Tausende Hamburger staunten über das dicke Ding, als der Schwimmkran “Taklift 4“ den Granit vor zehn Jahren auf den Elbstrand setzte.

Hamburg. An den Tag im September vor zehn Jahren kann sich Erwin Bette noch sehr genau erinnern. "Wir waren zu fünft auf der 'Titan' und baggerten am nördlichen Ufer der Elbe in Höhe Övelgönne die Flusssohle in etwa 13,50 Meter Tiefe aus, als es plötzlich einen ziemlichen Rums gab", erzählt der Maschinist. Der 64-Jährige steht im Blaumann am Elbufer, neben ihm sein Bauleiter Gerd Reich von der Firma Möbius, die damals für die Elbvertiefung an dieser Stelle zuständig war. Der Eimerkettenbagger mit seinen 65 Schaufeln war im September 1999 bei seinen Arbeiten auf heftigen Widerstand gestoßen. "Wir dachten zuerst an ein Schiffswrack", erinnert sich Erwin Bette. Immer wieder prallten die Eimer an dem harten Gegenstand ab, und mit zunehmender Dauer der Aktion ahnte die Crew, dass sie es wohl eher nicht mit einem auf Grund gelaufenen uralten Kutter zu tun hatte.

Bette ist das Urbild eines Seemanns mit weißem Bart, großen, zupackenden Händen, fröhlichen Augen und einer Gesichtsfarbe, die den ewigen Dreikampf zwischen Haut, Wind und Wasser bezeugt. Er ist seit seinem 24. Lebensjahr auf den Weltmeeren unterwegs, hat auf Schiffen in Saudi-Arabien, Nigeria und dem Irak gearbeitet. Er ist eher für kurze Sätze und erzählt, dass er und seine Kollegen im Laufe der vielen Jahre auf dem Wasser natürlich immer wieder auf Steine, Wracks und allerlei versunkene Schätze gestoßen sind. Aber diesmal, das wusste er ziemlich bald, ging es um etwas viel Größeres.

Gerd Reich sagt, dass der Nordhang der Elbe ziemlich schwere Böden hat. Hätte sich der unsichtbare Widerständler im Flussbett auch als Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entpuppen können? "Nein", sagt der 47 Jahre alte Gruppenleiter für Hafen und Küste", der seit 15 Jahren bei Möbius tätig ist: "Eine Bombe hätte die 'Titan' mit ihren großen Eimern einfach aus der Elbe mit hochgebaggert."

Die Vermutung lag also nahe, dass es sich bei dem Hindernis um einen überdimensionalen Felsbrocken handeln musste. Um das Geheimnis zu lüften, musste man der unheimlichen Sache in der Elbe im Wortsinn auf den Grund gehen. Zumal der Stein des Anstoßes in dem sogenannten Drehkreis zwischen Parkhafen und Övelgönne lag. Genauer: bei Kilometer 627.458. Ein Bereich der Elbe, auf dem die großen Schiffe wenden können. Da darf nichts in die Quere kommen.

Also kamen die Taucher von Strom- und Hafenbau mit ihrem orangefarbenen, 25 Meter langen Tauchschiff "Düker to". Vicente Schmidt stieg in seine 20 000 Mark teure Tauchermontur ("Kirby Morgan") und begann seine erste Suche bei Niedrigwasser. "Am Gewässergrund konnte ich auch mit einer starken Lampe nur 20 Zentimeter weit sehen", erzählte er nach dem ersten Tauchgang. "Den Stein musste ich daher mit meinen Händen abtasten. Zuerst dachte ich, dass es ein einziger Stein ist, aber dann spürte ich eine Spalte, die mit Mergel gefüllt ist." War die "Titan" etwa gleich auf zwei Super-Brocken gestoßen?

Einen Tag später stand fest, dass es sich bei dem geologischen Sensationsfund im Elbbett um einen riesigen Findling mit einem Gewicht von 200 bis 300 Tonnen handelte. Später wurde genau nachgemessen: 217 Tonnen schwer, 4,5 Meter hoch, 20 Meter Umfang. Mit einem geschätzten Alter von 1,8 Milliarden Jahren war er noch nicht einmal trocken und schon Hamburgs ältester Einwanderer. Gekommen wahrscheinlich vor 400 000 Jahren mit der sogenannten Elster-Eiszeit während des gewaltigen Gletschertransports aus Südschweden über die Ostsee.

Der Koloss, der aus der Kälte kam, elektrisierte die Hamburger. Sie fanden sich in Scharen am Elbufer, nur einige Hundert Meter von der beliebten "Strandperle" entfernt, ein, als der Findling am 18. Oktober 1999 das erste Mal geborgen werden sollte - und mit einem gewaltigen "Platsch" aus den dicken Stahlseilen des Schwimmkrans "Taklift 4" wieder in die Elbe rutschte. Sie kamen zu Tausenden fünf Tage später erneut an den Elbstrand. Filmten, fotografierten, hielten den Atem an und jubelten, als das neue Hamburger Wahrzeichen um 17.14 Uhr auf dem Sand aufsetzte.

Sie feierten die "neue Steinzeit" in Hamburg und begaben sich begeistert auf Namenssuche. "Big Johnny", "Klopsi" oder "Schweinchen Dick" waren nur einige von zahlreichen Vorschlägen, der nächstliegende setzte sich schließlich durch: "Alter Schwede" hieß fortan das Ungetüm aus Granit, das auch flugs auf diesen Namen getauft wurde. Und zwar im Juni 2000 von Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin Krista Sager, Schwedens Generalkonsul Leif H. Sjöström und dem Pastor der schwedischen Gustaf-Adolf-Kirche in Hamburg, Ernst-Arne Detert. Anschließend freute sich Senatssprecher Rainer Scheppelmann, dass "Alter Schwede" ja auch ein norddeutscher Ausdruck der Verwunderung sei und damit dem Riesentäufling gerecht werde.

Und so ging es munter weiter. Als der 217-Tonner eines Tages zehn Zentimeter in den Sand einsackte, titelte die "Bild": "Findling bewegte sich - will er zurück in die Elbe?" Als immer wieder Sprayer sich auf dem Stein verewigten, machte der Landwirt und Künstler Ludwig Völpel aus Büchen Bürgermeister Ortwin Runde den Vorschlag, den Koloss auf Betonstelzen zu stellen. "Sprayer kämen nicht mehr ran, und der Stein wäre bei Sturmfluten eine weithin sichtbare Skulptur für die Schifffahrt." Kosten: 40 000 Mark. Antwort der Stadt: "Kein Handlungsbedarf ".

Und als Broder Drees, Seebestatter, legendärer Wirt am Großneumarkt und Kneipenbesitzer in St. Petersburg, den Kultklotz zum Seemannsdenkmal "umwidmen" und eine Inschrift mit den Worten: "In Gedenken an alle, die auf hoher See ihre ewige Ruhe fanden" anbringen wollte, zog das Bezirksamt Altona eine Senatsverordnung aus der Schublade, wonach es ausgeschlossen sei, ein "Naturdenkmal" umzufunktionieren. Denn das ist der Alte Schwede seit dem April 2001, als der Senat den Findling unter Denkmalschutz gestellt hatte, was fortan eine Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung verbot.

Auch eine Verlagerung blieb dem Stein erspart. Obwohl Tourismuschef Dietrich von Albedyll gefordert hatte: "Man sollte ihm einen würdigeren Platz geben, vielleicht am Museumshafen in Oevelgönne. Da, wo er jetzt steht, sieht er aus wie in die Ecke gestellt." Und der heutige Bürgermeister Ole von Beust, damals CDU-Oppositionsführer, hätte den Einwanderer aus Schweden gerne in die Innenstadt nach Planten un Blomen geholt.

Erwin Bette findet, dass der Findling seinen endgültigen Platz gefunden hat. Nur ein Geheimnis ist noch nicht gelüftet: Wann genau die "Titan" den Stein entdeckt hat. Auf den Schautafeln sind als Datum der 15. und der 17. September 1999 angegeben. Gerd Reich ist jetzt noch einmal ins Firmenarchiv gegangen. Doch das Tagesprotokoll über den Fund ist - nicht auffindbar.