Ein altes “Superman“-Heft bringt bis zu 12.000 Euro: Werner Knüppels Antiquariat feiert 20. Geburtstag. Bei ihm kauft auch Otto Waalkes.

Eimsbüttel. Er weiß es doch auch nicht so genau. Manchmal kommen Leute und fragen Werner Knüppel, wie viele Comics, Romanhefte, Bücher und Spielzeugfiguren sich bei ihm eigentlich bis unter die Ladendecke stapeln. Doch dann kann sich der Inhaber auch nur zurücklehnen, sich durch das lange graue Haar streichen, in den Ausschnitt seines weit aufgeknöpften Hemdes greifen und ein Gesicht auflegen, das sagt: Ich bin zwar der Herr der Comics und kann dir sagen, wo die "Micky Maus" vom 5. September 1978 steht, aber verschone mich bitte mit profanen Zahlen. Die kann er selbst nur schätzen. "400 000, vielleicht 500 000 Einzelstücke. Keine Ahnung. Ehrlich nicht."

In der Fruchtallee 130 und den umliegenden Lagerräumen hat sich einiges angesammelt in den vergangenen 20 Jahren. Es riecht angenehm muffig, an den Wänden türmt sich altes Papier, renoviert hat hier lange keiner mehr. Das Comicladen-Kollektiv ist das charmant-verschrobene Antiquariat unter Hamburgs Comicläden. Seit 20 Jahren behauptet sich das Geschäft, wo andere aufgeben mussten. In der alles andere als geleckten Eimsbüttler Fruchtallee triumphiert der Nischenladen. Er gilt als Sehenswürdigkeit im Stadtteil. Und nicht nur dort. Komiker Otto Waalkes hinterließ bei seinem Besuch passenderweise einen original Ottifanten am Ladenpfeiler, Regisseur Dieter Wedel und der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gehörten ebenfalls schon zu Werner Knüppels Kunden. Wie viele andere suchten sie, was sie sonst nirgendwo mehr finden: Kindheitserinnerungen, gedruckte Raritäten, konservierte Unbeschwertheit.

"Zu meinen größten Schätzen gehören etwa die deutschen ,Superman'-Nummern 2 und 3 aus dem Jahr 1950", sagt Knüppel. "Die liegen aber im Schließfach bei der Haspa." Jedes Heft sei etwa 12 000 Euro wert. Daneben besitzt er die Erstauflage von "Tim & Struppi" aus dem Jahr 1967 oder die erste deutsche "Mad". Und wer alte Hefte von "Micky Maus", "Fix & Foxi", der Collie-Hündin Bessy oder der Serie "Illustrierte Klassiker" aus den 60er-Jahren sucht, wird ebenfalls fündig. Neuerscheinungen machen 20 Prozent des Bestands aus. 80 Prozent sind altes Zeug, sind Reisen in die gute alte Zeit.

Mit einem privaten Bestand vom Flohmarkt machte sich der heute 55 Jahre alte Speditionskaufmann 1992 selbstständig. "In Eimsbüttel stimmte die Sozialstruktur, die Miete war erschwinglich." Heute muss er monatlich 10 000 Euro umsetzen, um Angestellte und Kosten zu bezahlen. Klappt auch ganz gut, sagt der fünffache Vater. "Inzwischen macht der Internethandel 60 Prozent unseres Geschäfts aus. USA, Österreich, Belgien - die Kunden kommen von überall her." Und zahlen gut. Oder verkaufen Raritäten an Knüppel.

Sein Bruder Joachim, zwei Jahre älter und Gymnasiallehrer, unterstützt ihn heute nicht nur im Laden. Mit ihm entdeckte er auch die Welt der Comics. "Ich war zehn oder elf Jahre alt, als ich ganz klassisch mit ,Micky Maus' und 'Illustrierte Klassiker' anfing." Der erste selbst gekaufte Comic war 1966 die inzwischen in einem neuen Verlag erscheinende deutsche Nummer 1 von "Superman". "Die Königsnummer", wie Knüppel sagt. Seine "Königsnummer 1" ist ihm irgendwann trotzdem verloren gegangen ("schade eigentlich"). Doch es ist wohl Ehrensache, dass er inzwischen eine andere im Laden hat.

Schlappenträger Knüppel ist hoffnungsloser Nostalgiker und optisch der "Natural-Born-Sammler". Auch privat. Antifaschistische Flugblätter der Jahre 1933 bis 1945 gehören ebenso zum Archiv wie Originalzeichnungen der deutschen "Mad". "Das Problem in Deutschland ist nur, dass Comics hier nicht den Stellenwert genießen, den sie in Belgien oder Frankreich haben." Aber die gesellschaftliche Akzeptanz wachse, nicht zuletzt weil selbst Literaturkritiker Denis Scheck neuerdings Ralf Königs "Elftausend Jungfrauen" empfiehlt. Und: "Seit einiger Zeit kommen Eltern zu mir in den Laden und fragen nach Comics, damit ihre Kinder überhaupt noch etwas lesen", sagt Knüppel. Strömungen wie japanische Mangas oder Graphic Novels verbreitern die Zielgruppe zusätzlich.

Den klassischen Kunden kennt der Comicladen nicht mehr, es sind junge, alte, mittelalte. "Auf Laufkundschaft braucht man hier jedenfalls nicht zu hoffen", sagt Werner Knüppel. "A- und B-Lage ist das ja nicht." Vielmehr verbinden Stammkunden, die nicht im Internet bestellen, ihren Hamburg-Besuch immer mit einem Abstecher zu ihm, um etwa 50 Jahre alte Elastolin-Figuren für 150 Euro zu erstehen. Und weil er sich auf die Romantiker unter den Comiclesern verlassen kann, sei er weit davon entfernt zu klagen. Im Gegenteil: "Wir fühlen uns wohl hier. Und kommen über die Runden."

Am Sonnabend wird 20. Geburtstag gefeiert. Den meisten Gratulanten dürfte es dabei schnuppe sein, ob sich jetzt 400 000 oder 500 000 Artikel im Laden stapeln. Hauptsache, es ist alt und gut.