Ägyptens Präsident verwandelt sein Land konsequent in eine islamische Diktatur.

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi galt bei seinem Amtsantritt vielen nur als zweite Wahl, weil der eigentliche Spitzenkandidat der Muslimbrüder, der wesentlich charismatischere Muhammad Chairat Sa'd al-Schater, zuvor von der Wahlkommission ausgeschlossen worden war. Inzwischen kann niemand mehr das taktische Geschick Mursis anzweifeln - allerdings gibt die Richtung seines ebenso trickreichen wie konsequenten Handelns allen Grund zur Besorgnis.

Eben noch wurde Mursi als Friedensstifter im Gazakonflikt gefeiert, schon entmachtet er im Windschatten dieses Ereignisses die Justiz seines Landes und macht damit sich und seine Entscheidungen unangreifbar. Eine erstaunliche Koinzidenz, bedenkt man, dass die Hamas die palästinensische Entsprechung von Ägyptens Muslimbrüdern ist und ihre vom Iran gelieferten und auf Israel gefeuerten Raketen durch Tunnel aus Ägypten nach Gaza geschmuggelt wurden. Die Aura des Vermittlers in einem schier unlösbaren Konflikt sollte vermutlich auch internationale Kritik an seinen innenpolitischen Schachzügen dämpfen.

Für diese wirft der nun allmächtige Präsident auch sachliche Gründe in die Waagschale: So sei die Justiz nach wie vor mit Gefolgsleuten des Mubarak-Regimes durchsetzt und habe den gesellschaftlichen Wandel gefährlich gebremst. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Nur hat man jemals einen Diktator gesehen, der freiwillig seine Vollmachten wieder hergegeben hat? Zumal in Ägypten, dessen Bevölkerung Rechtsstaatlichkeit und Gewaltentrennung noch nie erlebt hat?

Die Annahme, die sogenannte Arabellion gleite automatisch in demokratische Verhältnisse über, war so romantisch und irrig wie die Methode George W. Bushs. Der meinte einst, man müsse nur in einem arabischen Staat die Demokratie mit Feuer und Schwert einführen und schon folgten die Nachbarn in einem Dominoeffekt auf dem Weg zu Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.

Stattdessen sind von Afghanistan bis Marokko islamistische Kräfte am Erstarken. Sie haben in Tunesien und Ägypten per demokratischer Wahl die Regierungsmacht erhalten und bauen diese nun sukzessive in ihrem Sinne um. Statt eines Leuchtturms der Demokratie im arabischen Raum droht Ägypten sogar zur Speerspitze des politischen Islamismus zu werden. Ein zweiter Gottesstaat nach Iran und von Bürgerkriegen und Unruhen geschüttelte Nachbarländer wie Syrien und Irak können nicht nur Israel beunruhigen. Hier sind vor allem die USA gefragt, die einen Großteil des ägyptischen Haushalts finanzieren, und auch die EU, die als neutraler Makler in der Region auftreten und auch wirtschaftliche Perspektiven bieten kann.

Denn dass aus der arabischen Revolte keine Revolutionen wurden, dass es statt eines anderen Herrschaftssystems nur andere Herrscher gibt, liegt vor allem am Mangel eines die Demokratie tragenden Mittelstandes. Den wird es nicht geben, solange ideologisch motivierte Autokraten zwar Massen bewegen und Machtapparate bedienen können, aber keinerlei ökonomische Vision haben. Diesen Kreislauf gilt es zu unterbrechen. Sonst bleiben demokratische Oppositionskräfte zersplittert und politisch völlig überfordert.

"Ich will, dass sich das Volk gegen mich erhebt, wenn ich das Gesetz und die Verfassung nicht respektieren sollte", hatte Mursi zu Beginn seiner Amtszeit erklärt. Der Zeitpunkt dafür scheint jetzt gekommen zu sein. Möglicherweise war aber selbst dieser Ausspruch von Kalkül getragen - um im Zeichen abzusehender oder selbst provozierter permanenter Unruhen oder gar eines drohenden Bürgerkrieges endgültig diktatorische Strukturen zu rechtfertigen und zu zementieren. Zuzutrauen ist das nach den bisherigen Erfahrungen dem neuen ägyptischen Machthaber allemal.