Senat will 3,5 Millionen Euro kürzen. Doch der Bezirk verhindert mit einem Trick, dass Einrichtungen schließen müssen

Rahlstedt. Kevin, 14, kommt jeden Tag. Er ist lang aufgeschossen und hat Stöpsel im Ohr. Er kommt nach der Schule, sucht die Freunde, sucht sein Wohnzimmer im Rahlstedter Jugendzentrum Startloch - das große Ecksofa, den Kicker, die Dartscheibe, ein offenes Ohr. Sucht Tarik, 13, den König der Trickser, den schnellen Manuel, 15, den schweigsamen Saad, 14, den bulligen Dennis, 15. Und Marie, 12.

3,5 Millionen Euro - 10,3 Prozent des bisherigen Etats - will der Senat bei den freien Trägern der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Jugendsozialarbeit einsparen. Das sieht der Etat-Entwurf für 2013/14 vor. Weitere gut drei Millionen sollen unter anderem in der Suchtprävention, Jugendberatung sowie bei der Integration von Zuwanderern und Arbeitslosen wegfallen. Allein für den Bezirk Wandsbek sollen im Etat für 2013/14 die Zuweisungen für offene Kinder- und Jugendarbeit, Familienförderung und quartiersspezifisch entwickelte Angebote von derzeit 5,8 Millionen Euro um 585 000 Euro sinken.

"In den privilegierten Stadtteilen wie Wellingsbüttel, Sasel, Ohlstedt können wir nichts schließen, da gibt es ja jetzt schon kein Angebot", sagt Franziska Hoppermann, jugendpolitische Sprecherin der Wandsbeker CDU-Fraktion. In Lemsahl, Duvenstedt, Bergstedt und Volksdorf sieht es ähnlich aus. "Wenn wir eine Einrichtung schließen müssen, würde es eher Jenfeld, Steilshoop oder Rahlstedt treffen."

Kevin und die Jungs sind fußballverrückt. Stundenlang spielen sie auf die kleinen Stahltore vor der Graffiti-Wand. "Das macht gute Laune." Ein Betreuer muss immer mitspielen. Als Spielertrainer, Schiedsrichter und Fan in einer Person. Wenn sie Roman Spinka ausgetrickst haben, wachsen sie um einige Zentimeter. Und um noch einen weiteren, wenn er ihnen Respekt zollt. Was Kevin ohne sein zweites Zuhause machen würde? Er stutzt. Versteht die Frage nicht. Dann hat er's. "Zu Penny gehen."

Im Bezirk Wandsbek ist auch die SPD unzufrieden mit Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). "Der Senat hat es geschafft, aus einer reinen Fachdebatte eine Spardiskussion zu machen", ärgert sich SPD-Fraktionschefin Anja Quast zunächst noch strikt sozialdemokratisch. "Die Ausgaben für die Kinder- und Jugendarbeit sinken ja nicht, sie wachsen, und zwar um stolze 14 Prozent!" Doch der Ausbau von Krippen, Kitas und Ganztagsbetreuung in Schulen stopft die Löcher nicht, die der Abbau bei der offenen Jugendarbeit reißt. Und das ärgert Quast auch.

Die Ganztagsschule - wenn sie flächendeckend auch für Stadtteilschulen und Gymnasien eingeführt wird - endet um 16 Uhr, die Angebote der offenen Jugendarbeit haben zwischen 15 und 21 Uhr ihren Schwerpunkt. Ganztagsschule endet am Freitag, offene Jugendarbeit bietet auch am Wochenende etwas an. Ganztagsschule betreut Schüler, offene Jugendarbeit auch Auszubildende, Praktikanten, Arbeit suchende Jugendliche. "Die Konzepte müssen sich ergänzen, das eine kann das andere nicht ersetzen", sagen Anja Quast (SPD) und Franziska Hoppermann (CDU). In der Sozialbehörde heißt es dazu: "Die Arbeit der offenen Kinder- und Jugendhilfe ist sehr wichtig. Deshalb bleiben 90 Prozent erhalten."

Ein weiterer Konflikt zwischen Senat und Bezirken: Die Sozialbehörde will die alte, offene Jugendarbeit durch eine neue, über ein Berichtswesen zentral gesteuerte ersetzen. Hier investiert die Behörde. Um die drei Millionen Euro gibt sie dafür allein im Bezirk Wandsbek aus. "Sozialräumliche Hilfen und Angebote" lautet der amtliche Titel für quartiersbezogene Fördermaßnahmen, für die die Teilnehmer verbindlich meist für ein halbes Jahr gemeldet werden. Die Behörde will dafür alte Projekte auslaufen und im Zweifel auch schließen lassen und neue aufbauen.

"Das wollen wir nicht", sagt Hoppermann. "Jugendarbeit hat sehr viel mit Beziehungen zu tun, mit Verlässlichkeit. Es ist nicht sinnvoll, intakte Verbindungen einfach zu kappen und bei null neu anzufangen." Quast sieht das genauso. Kevin hat sich an die Betreuer in seinem Wohnzimmer gewöhnt, auch wenn sie ihm manchmal Grenzen setzen. Mittlerweile mag er sie sogar richtig. Er gibt es nicht gern zu, es ist uncool. Manuel sagt es für ihn: "Wir würden sie vermissen." Kevin nickt.

Hoppermann und Quast halten die Umsteuerung für kurzsichtig. Sie wollen die offene Jugendarbeit klassischer Prägung behalten, weil sie die Kontakte aufbaut, die nötig sind, um überhaupt den Bedarf für gezielte Hilfen ermitteln zu können. Und sie glauben genau wie die Pädagogen vor Ort, dass auch die scheinbar ungezielten Hilfen vielen Kindern und Jugendlichen die gesetzlichen Hilfen zur Erziehung ersparen.

Kevin und die Jungs in ihrem Wohnzimmer kennen ihre Schwächen. "Ich kann nicht verlieren", sagt Tarik. Kritik einzustecken ist auch nicht sein Ding. Kevin und Dennis verstehen Neckereien oft falsch. Dann fliegen schon mal die Fetzen. Die Jungs lachen, und die Betreuer lernen, wie ihre Schützlinge ticken. Ein Wissen, das die Wandsbeker nicht aufgeben wollen.

Deshalb haben sie sich etwas ausgedacht. Sie haben die Politik des Senats unterlaufen. Sie haben im Konsens über die Parteigrenzen hinweg im laufenden Jahr 600 000 Euro zurückgehalten, um im Etat 2013/14 umschichten zu können. Sie müssen jetzt keine Einrichtung schließen, weil sie die laufenden Projekte an die neuen Anforderungen der Behörde angepasst haben und dort, wo das nicht funktionierte, aus der Rücklage finanzieren. "Wir sind die Einzigen, die das so machen. In anderen Bezirken gibt es eine Streichliste", sagt Hoppermann. Sie lächelt. Die Behörde war nicht amüsiert.

Nur für die Honorarkräfte in den Häusern der Jugend bleibt die Luft dünn. Weil die geforderten Einsparungen in den Häusern von Volksdorf, Bramfeld, Tegelsbarg, Steilshoop und Hohenhorst nur da möglich sind, wo der Rotstift nicht auf Mieten, Betriebskosten oder festangestellte städtische Mitarbeiter trifft. Übrig bleiben die freien Honorare. 40 Prozent müssen wegfallen. "Da finden wir auch noch was", sagt Quast. Es klingt wie eine Beschwörungsformel. Hoppermann sucht noch. Sie lächelt noch nicht.