Sohn bewertet zynische Aussage über seinen ermordeten Vater Hanns Martin Schleyer im Kalender der Studierendenvertretung als “dumm“.

Hamburg. Der neue "KalendaSta" im Pocketformat passt prima in die Gesäßtasche, und genau da gehört er auch hin. Unter dem Datum des 21. Januar 2013 findet sich ein Hinweis auf den "Welttag der Jogginghose", ein paar Seiten weiter gibt es Einträge zu Anti-Nazi-Demos und einen zum Internationalen Frauenkampftag. Auf Seite 157, Eintrag 18. Oktober, aber steht ein Satz, der parteiübergreifend und bei vielen Studenten Empörung auslöst - ein Satz, der nach Meinung derer, die ihn zu verantworten haben, bloß Satire sein soll. "Mit seinem Tod schafft Hanns Martin Schleyer die Voraussetzung für die nach ihm benannte Mehrzweckhalle in Stuttgart." So ist es jetzt im neuen Taschenkalender des Allgemeinen Studierenden Ausschusses (AStA) der Uni Hamburg zu lesen.

Zur Erinnerung: Die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer stürzte die Bundesrepublik in eine ihrer schlimmsten Krisen. Am 5. September 1977 wurde der 62-Jährige von der Roten Armee Fraktion, dem Kommando "Siegfried Hausner", auf dem Weg zu seiner Dienstwohnung in Köln überfallen und verschleppt. Drei Leibwächter starben im Kugelhagel. Ziel der Aktion: die Freilassung der in Frankfurt inhaftierten RAF-Mitglieder der ersten Generation. Nachdem Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Carl Raspe Selbstmord begangen hatten, wurde Schleyer von den Terroristen erschossen. Die Leiche entdeckte man im Kofferraum eines im französischen Mülhausen abgestellten Wagens. Schleyer hinterließ seine Frau Waltrude und vier Söhne.

Die Empörung über den Eintrag ist enorm, von "Verunglimpfung und Verhöhnung Verstorbener" ist die Rede, der Ring christlich-demokratischer Studenten (RCDS) fordert den Rücktritt des AStA-Vorstands. Bereits am Dienstag hat die "Bild"-Zeitung über den Fall berichtet. Am selben Tag hat der parteilose Bürgerschaftsabgeordnete und Rechtsanwalt Walter Scheuerl bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die AStA-Verantwortlichen erstattet, "wegen Verdachts der Untreue". Grund: Der Kalender, der in einer Auflage von 10 000 Exemplaren erschienen und kostenlos erhältlich ist, sei mit den AStA-"Zwangsbeiträgen" der Studenten finanziert worden, insgesamt 12 000 Euro soll er gekostet haben. Alle Studenten sind verpflichtet, pro Semester 10,20 Euro an den AStA abzuführen. Doch allgemeinpolitische Aussagen seien den Mitgliedern des AStA in ihrer Funktion als Vertreter aller Studierenden laut Hamburger Hochschulgesetz nicht gestattet. "Es geht hier nicht um die Meinungsfreiheit, sondern darum, dass die Verantwortlichen Mittel der Studentenschaft für ihre eigenen politischen Zwecke missbraucht und dadurch dem Vermögen der Studentenschaft einen Nachteil zugefügt haben." Einen Strafantrag wegen "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" habe er nicht stellen können - das sei nur Schleyers Angehörigen möglich.

Einer der Angehörigen ist Jörg Schleyer. Seit Jahren spricht er mit Schülern in Deutschland über den RAF-Terrorismus und den Mord an seinem Vater. "Der Satz macht mich betroffen und sprachlos. Wie ignorant sind die eigentlich? Mein Vater ist ermordet worden. Ich kann es mir gut vorstellen: Da sitzen junge Leute im Kreis, überlegen, was sie in den Kalender schreiben, und schlagen sich bei so einem Satz auf die Schenkel. Ein Satz, der nicht geistreich ist, sondern nur dumm", sagte Schleyer gestern dem Abendblatt.

Junge Union (JU) und RCDS fordern nun den Rücktritt des amtierenden AStA. Der AStA sei verpflichtet, sich für Toleranz und Menschenrechte einzusetzen - genau das Gegenteil habe er getan. "Der AStA verlässt mit dieser klaren Verharmlosung des Terrors den Boden unserer freiheitlichen Demokratie", sagte JU-Chef Carsten Ovens.

Die Studentenvertretung hingegen steht zu dem Kalendereintrag, sicherheitshalber ist ein Anwalt eingeschaltet worden ist. Es gehe darum, in satirischer Form darauf hinzuweisen, dass nach einem Mitglied der Waffen-SS, denn auch das sei Schleyer gewesen, in Stuttgart eine Mehrzweckhalle benannt worden sei, sagte AStA-Vorstandsmitglied Simon Frerk Stülcken. "Wir haben den Auftrag, die politische Bildung zu fördern, dazu gehört die konsequente Offenlegung von Faschismus in der Gesellschaft." Auf der Ebene der "Pietäts- und Erinnerungskultur" habe man sich aber womöglich im Ton vergriffen.

So differenziert ist in der Lesart des AStA auch der Eintrag auf Seite 118, 5. Juni, zu betrachten. "2003: Der FDP-Politiker und Antisemit Jürgen Möllemann fällt aus einem Flugzeug." Möllemann nahm sich an jenem Tag bei einem Fallschirmsprung das Leben.

Dazu der wissenschaftspolitische Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Wieland Schinnenburg: "Der KalendaStA ist eine Ansammlung von Geschmacklosigkeiten. Wer Tote so verunglimpft, disqualifiziert sich selbst. Als Absolvent der Universität Hamburg bitte ich die Angehörigen um Vergebung."