Premier Erdogan will Einfluss der Türkei in Nahost stärken

Das Ende des Kalten Krieges mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums erlaubte es den meisten Staaten der Nato, drastisch abzurüsten. Für das Nato-Mitglied Türkei galt dies nicht in gleicher Weise - die türkische Armee ist noch immer mehr als 650 000 Mann stark.

Zwei Motive stehen dahinter. Zum einen lässt ein Blick auf die Karte erkennen, dass die Türkei mit Syrien, dem Irak und dem Iran an politische Krisenzonen grenzt. Das brodelnde Ägypten und der israelisch-palästinensische Dauerkonflikt sind ebenfalls nicht fern. Die Türkei will für alle Eventualitäten gewappnet sein.

Zum anderen aber ist der Wunsch nach Einflussnahme, wenn nicht gar Dominanz in den Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reiches bei dem neuen türkischen "Sultan" Recep Tayip Erdogan offenbar sehr stark.

Früher ein islamistischer Feuerkopf, der für rüde antidemokratische Äußerungen ins Gefängnis geworfen wurde und Berufsverbot erhielt, hat der Premier die Türkei wirtschaftlich und politisch zwar weit vorangebracht und auf einigen Gebieten EU-Standards angeglichen. Gleichzeitig jedoch betreibt Erdogan längst eine schleichende Islamisierung und ersetzt liberale Richter, Chefredakteure und andere Funktionsträger durch Anhänger seiner Muslim-Partei AKP.

Die ambivalente Haltung zeigt sich auch in der Gazakrise: Zum einen bietet sich die Türkei als Vermittler an, zum anderen schwafelt Erdogan von Israel als "terroristischem Staat" daher, der in Gaza Massaker an Kindern begehe. Erdogan will dort die Hamas als Sieger sehen - doch wiederum nicht so stark, dass der Hamas-Förderer Iran dadurch gestärkt wird. Im Syrienkonflikt betreibt der Premier eine offensive Politik, die langfristig auf eine Schwächung des Iran und eine Stärkung des türkischen Einflusses hinausläuft. Durch die Schmähung Israels will Erdogan seine Akzeptanz in der arabischen Welt stärken.

In der türkischen Führung verfestigt sich die Vision einer islamisch geprägten Großmacht in der nah- und mittelöstlichen Region. Mit einem EU-Beitritt ist dieser Kurs des türkischen Premiers nur noch äußerst mühsam zu vereinbaren.