Wie fliegen wir in 20 Jahren? Hamburger Institutionen und Firmen tüfteln an neuer Technik. Ziele: Mehr Komfort und weniger Verbrauch.

Hamburg. Sie sehen aus wie fliegende Rochen, andere erinnern entfernt an den X-Flügel-Raumjäger aus den "Star Wars"-Filmen. Zwar existieren derart ungewohnt geformte Passagierflugzeuge bislang nur auf den Computerbildschirmen von Forschern und Entwicklungsingenieuren oder als wenige Meter große ferngesteuerte Modelle, doch schon in 20 Jahren könnten sie auf den Flughäfen der Welt zu sehen sein. Dort würden sie sich selbst für die Augen von Luftfahrtlaien deutlich von dem seit fünf Jahrzehnten vertrauten Bild eines Verkehrsjets - ein lang gestreckter Rumpf mit dem Leitwerk am Heck, in der Mitte die Tragflächen mit den Triebwerken darunter - abheben.

Hamburger Experten arbeiten maßgeblich an den revolutionären Entwürfen mit. Einer dieser Forscher ist Detlef Schulze, Leiter des Departments Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). "Vieles deutet darauf hin, dass wir mit dem Airbus A380 die obere Grenze dessen, was sich mit der herkömmlichen Form realisieren lässt, erreicht haben", sagt er.

Zusammen mit weiteren Professoren der HAW macht sich Schulze Gedanken über gänzlich neue Bauweisen. Eine aussichtsreiche Variante heißt in der Fachwelt "Blended Wing Body" (BWB). Diese Bezeichnung beschreibt ein Flugzeug, dessen Rumpf fließend in die Tragflächen übergeht, wodurch ein sehr großes Innenvolumen entsteht. "Ein solcher Jet könnte mehr als 1000 Passagiere transportieren", so Schulze. Sollten sich die Prognosen, wonach sich der weltweite Luftverkehr in den nächsten 15 Jahren verdoppelt und bis 2050 sogar versechsfacht, auch nur annähernd als zutreffend erweisen, bestünde auf den Routen zwischen den Metropolen Asiens, Europas und Amerikas erheblicher Bedarf für derartige Giganten der Lüfte. Doch noch etwas anderes spricht für den rochenförmigen Flieger: "Wir gehen davon aus, dass er rund 25 Prozent weniger Treibstoff verbraucht als ein vergleichbares Flugzeug konventioneller Auslegung", sagt HAW-Professor Thomas Netzel.

Denn nicht allein das Wachstum kennzeichnet den Luftverkehrsmarkt der Zukunft: "Es wird darum gehen, Mobilität mit minimalen Umweltauswirkungen zu ermöglichen", sagt Volker Gollnick, Leiter des Hamburger Instituts Lufttransportsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Sein Institut mit 40 Beschäftigten arbeitet ebenfalls an BWB-Konzepten.

Bei solchen Maschinen ist nicht nur das äußere Erscheinungsbild ungewohnt. Den Passagieren werden sie ein völlig neues Fluggefühl bieten. So befindet sich der allergrößte Teil der Sitzplätze weit entfernt von Fenstern - falls man auf diese nicht zugunsten einer "glatteren" Außenhaut und damit noch besseren Aerodynamik ohnehin verzichtet. "Mit großflächigen holografischen Darstellungen wird man dann aber eine sehr realitätsnahe künstliche Außensicht schaffen können", ist Gollnick überzeugt.

Bei Airbus auf Finkenwerder entwickelt ein Team um Ingo Wuggetzer, Leiter des Bereichs Kabineninnovation, Ideen für den Innenraum der Flugzeuge künftiger Generationen. Das Leitbild: "Die Passagiere sollen vitaler und gesünder am Ziel ankommen, als sie losgeflogen sind", so Wuggetzer. Nach seinen Vorstellungen wird es Sitze geben, die sich der Körperform anpassen und mit Akupressurzonen die Fluggäste vitalisieren. Außerdem werde sich eine Zone für Aroma-, Licht- und Klangtherapie in der Kabine befinden. Schwindelfreie könnten sich in einen Rumpfabschnitt begeben, der auf Wunsch durchsichtig wird und einen atemberaubenden Panoramablick bietet.

Zwar dürfte es noch mindestens 20 bis 30 Jahre dauern, bis die großen fliegenden Dreiecke der BWB-Kategorie die Kontinente verbinden. Als ferngesteuertes Modell im Maßstab 1:30 mit einer Spannweite von 3,20 Metern kann man ein solches Flugzeug aber schon heute gelegentlich im Luftraum nahe Itzehoe sehen. Eine Studentengruppe unter Leitung von Netzel hat das aktuelle Modell, das aus leichten Kunststoffmaterialien besteht, gebaut. "Bis zur Produktion eines echten Jets gibt es allerdings noch vieles zu erforschen", so Netzel. Eine der Herausforderungen liegt in der Konstruktion der Druckkabine. In der für eine BWB-Maschine benötigten Geometrie ist sie wesentlich aufwendiger zu fertigen als in der gewohnten zylindrischen Form.

Schon aus diesem Grund wird man nach Einschätzung von Experten zumindest bei Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen, die in erheblich höheren Stückzahlen gebaut werden, den Röhrenrumpf beibehalten. Dafür könnte in diesem Marktsegment das sogenannte Box-Wing-Konzept zum Einsatz kommen. Diese Flugzeuge werden vier miteinander verbundene Flügel, die ein Viereck spannen, besitzen und nach Berechnungen der HAW-Forscher immerhin neun Prozent weniger Treibstoff verbrauchen.

Doch es genüge nicht mehr, die Technik weiter zu verbessern, meint Gollnick, man müsse zunehmend auch den Komfort der Fluggäste schon am Boden im Blick haben: "Die Passagiere können künftig schon zu Hause einchecken, ihr Gepäck und sich selbst auf Wunsch abholen und zum Flugzeug bringen lassen." Denn in den nächsten Jahrzehnten würden Hochgeschwindigkeitszüge auf kürzeren Strecken zu einer starken Konkurrenz des Luftverkehrs - auch in China und in den USA.

Eine mindestens ebenso große Herausforderung liegt in den abnehmenden Erdölvorräten begründet: "Der Luftfahrt geht allmählich der Treibstoff aus", sagt der DLR-Institutsleiter. Daher müssten stetig steigende Mengen an Kerosin aus Biomasse erzeugt werden. Den Optimismus mancher Kollegen, die auf Wasserstoff- oder Elektroantriebe setzen, teilt Gollnick nicht: "Ein Elektromotor wird bei gleichem Schub immer mehr wiegen als eine Turbine." Ebenso verhalte es sich mit dem Wasserstoff: "Um ihn transportieren zu können, braucht man einen Druckbehälter - und der ist schwer. Gewicht ist in der Luftfahrt aber des Teufels."

Dennoch gibt es einen sinnvollen Verwendungszweck von Wasserstoff im Flugzeug. Dies erforscht ein Wissenschaftlerteam um Frank Thielecke, Leiter des Instituts für Flugzeug-Systemtechnik der TU Hamburg-Harburg, zusammen mit Airbus: Eine Brennstoffzelle ersetzt die bisher zur Stromerzeugung am Boden genutzte und mit Kerosin betriebene Hilfsturbine im Heck. "Wir beschäftigen uns unter anderem damit, wie die Brennstoffzelle noch für weitere Aufgaben an Bord genutzt werden kann", sagt Thielecke. "Die von ihr erzeugte Energie kann auch verwendet werden, um Elektromotoren im Fahrwerk anzutreiben und das Flugzeug emissionsfrei rollen zu lassen."

Eine immer wichtigere Rolle für das Unternehmens- und Wissenschaftlernetzwerk am Standort Hamburg spielt das Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL), das im Jahr 2009 von Airbus, Lufthansa Technik, drei Hochschulen, der DLR und der Hansestadt sowie einem Förderverein gemeinsam gegründet wurde. "Wir verstehen uns als Dienstleister", sagt Geschäftsführer Roland Gerhards. ZAL-Mitarbeiter werden in einem 24.000 Quadratmeter großen Gebäude, das im nächsten Jahr auf Finkenwerder gebaut werden soll, ein Brennstoffzellenlabor für die Forscher und einen Kabinensimulator für Airbus betreiben. Bereits seit 2011 unterhält das ZAL auf dem Gelände von Lufthansa Technik Teststände für Kabineninstallationen. Die Einrichtung steht - wie das TechCenter auf Finkenwerder - auch weiteren Partner wie etwa Zulieferern offen.

Die Zukunft des Fliegens gestalten in Hamburg ohnehin nicht nur große Institutionen und Konzerne, sondern auch kleine Firmen mit. So arbeitet die Harburger Firma mb + Partner der früheren TU-Studenten Jan Binnebesel und Till Marquardt an einem Konzept für Flugzeuge ohne Fahrwerk. Denn dieses macht zwar bis zu 15 Prozent des Gewichts aus, wird aber nur für wenige Minuten pro Flug gebraucht. Daher, so die Idee, ist es wesentlich effizienter, die Räder nach dem Start am Boden zu lassen und am Zielflughafen auf einem dort bereitstehenden Fahrgestell aufzusetzen, das per Automatik exakt unter den anschwebenden Jet gesteuert wird. "Auf diese Weise könnte der Verbrauch voraussichtlich um bis zu 20 Prozent gesenkt werden", erwartet Binnebesel. "Wir gehen aber davon aus, dass die erforderlichen Technologien im Jahr 2030 verfügbar sein werden.". Die Akzeptanz spiele eine große Rolle, so Binnebesel. Nicht zuletzt bei den Piloten. Deren Rolle wird sich in Zukunft ohnehin verändern. Aufgrund der hohen Personalkosten und der fortschreitenden Automatisierung werde nur noch ein Pilot im Cockpit sitzen, der die Technik eher überwache als bediene, erwartet Gollnick. Er ist sich aber sicher, dass es Passagierflugzeuge ganz ohne Piloten nicht geben wird: "Das ist psychologisch nicht zu vermitteln."