Der einstweilige Stopp der Elbvertiefung durch das Bundesverwaltungsgericht stellt die Zukunft des Hamburger Hafens infrage.

Hamburg. Kommt die lange geplante Elbvertiefung? Und wenn ja: wann und in welcher Form? Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stoppte den Vollzug des Großprojekts, weil über die Klagen der Umweltverbände BUND, Nabu und WWF sowie anderer Beteiligter in einem Hauptverfahren entschieden werden soll. Das kann bis Ende 2013 oder länger dauern. Der Ausgang ist völlig offen. Hamburgs Hafenwirtschaft befürchtet Nachteile im Wettbewerb, denn an der Nordsee gehen neue Terminals in Betrieb.

Das Abendblatt hat zwei der Hauptkontrahenten um die Elbvertiefung zum Streitgespräch gebeten: Gunther Bonz, 56, Manager beim Terminalbetreiber Eurogate und früherer Staatsrat in der Wirtschaftsbehörde, ist Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg (UVHH). Manfred Braasch, 48, ist Geschäftsführer des BUND-Landesverbands Hamburg.

Hamburger Abendblatt: Herr Braasch, wenn Sie im Sommer an der Elbe sitzen und ein riesiges Containerschiff einlaufen sehen, was denken Sie da?

Manfred Braasch: Ich denke, das ist sehr beeindruckend. Der Hafen ist ein zentraler Teil der Hamburger Wirtschaft und der städtischen Identität.

Beides könnte großen Schaden nehmen, wenn die Elbvertiefung nicht kommt.

Braasch: Im Gegenteil, mit unserem Widerstand gegen die derzeit geplante Anpassung der Elbfahrrinne vertreten wir und die anderen Kläger auch das Allgemeinwohl. Hamburgs Interesse kann ja nicht nur in einem ungebremsten Wachstum des Containerumschlags liegen. Es muss auch darum gehen, den für die gesamte Region unverzichtbaren Lebensraum Elbe intakt zu halten. Da steht es schon heute nicht zum Besten.

Herr Bonz, wenn Sie auf dem Wochenmarkt an einem Stand des BUND vorbeikommen, was denken Sie?

Gunther Bonz: Ich bin neulich in der Stadt zu einem Stand des BUND gegangen und habe die freundliche junge Dame gefragt, ob sie mir die Klage ihres Verbandes gegen die Elbvertiefung erklären könne. Sie sagte, sie müsse einen Mitstreiter fragen, der sei Experte. Der konnte mir die Sinnhaftigkeit der Klage aber ebenso wenig erläutern.

Braasch: Dabei ist es doch sehr einfach. Die Elbe zwischen Hamburg und der Deutschen Bucht ist heute schon in einem schlechten Zustand, und wir sind gesetzlich verpflichtet, die Situation deutlich zu verbessern. Der Fluss leidet an Sauerstoffmangel und verstärkter Sedimentbildung durch die zurückliegenden Vertiefungen der Elbfahrrinne. Die negativen Auswirkungen haben sich gerade in diesem Sommer wieder drastisch gezeigt, zum Beispiel durch ein Sterben junger Fische. Die ökologische Belastung des Stroms wird weiter steigen. Das Ausmaß der Baggerarbeiten zum Unterhalt der Fahrrinne nimmt ständig zu und damit auch der Dauerstress für das Ökosystem Tideelbe. Ständig wird der Grund des Stroms aufgerissen, um ihn schiffbar zu halten.

Sind die Fische in der Elbe wichtiger als die etwa 150 000 Arbeitsplätze in der Region, die am Hafen hängen?

Braasch: Der Hamburger Hafen hat erhebliche Standortvorteile gegenüber anderen Häfen in der Nordseeregion, etwa durch die guten Hinterlandanbindungen und die guten Abfertigungsqualitäten, das belegen alle Umfragen unter Reedern regelmäßig. Es gibt aber nautische Beschränkungen. Wenn die Elbvertiefung nicht kommt, werden die Reeder nicht aufhören, Hamburg anzulaufen. Insofern stehen auch die Arbeitsplätze nicht zur Disposition.

Bonz: Bleibt Hamburg das Tor zur Welt, oder wird Hamburg das Tor zur Provinz? Ein großes Schiff wird von einer Reederei künftig nur noch dann nach Hamburg geschickt werden, wenn es entsprechend ausgelastet ist, um seine Größenvorteile nutzen zu können.

Braasch: Und warum kommen diese großen Schiffe dann heute schon nach Hamburg, ohne die Elbvertiefung?

Bonz: Die Reedereien schicken sie bislang noch im Vertrauen darauf, dass die Vertiefung und Verbreiterung der Fahrrinne kommen wird. Man kann ja die Fahrpläne für die Schiffe nicht von heute auf morgen verändern. Hamburgs Terminals sind den Reedereien in den vergangenen Jahren bei den Preisen und den Bedingungen der Abfertigung erheblich entgegengekommen. Diese Spielräume sind jetzt ausgeschöpft.

Haben Reedereien schon konkret mit Abwanderung gedroht?

Bonz: Haben sie, wobei ich hier öffentlich keine Unternehmen nennen möchte. Bei einem Hafenterminal gibt es bereits eine Betriebsvereinbarung, derzufolge im kommenden Jahr 50 Arbeitsplätze wegfallen werden, weil die Elbvertiefung nicht kommt. Derzeit fahren 250 Schiffe mit einer Kapazität von mehr als 10 000 Containereinheiten. Bis 2015 kommen noch einmal 100 hinzu, die kleinere Schiffe vom Markt verdrängen. Unter diesen Bedingungen kann Hamburg ohne Elbvertiefung nicht mehr mithalten. Die großen Schiffe werden einen wachsenden Teil ihrer Ladung in Rotterdam umschlagen.

Wie soll sich Hamburgs Hafen ohne Elbvertiefung entwickeln?

Braasch: Hamburg muss vor allem seine qualitativen Stärken weiter ausbauen. Ein Containerumschlag von 25 Millionen Einheiten, den Hamburg gemäß des neuen Hafenentwicklungsplans bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts angeblich erreichen kann, ist völlig illusorisch. Dagegen stehen sowohl die nautischen Beschränkungen wie auch die begrenzte Aufnahmefähigkeit der Landanbindungen. Wir müssen über die Grenzen des Wachstums für den Hamburger Hafen nachdenken.

Bonz: Es geht hier nicht um abstrakte Grenzen des Wachstums, es geht ganz konkret darum, die bestehenden Umschlagmengen überhaupt zu halten. Die Reedereien setzen im zunehmend harten Wettbewerb auf immer größere Schiffe, um deren Kostenvorteile zu nutzen. Wenn Hamburg diese Schiffe nicht mehr abfertigen kann, werden wir Ladung verlieren. Das werden wir schon vom kommenden Jahr an sehen. Größere Schiffe leisten übrigens einen erheblichen Beitrag zum Umweltschutz, denn ihr Brennstoffverbrauch je transportiertem Container liegt mindestens ein Viertel unter dem der heute gängigen kleineren Frachter.

Würde sich der BUND bewegen, wenn die ,andere Seite' dies täte?

Braasch: Wenn es eine substanzielle Minderung des Eingriffs durch die Elbvertiefung und -erweiterung gäbe, zugleich eine substanzielle Verbesserung beim jetzigen ökologischen Zustand der Elbe und obendrein einen ernsthaften Anlauf für ein nationales Hafenkonzept, dann würden wir uns Gesprächen nicht verweigern.

Bonz: Sie wollen eine grundlegend andere Hafenpolitik als wir. Also lassen wir es nun von Gerichten und Parlamenten entscheiden. Politik und Hafenwirtschaft haben umfassende Vorleistungen zur Anpassung der Elbe erbracht, von einem mit zehn Millionen Euro ausgestatteten Fonds zur Entschlickung der Elbe-Nebenflüsse über die Stiftung Lebensraum Elbe mit einem geplanten Gesamtvolumen von 40 Millionen Euro bis hin zur Schaffung von über 30 Hektar mehr an Ausgleichsflächen als gesetzlich erforderlich.

Was verstehen Sie unter einer ,substanziellen Minderung' bei der Elbvertiefung, Herr Braasch?

Braasch: Der geplante Umfang der Bauarbeiten, etwa die Ausbaggerung von 40 Millionen Kubikmeter Elbschlick, muss deutlich reduziert werden. Wenn die Hafenwirtschaft und die Hamburger Politik bereit sind, über die essenziellen Punkte des Großprojektes zu sprechen, setzen wir uns an einen Tisch. Ich sehe nicht, dass die Befürworter der Elbvertiefung substanzielle Vorleistungen zu dem Projekt erbracht haben.

Hat die Hafenwirtschaft einen Plan B in der Schublade für den Fall, dass die Elbvertiefung nicht kommt?

Bonz: Nächstes Jahr werden die Fahrpläne für 2014 erstellt, und es kommen immer mehr große Schiffe. Deshalb werden die Spielräume jetzt sehr eng.

Wie könnte denn ein möglicher Kompromiss aussehen?

Bonz: Bei einer Veränderung wesentlicher Größen müsste das gesamte Verfahren mit allen komplexen Schritten neu durchgearbeitet werden. Das würde Jahre dauern. Abgesehen davon, dass der Bedarf, den wir für den Hafen sehen, dann nicht gedeckt werden würde.

Braasch: Die Unterlagen sind bis zur Erteilung des Planfeststellungsbeschlusses immer wieder nachgebessert worden. Das hat ja die Verzögerungen über Jahre im Wesentlichen verursacht.

Bonz: Sie könnten beim Bundesverwaltungsgericht um ein beschleunigtes Verfahren nachsuchen.

Braasch: Die Verfahrenshoheit hat das Gericht. Wir werden alles beitragen, was wir können. Unsere Juristen sagen im Übrigen, dass man mit dem vorliegenden Planfeststellungsbeschluss auch weniger machen könnte als ursprünglich geplant.

Werden Sie die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts akzeptieren, oder klagen Sie anschließend weiter?

Braasch: Wenn das in dieser Sache höchste deutsche Gericht eine Entscheidung trifft, dann ist das so. Mögliche weitere Instanzen wie etwa der Europäische Gerichtshof liegen nicht in unserer Regie. Sie könnten sich aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergeben.

Herr Bonz, für Ihre Forderung, den Umweltverbänden Mittel zu kürzen, bis die Elbvertiefung realisiert ist, haben Sie auch aus der Hafenwirtschaft und der Politik wenig Zustimmung bekommen.

Bonz: Wir schlagen vor, den Reedereien bei den Hafenanlaufgebühren entgegenzukommen. Die weitere Abführung von Hafengeldern an die Stiftung Lebensraum Elbe und an die Umweltverbände könnte während des laufenden Verfahrens zeitlich befristet gestreckt werden - als Gegenfinanzierung. Diesen Vorschlag könnten wir zurücknehmen, wenn die Umweltverbände beim Bundesverwaltungsgericht für ein beschleunigtes Verfahren eintreten würden. Wir müssen Schaden vom Hamburger Hafen abwenden.

Braasch: Und dafür greifen Sie zu solchen Mitteln? Sie wollen die Verbände abstrafen, die ihr legitimes Mandat in einem Rechtsstaat nutzen.

Bonz: Wir nehmen nicht nur die ökologische, sondern auch die soziale Nachhaltigkeit ernst, in Gestalt von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen.

Herr Bonz, was tun Sie, wenn die Elbvertiefung scheitert?

Bonz: Das würde den Hamburger Hafen brutal treffen, der Güterumschlag würde schrumpfen, und die Unternehmen müssten sich darauf einstellen.

Herr Braasch, was tun Sie, wenn die Elbvertiefung kommt?

Braasch: Wir würden die Entscheidung des Gerichtes zur Kenntnis nehmen und uns weiter an der Frage abarbeiten, wie die ökologische Lage des Elberaums verbessert werden kann. Die Elbvertiefung wäre ein schwerer Rückschlag.