Das berühmte weiße Hotel Atlantic verschwindet aus Ranglisten, Veranstaltungen werden abgesagt, und jetzt geht auch noch der Direktor.

Hamburg. Erst verlor es seine fünf Sterne. Dann wird es zum Jahresende nach 17 Jahren Mitgliedschaft aus der internationalen Marketing-Gesellschaft "The Leading Hotels of the World", einem Zusammenschluss von insgesamt 450 Luxushotels, geworfen. Für die einst so geschätzten Feste in den schönen Ballsälen treffen Absagen ein. Und schließlich hat Hoteldirektor Sebastian Heinemann jetzt seinen Rückzug angekündigt.



Es steht schlecht um das renommierte Hotel Atlantic an der Außenalster, das erst im Mai seinen 100. Geburtstag gefeiert hat. Hamburg erlebt den langsamen Niedergang eines Grandhotels.


Direktor Heinemann wird das Atlantic zum Jahresende verlassen. "Ich bin jetzt 45 Jahre alt und hatte mich schon länger mit dem Gedanken getragen, mein Leben noch einmal ganz neu auszurichten", sagte er dem Abendblatt. Der Vater von vier Kindern, Hobbycellist und ehemalige Dressurreiter will sich als Berater für Unternehmen, Unternehmenskultur und Events selbstständig machen. Mit den aktuellen Problemen des Hotels habe sein Abschied aber nichts zu tun, behauptet Heinemann: "Für mich gibt es kein anderes Hotel als das Atlantic." Er werde auch in Hamburg bleiben. Einen Nachfolger für den gelernten Koch aus Hessen, der das Haus seit 2001 leitete, gibt es noch nicht.


Zur aktuellen Kritik am Atlantic wollte sich Heinemann nicht äußern, das sei Sache des Eigentümers. Hinter der Octavian Hotel Holding GmbH in Neu-Isenburg, zu der das Atlantic gehört, steht der hessische Hotel-Unternehmer Dieter Bock.


Schon seit Jahren ist das Atlantic von den vorderen Plätzen wichtiger internationaler Ranglisten verschwunden. In der Wertung des US-Finanzmagazins "Institutional Investor" zum Beispiel, einer Art internationalen Bewertungsbibel weit gereister Banker für Luxushotels, tauchte es zuletzt 1997 auf dem 77. Platz auf. Das Finanz-Magazin "Impulse" sah das Atlantic 2007 nur noch auf Rang 18 der führenden Chefhotels in Deutschland. Und im Wirtschaftsmagazin "Euro Finanzen" konnte das Atlantic 2007 nur noch im Bereich Service punkten - auf Platz drei.


Viele Hamburger machen sich Sorgen um die Zukunft des "Weißen Schlosses an der Außenalster", in dem einst Stars wie Heinz Rühmann, Luciano Pavarotti, der Schah von Persien, der japanische Kaiser und Ex-Beatle Paul McCartney nächtigten. Sogar Szenen für einen James-Bond-Film wurden im Hotel Atlantic gedreht. Der berühmteste Dauergast ist nach wie vor Udo Lindenberg.


"Die schlechten Schlagzeilen der vergangenen Monate haben einen großen Imageschaden angerichtet", sagt Hamburg-Tourismus-Chef Dietrich von Albedyll. "Auch im Ausland wird man darauf angesprochen. Ein enormer Verlust, denn das Atlantic gilt wie das Hotel Vier Jahreszeiten immer noch als Flaggschiff unserer Stadt. Es muss endlich Geld für die Renovierung her." Die Spirale der Kritik habe eine Sogwirkung auf künftige Veranstaltungen, und das sei "ungerecht". Vielleicht gerade deshalb wählten Hamburg Tourismus und die TUI für eine bedeutende Pressekonferenz mit 140 Journalisten den großen Ballsaal des Atlantic als Veranstaltungsort.


Hotel-Eigentümer Dieter Bock (70), der in Darmstadt und London wohnt, gilt als knallharter, extrem sparsamer Unternehmer. Ähnlich wie die Aldi-Brüder (in deren Tüten er schon mal seine Akten transportiert) lebt er zurückgezogen, lässt sich ungern fotografieren und gibt nur selten Interviews. Zu seiner Octavian Hotel Holding GmbH zählen neben dem Atlantic die Kempinski-Hotels Gravenbruch in Frankfurt, Schloss Reinhartshausen, Taschenbergpalais in Dresden und das Bristol in Berlin - Letzteres auch gerade aus der Liste der Leading Hotels of the World gerutscht. "Dieter Bock", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, "ist ein sehr höflicher Mensch, zurückhaltend, fast unscheinbar, der auf gutes Benehmen wert legt." Aber im Geschäft sei er beinhart.


Der renommierte Hotel- und Gastronomie-Kritiker sowie Autor Heinz Horrmann (75, "Der Hotelinspektor"/RTL) sagt: "Mir liegen seit Monaten Unmengen von Beschwerden über das Atlantic vor. Nach meinen Informationen ist das Hotel bei der aktuellen und sehr strengen Punktebewertung der Leading-Hotels auf 59 Prozent gesunken. In den 90er-Jahren hatte es einmal 81 Prozentpunkte - das spricht Bände. Das Atlantic ist alt, müde, abgewohnt, die Teppiche verschlissen. Man sieht einfach, dass es seit Ewigkeiten keine Frischzellen bekommen hat, und das macht beim Gast nun mal keinen Appetit." Horrmann macht den Eigentümer verantwortlich für den Zustand der ehemaligen Nobelherberge, in der er selbst zuletzt vor neun Monaten übernachtet hat: "Der Bock, der blockt! Er hat jahrelang fast nichts zur Erfrischung des Traditionshauses getan. Ich sehe zurzeit keinen Grund, dort wieder hinzugehen." Auch Dietrich von Albedyll sieht jetzt Dieter Bock am Zug: "Der Eigentümer muss jetzt reagieren, dann bekommt das Hotel alle Unterstützung von uns."


Uwe Klaus, einer von drei Geschäftsführern der Octavian Hotel Holding und bis 1997 selbst Direktor in Kempinski-Häusern, sagt: "Wir werden an der Planung festhalten und noch in diesem Jahr mit dem Umbau für rund 22 Millionen Euro beginnen. Aber nur eine sinnvolle nachhaltige Planung mit einer durchfinanzierten Renovierung macht Sinn. Auch wir wissen, dass es in Bezug auf die Zimmer einen gewissen Handlungsbedarf gibt."


Zurzeit werde das "Back-Office", also Heizungen, Klima- und Elektroanlagen von Grund auf erneuert. Danach soll dann das Gelbklinker-Gebäude an der Ecke Alstertwiete bis zur heutigen Atlantic-Garage abgerissen werden. In dem Trakt ist unter anderem das Schwimmbad untergebracht.


Die Zeit drängt, denn die Liste der Absagen wächst:


- Event Prominent, eine Modenschau-Benefiz-Gala, wird in diesem November ihr 10. Jubiläum statt im Atlantic zum ersten Mal im Elysée-Hotel feiern. "Das Elysée hat den Veranstaltern ein sehr gutes Angebot gemacht, statt 350 Gäste werden es rund 600 sein", sagt Vermarkterin Karen Hoffmann (Raike PR).


- Der Ostasiatische Verein Hamburg (OAV) verlegte sein traditionelles Liebesmahl "wegen Terminschwierigkeiten mit dem Hotel Atlantic" in eine Veranstaltungshalle im Hafenschuppen. Ob das hochkarätige Wirtschafts-Dinner mit rund 400 Gästen 2010 an die Alster zurückkehrt, ist noch offen.


- Die Show des renommierten Modehauses Hoffmann am Neuen Wall fand nach 20 Jahren zum ersten Mal auf der MS "Europa" und im Elysée statt.


Jetzt überlegen Eltern sogar, ob sie die beliebten Abtanzbälle der Jugendlichen 2010 an einen anderen Ort vergeben. "Zu wenig Personal oder billige Aushilfskräfte, dazu ein mittelmäßiges Essen", monierten Kunden der Hamburger Traditionstanzschule Wendt.


Langjährige Stammgäste bedauern: "Dem Hotel fehlt ein Gesicht, der persönliche Ansprechpartner. Das Haus hat keine Seele mehr. Was nützen tolle Räume und ein gutes Restaurant, wenn man als Gast nicht wahrgenommen wird?" Einige Mitarbeiter und ehemalige Angestellte im Atlantic beklagen zudem das mangelnde Vertrauen der Hotelleitung in ihre Arbeit. In der Kritik stand auch der scheidende Direktor Sebastian Heinemann. "Er ist ein ausgezeichneter Hotelkenner", sagt ein Branchen-Insider. "Doch ihm fehlen die persönliche Bindung zu den Stammgästen und der Kontakt in die Öffentlichkeit. Ohne diese Philosophie ist ein Flaggschiff auf Dauer nicht zu führen."


Gesichter, die diese Aufgaben früher übernommen haben, gibt es nur noch wenige im Hotel Atlantic. Erst wechselte nach 35 Jahren Stieg Arnberg, Guest Relation Manager, zur Villa Kennedy in Frankfurt. Dann verließ Event-Managerin Lucy Liedtke nach drei Jahrzehnten das Atlantic und ging ins feine Privathotel Lindtner in Harburg. Küchenchef Sven Büttner wechselte im April nach sechs Jahren ins Münchner Kempinski Vier Jahreszeiten. Und der langjährige Atlantic-Bar-Chef Gerardo Goffredo, Intimus vieler Stammgäste, machte sich mit einem eigenen Restaurant und Catering-Service am Poelchaukamp in Winterhude selbstständig.


Geblieben ist der Hamburger Presseball, geplant für den 23. Januar 2010. "Die Verträge sind noch nicht unterschrieben", macht Organisator Karsten Lüchow Hoffnung. "Aber die Festsäle des Atlantic sind in Hamburg einmalig." Immerhin.