Die Branche der Computergames kannte nur den Weg nach oben. Mit den Entlassungen bei Bigpoint setzt auch in Hamburg ein Nachdenken ein.

Hamburg. Seitdem vor einer Woche der Spieleentwickler Bigpoint in Hamburg ankündigte, 120 Mitarbeiter zu entlassen, macht sich Unruhe in der erfolgsverwöhnten Branche breit. Bigpoint galt mit seinen gut 800 Beschäftigten bisher als Vorzeigefirma der digitalen Wirtschaft. Ihr mehrfach ausgezeichneter Gründer Heiko Hubertz wurde als Visionär gefeiert, zudem als Unternehmer, der offenbar verstanden hatte, wie man ein Vermögen mit Computerspielen verdient - und nun diese Hiobsbotschaft.

Wird ein Markt, der von den Wirtschaftsförderern in der Spielehochburg Hamburg gefeiert und von Investoren mit Millionen Euro gefördert wird, den Wachstumsfantasien nicht gerecht? Drohen nun Massenentlassungen in den Unternehmen, die gerade noch über Fachkräftemangel stöhnten? Auf den ersten Blick sind derartige Zweifel angebracht. Auch der börsennotierte Spielekonzern Zynga, Entwickler des Facebook-Klassikers Farmville, hat gerade angekündigt, fünf Prozent seiner 3200 Mitarbeiter entlassen zu wollen. Nachdem der Umsatz im dritten Quartal nur noch um drei Prozent auf knapp 320 Millionen Dollar zugelegt habe, solle das Geschäft nun gestrafft werden, begründete das in der Branche bekannte US-Unternehmen den Sparkurs. Immerhin dümpelt Zynga auch seit mehreren Quartalen in den roten Zahlen. "Es wird schwieriger, die Spiele ausreichend zu monetarisieren", fasst jetzt Reimar Müller-Thum, Berater bei PricewaterhouseCoopers (PwC) in Frankfurt, die Situation im Markt zusammen.

Für die Gamesbranche erweist sich ihr Eintritt in den Massenmarkt derzeit als Fluch und Segen zugleich. Dass sich die Onlinespiele über die Jahre so stark durchgesetzt haben, ist Folge des Breitbandausbaus in Deutschland. Im vergangenen Jahr verfügten insgesamt 28,3 Millionen deutsche Haushalte über einen solchen schnellen Internetzugang. Für 2016 wird mit einem Wachstum auf über 34 Millionen Anschlüsse gerechnet.

Doch nachdem inzwischen nicht mehr nur junge Freaks, sondern auch das breite Publikum Gefallen an dem Zeitvertreib auf virtuellen Bauernhöfen, in Rollen- oder Fantasyspielen findet, nimmt zugleich die Bereitschaft ab, für dieses Freizeitvergnügen auch Geld zu bezahlen: Zwar nutzen heute rund 20 Millionen Bundesbürger digitale Spiele. Viele Nutzer spielen aber nur so lange, bis die Kostenschranke auftaucht und verlieren dann die Lust. "Der Effekt ist ähnlich wie in der traditionellen Verlagswelt, in der viele Medien ihre Inhalte im Internet ebenfalls kostenlos anbieten", sagt Müller-Thum, der bei PwC an einer Studie über die Branche mitgearbeitet hat. Auch die Spieleentwickler müssten jetzt neue Einnahmequellen erschließen, um Geld zu verdienen. Zumal die Kosten für Rechenzentren und IT-Leistungen noch steigen, wenn sich weltweit immer mehr virtuelle Ritter oder Farmer in die Spiele einloggen.

Bigpoint hatte sich zwischenzeitlich auch darauf konzentriert, Spiele für Smartphones zu entwickeln, ein Markt, dem ebenfalls ein riesiges Wachstumspotenzial nachgesagt worden ist. Schließlich gibt es immer mehr Nutzer von modernen Handys, mit denen man sich spielend kleine Wartezeiten an der Bushaltestelle oder auf dem Flughafen versüßen kann. Branchenkenner erwarten, dass die Umsätze in diesem Bereich bis 2015 um durchschnittlich 16,8 Prozent pro Jahr steigen werden - auf knapp 70 Millionen Euro.

Doch es kommen jeden Tag Hunderte neue Spiele in die App-Stores. "Um da zu bestehen, muss man auf einen totalen Hit hoffen und von Apple prominent präsentiert werden", gibt Bigpoint-Gründer Hubertz zu bedenken. Die weitere Entwicklung dieser Sparte liegt bei Bigpoint dementsprechend ebenfalls auf Eis.

Die beinahe schon unübersichtliche Flut von Spieleneuheiten produzieren immer mehr Firmen, die in dem Wachstumsmarkt mitverdienen wollen. Allein in Hamburg sind es nach aktuellen Schätzungen rund 150. "Der weltweite Markt für Onlinespiele wächst, bei einer gleichzeitig stark steigenden Anzahl von Anbietern. Die Akquise von Nutzern ist dadurch deutlich aufwendiger und somit teurer geworden", sagt Hubertz.

Heute kostet ein Spieler bis zu drei Euro, vor zwei Jahren reichte noch ein Euro. "Bigpoints Kapital sind derzeit über 295 Millionen registrierte User, die wir beständig in neue Spiele einbinden können", so der Unternehmer, der sich aus der operativen Führung bei Bigpoint zurückzieht und nun auf Reisen seinen Horizont erweitern will.

In Bigpoints Heimat Hamburg sitzen mit Goodgames, InnoGames, Bytro Labs und etlichen kleinen Start-ups unzählige weitere Spieleentwickler. Die Branche gilt als Zugpferd der digitalen Wirtschaft, mit Tausenden Arbeitsplätzen und einer immensen Strahlkraft für gut ausgebildete junge Mitarbeiter, die sich an der Elbe ansiedeln sollen. Um die Pflege der jungen Firmen kümmert sich eigens die Brancheninitiative gamecity:Hamburg. Achim Quinke leitet dieses deutschlandweit größte Netzwerk der Spieleunternehmen und gibt sich, wohl nicht ganz uneigennützig, optimistisch: "In welcher Branche auf dieser Welt wachsen die Bäume in den Himmel?", fragt der Insider. "Dass nach Jahren des rasanten Wachstums sich dieses nun verlangsamt und Zeiten der Konsolidierung anbrechen, ist ein normaler Vorgang." Die Industrie werde sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren: die Entwicklung von Spielen, die Spaß machen und die wirtschaftlich erfolgreich sind.

Diese Aufgabe ist allerdings zuweilen leichter gesagt als getan. Schließlich ist die Entwicklung von Spielen vergleichbar mit Innovationen in der Pharmabranche: Die Erforschung von neuen Medikamenten ist teuer, und ob die Arznei auch zugelassen und auf dem Markt ein Erfolg wird, steht anfangs in den Sternen. Genauso können sich Spiele als Hits, aber ebenso leicht als Flops erweisen. Ähnlich auch wie Bücher und Filme, deren Güte letztlich immer eine Frage des Geschmacks ist, und darüber lässt sich bekanntlich streiten.

Es gibt Klassiker wie Farmville, Tempelrun oder Angry birds, um die herum sich bereits ganze Medienwelten entwickelt haben mit Fanzeitschriften und Merchandisingprodukten. Aber genau wie in der Welt der realen Produkte, in der sich im Schnitt nur jede zehnte Neuheit durchsetzt, landen etliche Spieleflops schnell auf dem Games-Friedhof. Dabei erreichen die Kosten für das Herausbringen eines neuen Spiels schnell mehr als eine Million Euro. Auch Bigpoint, Erfinder von Hits wie Farmerama und Drakensang, hatte zuletzt nicht immer Glück. Im Netz monieren Spieler wenig fantasievolle Neuheiten, sie beklagen, dass sie sich abkassiert fühlten und dem Preis nicht immer eine ordentliche Leistung entgegenstehe.

So groß die Herausforderungen für die Branche sind, so stark ist aber auch der Glaube an weiterhin große Chancen zum Geldverdienen mit virtuellen Gütern, Werbung oder Spieleabos. Es gibt etliche Spieleentwickler, die an ihren Wachstumsfantasien festhalten und ausgabefreudige Investoren im Rücken haben. So wie Goodgame Studios aus Hamburg. Das Unternehmen will bis Ende des kommenden Jahres mehr als 530 Kollegen einstellen und auf 800 Mitarbeiter wachsen. Der personellen Planung von Goodgame Studios liegen die steigenden Erlöse des Unternehmens zugrunde: Das Umsatzwachstum der letzten zwölf Monate betrug 700 Prozent. "Wir versuchen bei unserem Wachstumskurs, die typischen Start-up-Fehler zu vermeiden", sagt Goodgame-Manager Christian Wawrzinek. Die Entscheidungen orientierten sich an langfristigen Zielen.

"Es gibt tatsächlich eine Konsolidierung, aber kein Massensterben", schätzt Sarah Lüken von InnoGames. "Wir sehen weiterhin großes Potenzial im deutschen und internationalen Markt für Onlinespiele. Auch InnoGames wächst weiterhin kontinuierlich und organisch, sowohl was die Spieler- als auch was die Mitarbeiterzahl angeht." Die Firma habe mit ihrem neuen Produkt Forge of Empires in diesem Jahr zudem einen äußerst erfolgreichen Start hingelegt.

Dass die Branche weiter zulegt, zeigt auch der Besuch der Initiative gamecity:Hamburg kürzlich bei Hochschulen in Kopenhagen, um bei dieser Recruitingtour im Nachbarland gut ausgebildete, neue Mitarbeiter für die Firmen der Hansestadt zu begeistern. "Allein auf unserem Jobportal Games-Career sind in den vergangenen zwölf Monaten rund 1500 Jobs ausgeschrieben worden", ergänzt Netzwerker Quinke. Für die Mitarbeiter bei Bigpoint, die jetzt ihre Stellen verloren haben, besteht also durchaus Hoffnung auf einen neuen Job.