Eine ungewöhnliche Barkassenfahrt erschließt das alte Industriequartier von Hammerbrook. Warum eigentlich immer nur Alsterkanäle befahren?

Hamburg. Die Sonne sticht. Gut, dass ein leichtes Windchen über die Billwerder Bucht weht. Hinter dem Entenwerder Park beginnt ein Hamburg, das kaum jemand kennt. Hammerbrook - für die meisten gleichbedeutend mit Heidenkampsweg, Kfz-Zulassungsstelle, Tierheim Süderstraße. Ansonsten gilt das Quartier südlich der Eiffestraße als Büro- und Gewerbegebiet als nicht weiter spannend. Was es früher einmal war und heute ist, wollen nun zwei Dutzend Barkassenpassagiere auf dieser Kanalfahrt erkunden, die nur vom Stadtteilarchiv Hamm angeboten wird.

Kurz vor der Tiefstackschleuse ragt ein alter Wasserturm über die Baumwipfel, 1848 erbaut von dem Ingenieur William Lindley. Genau jenem Lindley, der Hamburgs Stadtwasserkunst entwarf, eine moderne Wasserver- und -entsorgung. In den kommenden drei Stunden bewegen wir uns auf Lindleys Spuren, erklärt Michael Braun vom Stadtteilarchiv Hamm.

Nach einem Blick auf das imposante grau-rot-weiße Kraftwerk Tiefstack mit seinem hellen Turm werden wir mit unserer Barkasse in der Tiefstackschleuse um rund 1,80 Meter abgesenkt. Links taucht ein wunderschöner alter Backsteinspeicher auf, dann verläuft der Tiefstackkanal schnurgerade zur Bille. Unter einem Holunderbusch piepsen Blässhuhn-Küken. Hinter der Müllverbrennungsanlage Borsigstraße zweigen im rechten Winkel der Billekanal, dann der Bullenhuser Kanal ab.

Und dann sind wir im Kleingärtnerland - am Bille-Ufer und der Billerhuder Insel. Aus ehemaligen Behelfsheimen, in denen nach 1945 Tausende Ausgebombte und Vertriebene lebten, sind schmucke, hoch begehrte Freizeitdomizile geworden. Vor einem Holzhaus wachsen üppige Geranien, eine Frau mäht zwei Quadratmeter Rasen, ein Bastler winkt aus seinem Motorboot. Kaum einer, der hier kein Boot hat.

Die Billerhuder Insel schmiegt sich in eine Bille-Kurve und entstand erst beim Bau des Bullenhuser Kanals 1907, sagt Michael Braun. Ganz Hammerbrook (Brook = morastiges Bruchland) war noch um 1800 tief liegendes Marschland. Nach dem Großen Brand 1842 brauchte Hamburg dringend neue Wohngebiete - und so kamen Lindleys Entwässerungspläne ins Spiel. Er entwarf ein gerastertes Quartier mit parallel verlaufenden Straßen und Kanälen, das den Oberhafen mit dem Bahnhof Berliner Tor (und der Bahnstrecke nach Bergedorf) verband: Nord-, Mittel- und Südkanal, verbunden durch kleinere Kanäle wie Sonnin-, Victoria- und Gustavkanal und dem Hochwasserbassin. Bis 1900 entstand hier das am dichtesten besiedelte Wohn- und Industriequartier Hamburgs mit Mietskasernen, Fabriken und Handwerksbetrieben. Nach den Bombennächten der "Operation Gomorrha" im Juli und August 1943 blieben davon nur zerstörte Häuser, Stahlskelette und Bombentrichter übrig. In Hammerbrook und Rothenburgsort starben 12 000 Menschen - jeder vierte Einwohner. Nach 1945 wurden der Nordkanal, Victoria- und Gustavkanal mit Trümmerschutt verfüllt.

Am Ende des Mittelkanals tuckern wir unter der Banksbrücke hindurch zur alten Brandshofer Schleuse, die still und romantisch in der Nachmittagssonne liegt. Auf der Rückfahrt durch die City Süd passieren wir neue Ufer-Boulevards, ein paar Paddler grüßen. Über den Heidenkampsweg braust der Feierabendverkehr. An der Bille werden die Sonnenschirme ausgeklappt.

Diese Mischung aus Gewerbehöfen, Polizeihunde-Sportverein, Schrebergärten und Industriedenkmälern ist unschlagbar. Warum eigentlich immer nur Alster- und Hafenkanäle befahren?

Infos: Stadtteilarchiv Hamm, Carl-Petersen-Str. 76, Tel. 18 15 14 93