Eine Glosse von Alexander Schuller

Die Geschichte der Frühlingsgefühle muss umgeschrieben werden. Jedenfalls dann, wenn man den neuesten Untersuchungen amerikanischer, bayerischer und westfälischer Hormonforscher und Biologen traut. Nach deren Erkenntnissen sei es nämlich falsch, den nun wieder hereinbrechenden Herbst wie gewohnt im Einklang mit mentalen Tiefdruckgebieten und Erkältungskrankheiten zu sehen. Denn gerade in dieser kühleren Jahreszeit, so frohlocken die Wissenschaftler, würden genau jene vier Areale des Gehirns, denen wir unsere Zärtlichkeitsgefühle verdanken, besonders stark durchblutet. Schütte der Körper eine Extraportion des Glückshormons Dopamin aus und steige der Testosteronspiegel des Mannes sowie der Östrogenspiegel der Frau ordentlich an. Im Frühling dagegen, im Besonderen im Wonnemonat Mai, steige bloß die Zahl der Befindlichkeitsstörungen sowie der Suizide.

Doch wir trauen dieser Theorie nicht. Das fängt schon bei der zartgrünen Frühlingswiese an, die uns als Unterlage für ein leidenschaftliches Kuschelmuschel weitaus geeigneter erscheint als ein nasser Laubhaufen, in dem genervte Igel gerade ihr Bett für den Winterschlaf beziehen. Diese Skepsis setzt sich auch in unseren Behausungen fort, die nach Ansicht der Wissenschaftler in der dunklen Jahreszeit zum begehrten, weil heimeligen Lebensmittelpunkt mutieren, wo es nun angeblich leichter fällt, Gedanken auszutauschen, die in der wärmeren Jahreszeit nicht mal als vage Gemütsschwankung gedeutet würden. Blödsinn: Die meisten Menschen rücken nämlich mittlerweile nur deswegen dichter zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. Denn wer, verdammt noch mal, kann sich diese wahnsinnigen Energiekosten noch leisten?