Sie klagen über Hinterlassenschaften der Nutzer des Winternotprogramms an der Spaldingstraße. Bewohner sehnen April herbei.

Hamburg. Zwischen November und April muss Wolfgang Hammer besonders aufpassen, wenn er mit seinem Dackel Gassi geht. Dann sind die Fußwege im Münzviertel übersät mit Glasscherben - Hinterlassenschaften derjenigen, die das Winternotprogramm an der Spaldingstraße nutzen. Weit mehr als 200 Obdachlose und Billiglohnarbeiter, die meisten von ihnen Alkoholiker, kommen jede Nacht hierher und versetzen das Viertel in einen Ausnahmezustand. Neben den vielen Scherben säumen Unmengen von Plastikbechern, leeren Flaschen und fleckigen Kleidungsstücken die Straßen; Hauswände und Kellertreppen werden als Toiletten missbraucht. "An manchen Stellen muss ich Johnny tragen, damit er sich nicht die Pfoten verletzt", sagt Wolfgang Hammer. Nicht nur für seinen Dackel ist es unzumutbar geworden auf den Straßen des kleinen Viertels hinter dem Hauptbahnhof. Die 17-jährige Tochter der Nachbarsfamilie geht abends Umwege, um nicht an den Gruppen alkoholisierter Männer vorbeizumüssen. "Sie musste sich schon üble sexuelle Anzüglichkeiten anhören", sagt ihr Vater Marcus Ben Fuchs. Gerade Passantinnen würden oft angesprochen. Doch auch ihn beschleiche oft ein ungutes Gefühl, wenn er am späten Abend in seinem Viertel unterwegs sei.

Die Nachbarn Hammer und Fuchs sind nicht die Einzigen im Quartier, die sich darüber empören, dass nach den großen Problemen im letzten Jahr die Situation für sie schon wieder unerträglich geworden ist. "Es wurden so viele Maßnahmen erarbeitet und Besserung gelobt", sagt auch Heinz Grabbe, der seit 40 Jahren im Münzviertel wohnt. "Aber geändert hat sich nichts." Dabei gilt das Münzviertel sowieso als sozialer Brennpunkt. Auf 1150 Einwohner kommen hier rund 200 Obdachlose und Drogenabhängige vor allem aus der Tagesaufenthaltsstätte Herz As und dem nahe gelegenen Drob Inn. Trotzdem werde die Unterbringung weiterer Menschen grundsätzlich akzeptiert, sagt Anwohner Klaus Stürmann, Mitglied des Quartiersbeirats. "Die insgesamt 230 Übernachtungsplätze stellen das Viertel jedoch auf eine harte Belastungsprobe."

Bereits im September habe man die Sozialbehörde gebeten, die Anzahl auf 100 zu begrenzen. Die hat das jedoch ignoriert. Auch die im vergangenen Jahr erarbeiteten Maßnahmen gegen Vermüllung scheinen nicht mehr zu gelten: Zweimal wöchentlich sollen die besonders betroffenen Straßen rund um das Winternotquartier mit Kehrmaschinen jede Nacht von Flaschen und Glas gesäubert werden. Zusätzlich soll an zwei Tagen ein sogenannter Kümmerer Unrat aus Hauseingängen, Pflanzkübeln und unter den Straßenbäumen entfernen. Die Realität sieht anders aus. Zwar sei der Kümmerer jeden Tag zwei Stunden vor Ort, sagt Stadtreinigungssprecher André Möller. Die regelmäßige Reinigung mit Kehrmaschinen könne momentan aber nicht durchgeführt werden. "Unsere Leute sind damit beschäftig, das rutschige Laub von den Straßen und Gehwegen zu entfernen. Das hat Priorität, weil es der Gefahrenabwehr dient." Sollte es nötig werden, könne die nächtliche Reinigung wieder aufgenommen werden. Es müsse nur mit der Stadt verhandelt werden, wer zahlt.

"Es wurden Rahmenparameter vereinbart, die zu einem guten Mit- und Nebeneinander führen sollten - aber die Sozialbehörde hält sich nicht an die Absprachen", kritisiert Michael Osterburg von den Grünen in Hamburg-Mitte. "Sehenden Auges" sei die Behörde in die jetzige Situation geschlittert. Auch seien keine klaren Regelungen beim Umgang mit den vielen Menschen aus Osteuropa geschaffen worden. 85 Prozent der Nutzer des Winternotprogramms kämen aus Rumänien, Bulgarien und Polen. "Das sind Billiglohnarbeiter, die eine günstige Unterkunft suchen - und damit überhaupt nicht berechtigt, am Winternotprogramm teilzunehmen", so Osterburg. Dieses richte sich vor allem an Obdachlose, die schon länger in Hamburg lebten oder hier den Sommer über "Platte gemacht" hätten, bestätigt Nicole Serocka von der Sozialbehörde. "Doch auch diesen Menschen muss geholfen werden." Sie hätten ihre Heimat in der Hoffnung verlassen, hier eine bessere Situation vorzufinden, und besäßen nun weder Perspektiven auf ein Erwerbseinkommen noch Anspruch auf Sozialleistungen.

Tatsächlich beobachten Wolfgang Hammer und seine Nachbarn immer wieder, dass über Tage Autos mit bulgarischen Kennzeichen in der Nähe der Übernachtungsstätte abgestellt werden. Dort, sagen sie, bewahrten die "Obdachlosen" ihr Hab und Gut auf. "Bei einem so niedrigschwelligen Angebot ist nicht auszuschließen, dass hier auch Menschen übernachten, die nicht zur Zielgruppe Hamburger Obdachlose gehören", bestätigt Rembert Vaerst, dessen Unternehmen fördern und wohnen die Übernachtungsstätte im Auftrag der Stadt betreibt. Es gelte aber der Grundsatz, dass niemand abgewiesen werde, der nicht draußen übernachten wolle. Auch Bezirksamtsleiter Andy Grote sieht für die Stadt keine andere Möglichkeit, als die Menschen aus Osteuropa aufzunehmen. "Wir können nicht anders handeln", sagt er. Nichtsdestotrotz sieht er in dem Zustrom ein "Dilemma, das dem Viertel nicht zuzumuten ist". Dieses Jahr soll das Winternotprogramm daher zum letzten Mal in der Spaldingstraße stattfinden. "Künftig müssen dafür andere Standorte gewählt werden", so Grote. "Darum muss sich die Sozialbehörde rechtzeitig kümmern. Das ewige "Stolpern von Provisorium zu Provisorium" müsse ein Ende haben, bekräftigt Bernd Ohde, Vorsitzender der FDP Mitte und Mitglied im Quartiersbeirat. "Es gilt, ein neues Konzept zu entwickeln und dezentral dauerhafte Standorte zu finden."

Damit sich die Situation schon dieses Jahr entspannt, schlagen die Bewohner vor, einen leer stehenden Laden im Gebäude der Übernachtungsstätte als Trinkerraum einzurichten. "Das würde auf dem Straßen mehr Ruhe und weniger Müll bedeuten", sagen Wolfgang Hammer und Marcus Ben Fuchs. Bezirksamtsleiter Grote hat mittlerweile veranlasst, dass dieser Vorschlag überprüft wird. Zunächst bleibt den Bewohnern des Münzviertels nur, auf den April zu warten. "Dann endet das Winternotprogramm, und wir können wieder aufatmen", sagt Fuchs. Und Johnny muss nicht mehr getragen werden.