Für eine breite Diskussion über das Erscheinungsbild der Stadt wird es höchste Zeit.

Das Hamburger Jahrbuch für Architektur ist selbstverständlich keine neue Erfindung - aber es ist gerade jetzt so wichtig wie schon lange nicht. Denn es wird höchste Zeit, dass über die Art und Weise, wie und was in der Hansestadt gebaut wird, ausführlich diskutiert wird. Das darf man anno 2012 nicht nur den Architekten und anderen Fachleuten überlassen, obwohl diese das bewiesenermaßen am besten (und zum Teil auch beeindruckend wortgewaltig) können. Die Debatte, wie Hamburg aussehen soll oder darf, muss in breiter Öffentlichkeit geführt werden, in Teilen wird sie es schon.

Denn die Befürchtung, dass die Stadt angesichts ihres großen Nachholbedarfs im Wohnungsbau ihr Erscheinungsbild gefährdet, ist groß. Schon jetzt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es beim Bau von Häusern vor allem um Schnelligkeit, Sparsamkeit und andere nüchterne Dinge geht.

Geht es aber eben nicht, vor allem in Hamburg nicht.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht innerhalb weniger Jahre, in denen jeweils mindestens 6000 neue Wohneinheiten gebaut werden, in eine Architektur verfallen, die die bisherige nicht nur konterkariert, sondern im Zweifel auch zurückdrängt. So nützlich beispielsweise schnell gebaute Reihenhausblocks sind, so gewöhnungsbedürftig ist, dass diese in Hamburg häufig nur noch lieblose Flachdächer haben. So charmant sich der eine oder andere Glaspalast in ein Ensemble von Altbauten einfügt, so langweilig wirkt er, wenn direkt in der Nachbarschaft ein ähnliches Gebäude entsteht.

Die von vielen Hamburgern geliebte, von ebenso vielen allerdings auch kritisierte HafenCity ist da das beste Beispiel. Beziehungsweise das schlechteste: Es ist sehr fraglich, ob die neuen Gebäudeensemble auf die Hamburger in 100 Jahren einen ähnlichen Reiz ausüben werden wie die historische Speicherstadt gegenwärtig auf uns.

Es geht eben, trotz der bekannten Wohnungsnot in den einschlägigen Stadtvierteln, trotz absurder Immobilienpreise und steigender Mieten, nicht nur darum, dass gebaut wird, sondern auch wie. Nicht umsonst gibt es in einer zunehmenden Hamburger Öffentlichkeit eine Sehnsucht nach der sogenannten Backsteinkultur, nicht umsonst werden die Proteste gegen die moderne Architektur lauter. Das sollten die Betroffenen nicht nur ernst nehmen, das sollte alle freuen: Denn dass die Hamburger sich dafür interessieren, wie ihre Stadt aussieht, ist ein gutes Zeichen - und nicht selbstverständlich.

Wir alle haben davon profitiert, dass sich frühere Generationen sehr genau Gedanken gemacht haben, wie sie diese Stadt gestalten wollen - das reicht von der Außenalster über die Höhenbeschränkung für Häuser an der Binnenalster bis hin zu ebenjener Backsteinkultur. Das und vieles andere mehr hat Hamburg zu einer Stadt gemacht, die per se lebenswert ist, die für viele die schönste der Welt ist. Selbst wenn man weniger patriotisch ist, stellt man schnell fest, dass es nicht viele Städte gibt, in denen es sich so gut aushalten lässt. Daran wird die eine oder die andere Bausünde nichts ändern - eine Ballung allerdings könnte das schon.

Darüber wird zu reden, zu diskutieren sein, und es wäre schön, wenn möglichst viele dabei einbezogen werden können. Es ist gut, dass Hamburg beispielsweise einen Oberbaudirektor hat, der über das Stadtbild wacht. Noch besser ist, wenn dieser und andere politisch wie städtebaulich Verantwortliche die wachsenden Sorgen über und das Interesse an aktueller Architektur als eine Chance begreifen, mit ihrer Arbeit, ja auch mit ihrer Kunst einen größeren Teil der Bevölkerung zu erreichen. Dafür gibt es kaum einen besseren Zeitpunkt als jetzt.