Deutschlandweit wollen derzeit 1000 junge Menschen Schifffahrtskaufleute werden. Hamburg ist das Zentrum für diese Ausbildung.

Hamburg. Von ihrer Ausbildung hatte Samantha Retemeier nach der Schule eine klare Vorstellung: "Ich wollte einen Beruf erlernen, den ich später auf der ganzen Welt ausüben kann", sagt sie. Gut acht Monate nach Beginn ihrer Lehrzeit bei Peter W. Lampke in der HafenCity vermittelt Retemeier, 21, den Eindruck, dass sie die richtige Wahl getroffen hat. PWL mit Sitz am Sandtorkai ist eines der profilierten Unternehmen in der Hamburger Branche der Schifffahrtskaufleute. Wer hier lernt, ist mit dem Welthandel vom ersten Ausbildungstag an eng verbunden.

Nach ihrem Abitur, das sie 2010 in Hamburg abgelegt hatte, reiste Retemeier mehr als ein Jahr lang durch Australien und Asien. Fremde Sprachen und das Reisen faszinieren sie ebenso wie der Hamburger Hafen. Ihre Entscheidung für den Beruf der Schifffahrtskauffrau fiel durch das Vorbild ihrer Mutter, die bei einem Hamburger Schiffsmakler arbeitet. "Eine Bankausbildung wäre für mich nicht das Richtige gewesen", sagt Retemeier in einem Konferenzraum von PWL mit Blick auf den Museumshafen der HafenCity.

Von Beginn an erlebte sie bei PWL eine vielsprachige Praxis. Zunächst arbeitete sie in der Abteilung der Klarierungsmakler. Die sind quasi der Dienstleister des Kapitäns, zuständig für die Versorgung der Schiffe im Hafen, von der Anmeldung der Frachter bei Lotsen und Schlepperreedereien bis zur Versorgung der Besatzung mit Proviant, Seekarten und jeder sonst denkbaren Ausrüstung. "Es war sehr aufregend, gleich zu Beginn fast täglich an Bord von Seeschiffen zu gehen, Besatzungen und deren Alltag kennenzulernen. Die Mentalität der Seeleute aus vielen Nationen ist völlig verschieden", sagt Retemeier. Das Arbeitsleben an Bord von Frachtern und Tankern bleibt für die meisten Menschen an Land eine fremde Welt. Das gilt auch für Kreuzfahrtschiffe, deren Besatzungen den Komfort der Passagiere nicht teilen.

Die Ausbildung zur Schifffahrtskauffrau und zum Schifffahrtskaufmann ist vermutlich die universellste Handelslehre überhaupt, die junge Menschen vor dem Hintergrund einer globalisierten Weltwirtschaft absolvieren können. "Es ist eine hoch spezialisierte Tätigkeit, die aber von einem sehr weit gefächerten Interesse und Wissen getragen wird", sagt PWL-Chef Christian Koopmann, der Vorsitzende der Vereinigung Hamburger Schiffsmakler und Schiffsagenten. Nur in Deutschland gibt es dieses Berufsbild als formelle Ausbildung. Und nur rund 1000 Auszubildende aller Jahrgänge absolvieren bundesweit derzeit die zweieinhalb- bis dreijährige Lehre. 205 Lehrverträge wurden in Hamburg 2012 neu geschlossen.

Die Hansestadt ist weltweit eines der wichtigsten Zentren für Schifffahrtskaufleute. 5000 bis 6000 von ihnen arbeiten in Hamburg, bei Reedereien und Agenturen, auch bei Speditionen oder Versicherungen. Sie sind spezialisiert in verschiedenen Fachrichtungen, als Klarierungsmakler, als Linienagenten für die Vermarktung von Transportkapazität auf Containerschiffen, als Befrachtungsmakler für die Vermittlung von Projektladung für Schiffe auf Trampfahrt, und auch als Schiffsmakler, die den Bau neuer und den Verkauf gebrauchter Schiffe vermitteln. Hamburgs zentrale Stellung in diesen Geschäften zeigt heute Abend einmal mehr das 64. Eisbeinessen im Congress Center, an dem mehr als 5000 Gäste teilnehmen. Es ist eines der größten Bankette in der Stadt und das wichtigste Branchentreffen der Welt, flankiert von zahlreichen Veranstaltungen und einem eigenen Empfang beim Senat.

So prominent das Schifffahrtsgeschäft in Hamburg vertreten ist, so wenig scheint es jungen Menschen nach dem Abschluss ihrer Schulausbildung präsent zu sein. Oft weisen Angehörige oder Bekannte, die als Schifffahrtskaufleute arbeiten, dem Nachwuchs den Weg. "Viele meiner Freunde wissen mit dieser Ausbildung und diesem Beruf gar nichts anzufangen", sagt Samantha Retemeier, die in Hamburg aufgewachsen ist. "Vielleicht", ergänzt PWL-Chef Koopmann, "ist noch immer zu wenig bekannt, was man in diesem Beruf tun und leisten kann." PWL jedenfalls bilde gezielt aus, "für unseren eigenen Bedarf und mit dem Ziel, möglichst alle Auszubildenden anschließend zu übernehmen". Sieben der derzeit 70 PWL-Mitarbeiter sind Auszubildende.

Auch Kristin Storjohann, 22, kam durch Kontakte in der Familie zu ihrer Ausbildung als Schifffahrtskauffrau. Im Februar 2013 will sie nach zweieinhalbjähriger Lehre bei NYK Line Deutschland ihre Abschlussprüfung absolvieren. Das Unternehmen mit Sitz am Kaiserkai in der HafenCity gehört zum japanischen Schifffahrtskonzern NYK, dessen Frachter Hamburg im Liniendienst anlaufen. Das Hauptgeschäft von NYK Line Deutschland ist die Linienagentur, die Vermittlung von Containertransporten auf den Schiffen der Reederei. 123 Mitarbeiter des Unternehmens arbeiten in der HafenCity, darunter zwölf Auszubildende. "Transport und Logistik haben mich interessiert, aber auch Englisch als Arbeitssprache und die starke Internationalität des Schifffahrtsgeschäftes", sagt Storjohann, die ein berufliches Gymnasium in Norderstedt absolviert hat.

Derzeit arbeitet sie in der Abteilung für die Feederschifffahrt. Dort werden die Zubringerdienste zwischen Hamburg und den Häfen in skandinavischen Ländern koordiniert. Die Ausbildung ist anspruchsvoll. Gute Kenntnisse in Deutsch und in Englisch, aber auch in Geografie und über wirtschaftliche Grundlagen und Zusammenhänge werden vorausgesetzt. Im Unternehmen und in der Berufsschule erhalten die Auszubildenden umfassendes Spezialwissen, von Import- und Exportregeln über Fragen von Marketing, Unternehmensfinanzierung und Personal bis hin zum Dienst an der hauseigenen Rezeption. "Das dient nicht zuletzt dazu, die Nähe zu den Kunden herzustellen, beim Telefondienst und am Empfang", sagt Personalmanagerin Kerstin Senff.

Wie PWL zielt auch NYK Line Deutschland darauf ab, möglichst alle Auszubildenden eines Jahrgangs zu übernehmen. Nahe am Kunden soll Storjohann dann gleich nach dem Abschluss ihrer Ausbildung eingesetzt werden, im Regionalbüro Düsseldorf des Unternehmens. "Die Arbeit in einem anderen Büro zu Beginn des eigentlichen Berufslebens ist ein wichtiger Schritt", sagt Deutschlandchef Klaus-Peter Barth. "Das hat auch etwas mit der Abnabelung von zu Hause zu tun."