Der 86-jährige Hermann Bolm wurde in seinem Haus Opfer eines brutalen Überfalls. 40.000 Menschen haben schon ihr Mitgefühl bekundet.

Bramfeld. Hermann Bolm hat Probleme, seine Gefühle zu ordnen. Sie schwanken in jedem Moment. Zwischen Galgenhumor einerseits und purem Entsetzen andererseits. Der 86-Jährige sitzt auf einer Eckbank im Wohnzimmer seines Hauses in Bramfeld und weint. Sekunden zuvor hat er noch einen Scherz über seine Situation gemacht. Bolm weint aber nicht nur, weil ihn die Erinnerungen an die brutale Tat und die Todesängste quälen. Es sind auch Tränen der Rührung, die ihm in die Augen schießen - weil mehr als 30 000 Menschen im sozialen Netzwerk Facebook an seinem Schicksal Anteil genommen haben. Vor drei Tagen ist Hermann Bolm im eigenen Haus Opfer eines Raubüberfalls geworden. "Es ist einfach wunderbar zu erleben, dass in der heutigen Zeit Menschen noch so viel Mitgefühl haben", sagt er.

Es ist Mittwochabend. Die Freunde, mit denen er wie an jedem Mittwoch Kniffel spielt, sind gerade gegangen. Hermann Bolm ist geistig fit, aber nicht mehr sonderlich gut zu Fuß und lungenkrank. Er gerät schnell außer Atem.

Gegen 20.15 Uhr klingelt es an der Tür des etwas abgelegenen Einfamilienhauses am Stadtrand. Bolm erwartet verkleidete Kinder, die an Halloween Süßigkeiten einsammeln wollen. Am Tag zuvor hat er deshalb fünf Tafeln Schokolade gekauft. Er macht die Tür einen Spalt breit auf, hört noch jemanden mit verstellter, hoher Stimme "Halloween" rufen, da knallt ihm auch schon die Tür gegen den Kopf, und drei Männer mit dunklen Kapuzenjacken stürmen ins Haus.

Bolm taumelt zurück, dann schlägt ihm einer der Täter mit dem Handballen gegen die Augen und drückt seinen Kopf im Flur grob auf den Boden. Einer setzt sich auf seinen Rücken, fesselt mit einem Unterhemd seine Hände und mit einem Schlips die Beine, während ein anderer vor der Tür Schmiere steht. "Dann hat der über mir geflüstert: Wo ist das Geld?" Bolm sagt ihm, wo seine Brieftasche liegt. Doch das reicht den Räubern nicht, sie durchwühlen alle Zimmer. "Sie drohten mir, sie würden mir den Kopf abhacken, wenn ich nicht noch mehr Geld herausrücke", sagt Bolm, nun wieder den Tränen nah. "Da habe ich nur geantwortet: Mach doch, Junge, aber du wirst nicht glücklich, wenn du einem alten Mann wehtust." Etwa 20 Minuten dauert sein Martyrium. Dann wird ihm schwarz vor Augen. Als er wieder klar sieht, sind seine Peiniger verschwunden, mit Geld und Schmuck von bislang unbekanntem Wert. Bolm gelingt es, sich aus den Fesseln zu befreien und die Polizei zu rufen. Wenig später trifft Astrid Milioris ein. Eine Nachbarin hat sie verständigt.

Vor vier Jahren hat Bolm die 46-Jährige auf einer Konfirmationsfeier kennengelernt. Die beiden freundeten sich an, seither ist der kinderlos gebliebene 86-Jährige für Astrid Milioris nur noch "mein Opa". Der Anblick des Seniors erschüttert sie bis ins Mark: Im Gesicht hat er mehrere Hämatome, sein rechtes Auge ist geschwollen, die Schulter schmerzt, möglicherweise ist sie gebrochen. "Das hat mich so schockiert. Warum tun die einem alten Mann so etwas an?", sagt sie.

Astrid Milioris beschließt, auf eigene Faust nach den Tätern zu fahnden - indem sie eine Suchmeldung mit einem Foto ihres verletzten "Opas" bei Facebook einstellt. Sie hofft, dass sich unter den weltweit mehr als 900 Millionen Mitgliedern irgendjemand findet, der etwas beobachtet hat. Oder der jemanden kennt, dem etwas Ähnliches zugestoßen ist. "Bitte teilt diesen Beitrag, damit die Schweine gefasst werden", schreibt sie. Und tatsächlich: Der Aufruf verbreitet sich schnell, binnen 24 Stunden teilen ihn mehr als 30 000 Mitglieder. Aus Köln, Düsseldorf, München, sogar aus Österreich, der Schweiz und Irland erreichen Astrid Milioris Nachrichten. "Viele waren sehr erschüttert", sagt sie. Inzwischen seien schon Hinweise auf die Täter eingegangen. Gestern aber hat Astrid Milioris die Suchmeldung gelöscht. "Das wurde mir einfach zu viel."

Die Polizei hat grundsätzlich nichts gegen solche Aufrufe einzuwenden. "Wenn die Aktion zu Hinweisen führt, ist es gut. Was wir nicht befürworten, ist, dass jeder auf der Straße selbst auf Tätersuche geht", sagt Polizeisprecherin Karina Sadowsky. Im Fall von Bolm habe die Polizei noch keine heiße Spur.

Wie Hermann Bolm wurde vorigen Mittwoch auch eine 40-Jährige in ihrem Wohnhaus an der Wegkoppel in Billstedt überfallen. Die Täter schlugen sie und ihren 13-jährigen Sohn, dann flüchteten sie mit rund 1500 Euro. Bei ihnen handelte es sich vermutlich um junge Osteuropäer. Ob es zwischen den Fällen einen Zusammenhang gibt, sei unklar, so Sadowsky.

Um wieder zur Ruhe zu kommen, wird Hermann Bolm erst mal bei seiner "Enkelin" in Henstedt-Ulzburg leben. Als Nächstes will er sich eine Scheibe aus Panzerglas in die Haustür einbauen lassen. "Eine durchsichtige, damit ich immer sehe, wer vor der Tür steht."