Mit gut 40 Restaurants auf 750 Metern ist die Lange Reihe im Stadtteil St. Georg eine Top-Adresse zum Ausgehen - Eine Reportage.

St. Georg. Es ist an diesem trüben Novembermorgen in der Langen Reihe ungewöhnlich ruhig. Auf den schmalen Gehsteigen bummeln kaum Menschen. Blaue Striche markieren Flächen, auf die ein Kneipier Stühle und Tische stellen kann. Im Sommer wird es dort an vielen Stellen eng. Doch vor gut zwei Wochen endete die Saison.

Die Lange Reihe ist einer der Gastronomie-Hotspots Hamburgs. Auf den gut 750 Metern drängeln sich rund 40 Restaurants, Cafés und Kneipen. Das Angebot reicht vom edlen Restaurant wie dem Cox, über die Turnhalle bis hin zu den "alteingesessenen" charmanten Restaurationen wie das Café Gnosa oder das Café Uhrlaub. Ich habe mich auf den Weg gemacht, um herauszufinden, wie die Straße tickt.

Frühstück gibt's im Café Uhrlaub. Die beiden schmalen Gasträume sind hintereinander angeordnet, die Tische wirken immer ein wenig an die Wand gedrückt. Selbst am Tag muss Inhaber Matthias Giesecke das Licht brennen lassen. Ich habe das große Frühstück und einen Pott Kaffee gewählt. Beides ist für unter zehn Euro zu haben.

Das Radio dudelt vor sich hin. "Tanze mit mir in den Morgen, tanze mit mir in das Glück" bleibt mir in den Ohren hängen. Vielleicht auch deshalb, weil Matthias Giesecke hier sein Glück gefunden hat. Seit fast 25 Jahren ist das Café Uhrlaub seine Heimat. In den 90er-Jahren sei die Lange Reihe mehr wie ein Dorf gewesen, erzählt Giesecke. "Man kannte und grüßte sich."

Giesecke ist keiner, der vergangenen Zeiten nachtrauert. Am Abend machen Stammgäste sich meist gegen 23 Uhr auf den Heimweg. Kein Vergleich zu früher, wo er die Kneipe regelmäßig bis weit nach Mitternacht geöffnet hatte.

Sicherer ist der Stadtteil geworden. Das bedeute ihm viel, erzählt Giesecke. Die Prostituierten sind ebenso weg wie die Drogendealer. "Als ich hier anfing, wohnte man nicht in St. Georg", sagt der Wirt. "Wenn mein Vater Bekannten erzählte, dass ich ein Café habe, dann sprach er davon, dass dieses in der Nähe des Atlantik-Hotels liegt. St. Georg wollte er nicht sagen."

Die Lange Reihe hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Viele Jahre habe sie im Schatten des Steindamms gelegen, erzählt Michael Joho, Chef der Geschichtswerkstatt von St. Georg. Als dieser nach dem Zweiten Weltkrieg zur vierspurigen Durchgangsstraße wurde, begann der Aufstieg der Langen Reihe. "Sie wurde zu einer Einkaufsstraße mit vielen Läden, in denen ich Sachen für den täglichen Bedarf kaufen konnte", sagt Joho. Die Zahl der Kneipen hingegen hielt sich zunächst in Grenzen.

Erst in den vergangenen 20 Jahren entwickelte die Lange Reihe sich mehr und mehr zur Ausgehmeile. Großen Anteil daran dürften die vielen Hotels haben. Joho spricht von bis zu 15 000 Hotelbetten. "Viele Hotels nutzen die Lange Reihe als Visitenkarte, wo ihre Gäste ausgehen können." Mit der Kehrseite dieser Entwicklung müssen die Anwohner leben. "Wer seinen täglichen Einkauf machen will, muss St. Georg verlassen", beklagt Michael Joho.

Der Mercado Iberico ist leicht zu übersehen. Ein paar Treppenstufen geht es hinab. Der Geruch, der mich empfängt, erinnert an Urlaub in Spanien oder Portugal. Bis unter die Decke reichen die Regale mit iberischen Spezialitäten: Kaffee, Konserven, Süßigkeiten. In einem Kühlfach liegen verschiedene Wurst- und Käsesorten. An einem Stehtisch palavern drei ältere Männer. Auch wenn sie in ihrer Muttersprache debattieren, ist doch herauszuhören, dass es um Fußball geht. Real Madrid hatte am Abend zuvor gegen Borussia Dortmund unentschieden gespielt.

"Die drei Männer kommen jeden Tag", erzählt Michael Gaß. Der Mercado ist ihr zweites Zuhause. Kaffee trinken und reden. Der Verkäufer hat mir einen Galao gemacht. Bei einem Preis von 1,40 Euro erwarte ich nicht viel. Ein erster, vorsichtiger Schluck. Ich stutze. So herrlich hat lange kein Kaffee geschmeckt. "Das ist Rocci-Kaffee", sagt Gaß mit einem gewissen Stolz und weist auf die silber-blauen Tüten im Regal.

Wir stehen in dem zweiten Verkaufsraum, der an ein Weinlager erinnert. Rotwein aus Spanien, Portwein aus Portugal. Die Preise sind moderat. "Es kommen viele Leute in unseren Laden, die entweder Spezialitäten aus ihrer Heimat kaufen wollen oder denen das Geld nicht so locker in der Tasche sitze", erzählt Michael Gaß. Von den zugezogenen Wohlhabenden verirre sich eher selten jemand in das Geschäft.

Die Mittagszeit naht. Ein Imbiss wäre jetzt richtig; dabei meine E-Mails checken. Dafür bietet sich die Kaffeehauskette Balzac an. Sie wirbt mit Internetzugang. Ich trete ein und finde mich - weil Balzac immer ähnlich aussieht - sofort zurecht: der Tresen mit lächelnden jungen Frauen, XXL-Kaffeebecher für den "Large" und das Tischchen, an dem der Gast sich selbst mit Milch oder Zucker versorgen kann.

Ich nehme den großen House-Kaffee und frage nach einer Codekarte fürs Internet. "Die Karten sind alle", antwortet die junge Frau. Kein "Entschuldigung" oder gar ein Versuch, mein Problem zu lösen. Stattdessen zuckt sie mit den Schultern, als sei das Fehlen der Codekarten etwas Schicksalhaftes. WLAN-Zugang - gibt es halt nicht.

Kritiker sprechen in so einem Fall gern von Dienstleistungswüste. Andere nennen es Geschäftsoptimierung, wozu gehört, dass der Kunde gegebenenfalls seine Wünsche optimierend Verzicht übt. Keine Frage, Orte wie das Balzac strahlen keine Gemütlichkeit aus. Sie stehen für rasches Kaffeetrinken zwischendurch. Vielleicht sind es ihre Seelenlosigkeit und Austauschbarkeit, die uns nicht von dem ablenken, was an Wichtigerem wir gerade tun.

Ich beispielsweise bin jetzt zu einem Telefonat mit Gregor Maihöfer, dem Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbandes, verabredet. 20 Mitglieder zählt sein Verband hier. "Es gibt einen anhaltenden Trend zur Innenstadtgastronomie", berichtet Maihöfer. Allerdings ist an so einem Hotspot die Gefahr des Scheiterns größer. Für die Lange Reihe hat er zwar keine Zahlen, aber "ganz vorsichtig" geschätzt: "Zehn bis 15 Prozent der Gastronomen scheitern in den ersten drei Jahren."

Die steigenden Gewerbemieten beobachtet der Verband mit Argusaugen. Bei einem durchschnittlichen Gewinn in Gaststätten zwischen acht und zwölf Prozent sei der Spielraum für hohe Ladenmieten begrenzt, sagt Maihöfer. Der Verbandssprecher sieht auch die Hauseigentümer in der Pflicht. "Wenn Verödung von Einkaufsstraßen oder Monokultur beklagt werden, liegt das nicht selten daran, dass die Immobilien Kapitalgesellschaften oder Banken gehören." Eigentümer, die in der eigenen Immobilie lebten, hätten hingegen oft ein Interesse an einer langfristigen Vermietung. "Denn eines ist klar: Die schnelle Mark kann für den Vermieter auch schnell zum Minus werden."

Michael Joho ist weniger diplomatisch: Viele alteingesessene Eckkneipen müssten wegen hoher Mieten aufgeben und nicht, weil ihr Angebot nicht mehr zeitgemäß sei, sagt er. "Die Stadt will, dass die Lange Reihe ein Anziehungspunkt für Touristen ist - ob das den Anwohnern gefällt oder nicht."

Gentrifizierung ist ein Thema in der Langen Reihe und Bernard Wissing, Inhaber des Gnosa, weiß um das Glück, einen weitsichtigen Vermieter zu haben. Mitbewerber fürchtet er weniger. Das Gnosa sei ein "gepflegtes Caféhaus". Er spricht von einem "speziellen Ambiente" und meint damit, dass seine Angestellten ihre Kunden kennten und ein selten gewordener Gast schon mal mit dem Satz "Wo warst du die ganze Zeit?" begrüßt werde.

Zu der Verbundenheit mit dem Quartier gehört Wissings positive Einstellung zu Touristen. Sie spiegelten die Weltoffenheit St. Georgs wider, sagt er und kann wenig mit der Forderung einiger Anwohner anfangen, touristenfreie Zonen zu schaffen. "St. Georg war in den letzten Jahrzehnten nie ein Viertel mit viel Wohnbevölkerung." Dass viele Menschen hier nur zu Besuch oder zum Arbeiten herkommen, ist die genetische Grundkonstruktion des Viertels.

Inzwischen macht sich in der Langen Reihe der frühe Abend breit. Es nieselt. Die großen Fenster der Taverne Ellada erlauben einen komfortablen Blick auf die Straße. Ein Schild "Neueröffnung" soll Gäste locken. Die hohe Decke des Lokals sorgt für Weite. Es ist keine dieser üblichen, gedrungenen griechischen Gaststätten. Stelio Pantsios begrüßt seine Gäste mit einem "Hallo!". Mich lotst er auf die etwas erhöhte Fläche, wo sich zehn Zwei-Personen-Tische aneinanderreihen. Man kennt das aus Bistros. Modern soll es wirken.

Seit dem 1. November sei man in der Langen Reihe präsent, erzählt Stelio Pantsios, der bereits in der Nähe vom Tierpark Hagenbeck ein Restaurant betreibt. "Wir haben ein, zwei Jahre gesucht." Die große Konkurrenz störe ihn nicht, beteuert der 30-Jährige. "Wir haben vorher genau überlegt, mit welchem Konzept wir an den Start gehen." Pantsios setzt auf "faire Preise" - der Mittagstisch kostet 8,50 Euro - und Portionen "zum Sattwerden".

Die großen Portionen erinnern in der Tat an das, was man sonst vom Griechen kennt. Natürlich sei die Ladenmiete ziemlich happig, räumt der junge Inhaber ein. Allerdings sei das für ihn ein Ausweis, dass es mit dem "Abenteuer Lange Reihe" klappen könnte.

Den Tag will ich mit einem Cocktail an der Bar der Turnhalle ausklingen lassen. Die Atmosphäre ist entspannt, das Stimmengewirr gedämpft. Als Bahman Moaiyeri und sein Bruder 2003 in der früheren Turnhalle der Mädchenschule von St. Georg ihr "Grande Café" eröffneten, ging es ihnen um das "Nebeneinander verschiedener Möglichkeiten, ein Restaurant zu nutzen" - sei es in der Lounge, im Bistro-Teil oder an der Bar.

Mit ihrem Restaurant betraten die Brüder Neuland, allerdings nicht nur, was das Konzept betrifft. Das obere Ende der Langen Reihe galt seinerzeit als ein wenig geeigneter Ort für ein Restaurant. "Im Bewusstsein vieler Menschen hörte die Lange Reihe bei 'Frau Möller' auf", erzählt Moaiyeri. Gegenüber der Turnhalle war in einem schmucklosen Bau der Gemischtwarenladen "1000 Töpfe" untergebracht. "Ein Laden, in den man zwar oft ging, aber auch froh war, wieder raus zu sein", sagt Moaiyeri.

Inzwischen hat die Turnhalle sich etabliert. "Wir glauben sogar, dass unser Restaurant zum Bekanntheitsgrad der Langen Reihe beigetragen hat - und dazu, dass Menschen hier leben wollen." Bei diesen Worten zeigt Moaiyeri dorthin, wo einst der 1000-Töpfe-Laden residierte. Heute steht dort ein mehrstöckiges Wohnhaus mit mehr als 100 Eigentumswohnungen. Noch werkeln die Handwerker. Doch in einigen wenigen Wochen werden die Bewohner einziehen - darunter sicher eine Reihe von Menschen, die für den Wandel der Langen Reihe stehen.