Jan. Seitdem werkelt Hartmut Kirst mit Inbrunst und Schaffenskraft. Früher in speziellen Bastelläden und nach deren Aus praktisch nur noch bei Karstadt in der Spielwarenabteilung ersteht er fertige Bausätze. Und dann geht's an die Arbeit. Und wie. Aufwendigster Auftrag war die "Cutty Sark", ein legendärer Tee-Clipper von 1869, seinerzeit eines der schnellsten Segelschiffe der Welt. Aus 6800 Einzelteilen, davon 2200 Kupferplättchen für den Rumpf unter Wasser schuf er in gut 800 Stunden ein Prachtstück, das heute in einem Hamburger Restaurant als Blickfang dient.

"Nur" 4800 Teile und rund 600 Stunden in der Blankeneser Bastelbutze verschlang die "Wappen von Hamburg", die im Original 1965 in Dienst gestellt und Helgoland mit dem Festland verband. Zwischen 400 und 1300 Euro kostet ein fertiges Schiff von Meisterhand in etwa. Alles ist eine Frage der Verhandlung und des Spaßes. "Wenn ich im Schnitt auf 3 Euro pro Stunde komme, bin ich schon froh", sagt der Hobbytüftler.

Für die komplizierten Bauanleitungen, die an den Wänden seines Werkraums hängen, sind Sprachkenntnisse hilfreich. Der Mann spricht neben Platt auch Englisch - Flüche auf Afrikaans komplettieren das Repertoire. Und das kam so: Durch eine Kleinanzeige in einem zufällig entdeckten Fachmagazin weckte der Erzieher in einem Heim für schwer erziehbare Kinder sein Fernweh. Von 1969 bis 1971 arbeitete er als Lehrer in einem Internat für deutschsprachige Farmerkinder in Windhuk. Das Faible für Namibia blieb ebenso tief verankert wie die Kontakte zu den ehemaligen Schülern, die heutzutage meist selbst Farmbesitzer sind. 39-mal reiste Kirst bisher in den Südwesten Afrikas, um seine mittlerweile alten Freunde zu besuchen, davon fünfmal mit Ehefrau Christa. Wenn der Kontostand stimmt, steht im Herbst dieses Jahres Ferntrip Nummer 40 auf dem Programm.

Kirst erzählt seine Geschichte mit Leidenschaft und Freude. Hier lebt einer nach seiner Façon, pflegt seine individuelle Note und hat sein ganz persönliches Ding durchgezogen. Dass der Sozialpädagoge in der Vergangenheit zudem ein Rockerprojekt in Billstedt begleitete und sich 36 Jahre im Dienste der Schulbehörde um Schülerhilfe kümmerte, sind weitere Facetten eines ganz besonderen Daseins. Atem holen und frischen Kaffee aufsetzen. Während der Gastgeber in seiner Kombüse hantiert, schweift der Blick durch ein Wohnzimmer mit Seltenheitswert: Auf wenigen Quadratmetern ist die weite Welt zu Hause, speziell die nahe dem Kap der Guten Hoffnung. Ein speckiges Sofa und zwei antike Stühle runden die Sitzgruppe am Fenster ab.

Ordnungsfanatiker sind hier fehl am Platz. Eher kommen Kumpel zum Fußballgucken oder zu einem geselligen Abend mit Hartmut auf der Gitarre und guten Drinks aus der Bar im Flur. Zum Beispiel die südafrikanischen Brandysorten Richelieu, Klipdrift oder Oude Meester. Kriegt man hierzulande kaum. "Willst 'nen Lütten?" Herzlichen Dank, Hartmut, lieber später mal. "Bei Hartmut gibt's immer eine offene Tür und ein Bier", hat Nachbar Klaas gesagt, der den Kontakt zu einem der größten Paradiesvögel der Hansestadt herstellte.

In uralten Holzregalen stehen gut und gerne 2000 Afrikabücher - erworben auf Flohmärkten, in Antiquariaten, im Internet sowie im Buchhandel. "Der König von Kongo", heißt eines davon, andere "Rote Sonne, schwarzes Land" oder "Der Stolz des Löwen". In der Ecke stehen Modelle der "Bounty" und der "Santa Maria", auf der 1492 Kolumbus in See stach. Es gibt auch Buddelschiffe, nautische Instrumente, ein Straußenei, eine Trommel, Seesterne und skurrile Eisentöpfe. Die Wände sind bedeckt mit Schifffahrtsmotiven, einer vergilbten Farmkarte des früheren Südwestafrika, anno 1914 herausgegeben vom britischen Geheimdienst. Daneben hängen Masken, ein Stoßzahn, das Geweih eines Springbocks, die Flagge Namibias. In der Ecke hat ein Seehundgebiss seine vorerst letzte Ruhe gefunden.

Mit zwei dampfenden Kaffeepötten kommt der Hausherr zurück. Lustvoll beantwortet er weitere Fragen. Ja, es ist die Haut einer Puffotter. Und das Teil mit den Schnitzereien ist der Zahn eines Nilpferds. Die anderen Kuriositäten sind skelettierte Köpfe eines Pavians und eines Warzenschweins. Hier lebt sich einer aus.

Vor allem im Bastelraum ein Zimmer weiter. Irgendwie scheint das Chaos eine innere Ordnung zu haben. Jede Menge Feilen, Spachtel, Holzleisten, Zirkel, Stifte, Zangen, Bohrer, eine Kreissäge und weitere Werkzeuge sind zu sehen. Ebenso Kleber, Öle und Lacke. Ein Paradies für Bastler. Gummistiefel und eine Rettungsweste gehören auch dazu.

Denn wer so nah an der Elbe wohnt und in Blankenese verankert ist, frönt natürlich auch dem Segelsport. Seit mehr als 30 Jahren ist Kirst Mitglied im Blankeneser sowie im Mühlenberger Segel-Club und ebenfalls im Lüderitzer Yachtclub in Namibia. In jüngeren Jahren machte er mit Freund Jan und der gemeinsamen Jolle "Omatako" die Elbe unsicher. Aus der Bantusprache der Herero übersetzt heißt das "Allerwertester". Um es höflich zu formulieren ...