Beim ARD-“Hafenpastor“ geht es heute um das Schicksal der Hamburger Einser-Abiturientin Kate Amayo, die nur knapp der Abschiebung entging.

Hamburg/Kiel. Das Mädchen von nebenan hat gerade sein Studium geschmissen. Erst mal in ferne Länder reisen, das wolle es, außerdem brauche es Zeit, um seinen neuen Freund besser kennenzulernen. Pläne ändern sich eben - in Wohngemeinschaften von Studenten. Eltern schockiert das zuweilen. Aber junge Erwachsene haben einen Begleiter, diesen unerschütterlichen Satz:

Es wird schon alles gut gehen.

Eine Tür weiter wohnt Kate Amayo, in einer Wohnung außerhalb des Zentrums von Kiel. In ihrem Dachzimmer über dem Schreibtisch hängt ein Zeitungsartikel. Die Überschrift lautet: "Fleißig, klug, unerwünscht". Das Foto über dem Text zeigt sie. Es ist zwei Jahre her, dass sie abgeschoben werden sollte. Nach Berichten des Abendblatts ging eine Welle der Empörung durch das Land. Kate Amayo sprach kein Deutsch, als sie mit 15 Jahren illegal aus Ghana nach Deutschland einreiste, um bei ihrer Mutter in Hamburg zu leben. Eine Frau hatte sie mitgenommen im Flieger, an mehr möchte sie sich nicht erinnern. Im Jahr 2010 hielt sie ihr Abiturzeugnis in den Händen. Ein Abschluss mit der Note 1,8. Und das Flugticket für ihre Abschiebung.

Doch als Trophäe eines Triumphs hat sie den Artikel nicht aufgehängt. Auch nicht, um mit ihrer Geschichte zu prahlen. Sie hätte Dauergast in Talkshows sein können, aber das wollte sie nicht. Die Bundesregierung änderte, auch in Bezug auf ihren Fall, die Gesetze: Minderjährige Zuwanderer sind nun besser geschützt. Und die ARD sendet heute um 20.15 Uhr ein Abschiebedrama ("Der Hafenpastor"), das nur gedreht werden konnte, weil der Produzent Markus Trebitsch über Kate Amayo in der Zeitung gelesen hatte. Amayo hat auch einen Auftritt am Schluss. Eine bewegende Szene, so viel darf man verraten.

Der Artikel, sagt sie, hänge in ihrem Zimmer für die schlechteren Tage. Wenn sie nicht wisse, wie sie schaffen soll, was sie sich vorgenommen hat. Lernen. Hausarbeiten schreiben. Ihrer Familie in Hamburg helfen. Sie schaut sich dann die Überschrift an, "Fleißig, klug, unerwünscht", bis der Druck in ihr wieder steige und sie sich sage: "Los jetzt, beweg deine Beine." Sollte es nicht klappen mit ihrem Studium, dann könnte sie all das verlieren, wofür sie seit sieben Jahren arbeitet wie ein Spitzenmanager: ihre Ausbildung in Deutschland und damit ihren großen Wunsch, Ärztin zu werden.

Kate Amayo darf nur bleiben, wenn sie studiert. Sie kann nicht ihr Studium aussetzen, um die Welt zu erkunden, so wie das Mädchen von nebenan. Sie, die erst 22 Jahre alt ist, darf nicht einmal daran denken. "Doch bisher ist alles gut gegangen." Dieser Satz ist ihr unerschütterlicher Begleiter. Sie sage ihn ihrer Mutter, aber vor allem sich selbst.

Zwei Jahre sind seit diesem Drama vergangen. Die Gnade der Härtefallkommission rettete sie. Sie steckte im Teufelskreis der Gesetze (siehe Interview). Ihre Mutter, die zwei Jobs als Putzfrau hat, musste damals eine größere Wohnung mieten, damit sie ihre Tochter aufnehmen durfte. Vorschrift vom Amt. Die höhere Miete aber konnte sie nur mit einem Sozialhilfezuschuss bezahlen. Das hieß wiederum, dass sie nicht allein für ihre Tochter sorgen konnte. Das aber verlangt das Gesetz. Kate Amayo hatte bereits einen Studienplatz in Aussicht und damit auch BAföG. Doch vorher sollte sie abgeschoben werden.

Verschlossener wirkte Amayo damals, irgendwie unsichtbarer. Sie mochte nicht auffallen. Wie die meisten der rund 90 000 in Deutschland nur Geduldeten. Das heißt: Täglich kann die Nachricht kommen, dass sie ausreisen müssen. Als Kate gerade angekommen war, sie nicht mal eine Duldung hatte, stand die Polizei vor der Tür. Ihre kleine Schwester hatte irgendeinen Mist gebaut, die Mutter schimpfte mit ihr, es war abends und ein Nachbar fühlte sich gestört, er wählte 110. Kate versteckte sich in einem Schrank, sie zitterte in der Dunkelheit. Später dann trug sie ihr Schicksal mit sich herum wie einen Makel, wie ein schmutziges Geheimnis, von dem sie kaum jemandem erzählte. Nicht mal im Kindergarten, wo sie neben der Schule ehrenamtlich arbeitete. In einem Fotoalbum ihrer Abiturreise nach Italien findet man sie nur als verwackelten Schatten auf Aufnahmen, sie wich der Kamera aus. Hätte sie nicht einen klugen Lehrer und einen guten Anwalt gehabt, ihr Fall wäre kaum bekannt geworden. Vermutlich wäre sie schweigend ins Flugzeug gestiegen.

Einiges von dieser Zurückhaltung hat sie abgeschüttelt. Sie trägt eine neue Frisur, mal wieder. Ihre Haare sind mal kurz, mal trägt sie afrikanische Zöpfe, mal glattes Haar. Sie probiert Stile aus, so wie selbstbewusste Frauen das machen. Sie beklagt sich auch über die Friseure in Kiel, die viel teurer seien als die afrikanischen Salons in Hamburg. Vielleicht weil in Kiel weniger Afrikaner leben. "Die spinnen total, wie viel Geld die hier für einen Haarschnitt haben wollen", sagt sie. Es tut ihr gut, diesen typischen Mädchensatz zu sagen. Diese teuren Friseure! Kürzlich war sie auch einige Tage in Paris. Es war im Grunde der erste eigene Urlaub ihres Lebens.

Wir laufen durch die Fußgängerzone in Kiel. Sie ist aus Halle hergezogen, wo sie ihre ersten Semester verbracht hat. Sie mag Kiel auch deshalb, weil die Familie in Hamburg weit genug weg ist, um nicht auf ihre kleine Schwester aufpassen zu müssen und im Haushalt zu helfen. Dafür hat eine Medizinstudentin ja gar keine Zeit, findet sie. Bei einem Bäcker kaufen wir Quarkbällchen. Doch statt zu essen, doziert Amayo über Fette. Klar, Gesundheit ist ihr Thema, doch es scheint eine größere Dimension für sie zu haben. Viele afrikanische Freundinnen ihrer Mutter, sagt sie, fänden sie viel zu dünn. So schlank, das sehe nicht gesund aus. Gerade bei einer Frau. Man könnte ja denken, es würde sich kein Mann anständig um sie kümmern. Kate verzieht das Gesicht. Sie wolle nicht all dieses Cholesterin in ihrem Körper haben. "Cholesterin", sie spricht das streng aus, nicht spöttisch, wie viele andere. Aber die eigentliche Botschaft wird sie später sagen: "Mein Körper und mein Leben gehören mir."

Selbstbestimmung, darin scheint Kate derzeit eine deutsche Eigenschaft zu sehen. Doch es wäre falsch, nun als ihr Erfolgsrezept zu preisen, dass sie sich von den Sitten und der Kultur ihrer Heimat distanziert hätte. Die unterschwellige Botschaft wäre ja auch, dass alle Ghanaer das tun sollten, um Erfolg zu haben. Das aber würde nach Rassismus klingen. Außerdem hat sie sich nicht distanziert. Auch in Kiel besucht Amayo den Gottesdienst einer afrikanischen Gemeinde. Und neben ihrem Fenster im Zimmer, der Blick geht auf eine schnöde Ausfallstraße, hängt ein Plakat: "Akwaaba", das bedeutet "Willkommen". Es zeigt eine Frau, die Milch aus einer Kokosnuss in ein Glas füllt.

Dennoch, etwas scheint gestört zu sein in ihrem Verhältnis zu einigen Bekannten aus der afrikanischen Gemeinschaft. Als Streberin sei sie bezeichnet worden. Dass sie sich zu wichtig nehme. Warum lege sie sich überhaupt mit den Behörden an, das wurde sie gefragt. Und dann sagt sie, die beinahe aus Deutschland verjagt worden wäre, einen merkwürdigen Satz: "Die meiste Hilfe und Anerkennung habe ich von Deutschen bekommen."

Es sind drückende Widersprüche, mit denen Kate lebt. Zwischen ihrer Herkunft, ihrer Geschichte und ihrer eigenen Identität, die täglich wächst.

Der Film "Der Hafenpastor" hat die Vergangenheit wieder hochgespült. Obwohl das alles auch aufregend gewesen sei. Wessen Lebensgeschichte wird schon verfilmt? Sie hat während der Dreharbeiten den Hamburger Schauspieler Jan Fedder getroffen, der kürzlich die Abschiebepraxis in Deutschland einordnete, auf seine Art: "Die Gesetze sind scheiße." Sie freue sich für das Mädchen, das die Rolle bekommen habe, sie in dem Film zu spielen. Martina Offeh, eine Studentin, 20, aus Mümmelmannsberg, stammt ebenfalls aus einer ghanaischen Familie und stand noch nie vor der Kamera. Sie spielt so authentisch, als ginge es um ihr eigenes Leben. Ein bisschen stimmt das ja auch.

Als Amayo zu Hause den Film auf DVD sah, musste sie weinen. Sie, die damals kaum Gefühle gezeigt hatte, als sie mit der enormen Angst leben musste. Es kann nur gesund sein, dass ihr Gemüt nicht mehr so verhärtet ist.

Natürlich wurde in dem Film "Der Hafenpastor" ziemlich viel dazugedichtet. Da geht es um das Mädchen Adoma, das seiner Abschiebung entkommt, weil es in der Hamburger St.-Pauli-Kirche unterschlüpft. Das ist in Kates Leben nicht passiert. Anders als im Film rutschte sie auch nie ins Rotlichtmilieu. Aber wie auch in der echten Geschichte geht es in dem Film um Gerechtigkeit. Der Pastor (Jan Fedder) hat genug mit sich zu tun, er raucht und trinkt zu viel. Aber seine Nächstenliebe ist schnörkellos. Ein unterhaltsamer Film, und doch politisch. Es geht darum, dass viele Menschen, wenn sie sich sicher fühlen, vergessen, dass auch ihnen mal geholfen wurde. Und vor allem, dass es immer Menschen sind, die über andere entscheiden.

Es ist kein bösartiger "Sesselpupser", der im Film die Abschiebung anordnet. Sondern eine Frau, die nach Gesetzen handelt und innerlich zerrissen ist. Der Film erklärt die Mitarbeiter der Ausländerbehörde nicht zu Dämonen. Aber, das ist wohl die wichtigste Botschaft des Films und der Geschichte dahinter: Gesetze sind kein Grund, nicht zu widersprechen, wenn man denkt, dass etwas falsch läuft. In Hamburg gab es Bürger, die nicht nur gegen Kates Abschiebung protestierten, sondern Hilfe anboten. Bis heute wird sie finanziell etwas unterstützt von einigen Hamburgern, die sich dafür nicht als Wohltäter der Öffentlichkeit präsentieren wollen. Hanseatisch. Ein ansonsten fürchterlich inflationäres Wort. Doch diese ehrenvollen Unterstützer verdienen es.

Die wichtigste Frage aber in dem Film, sagt Kate Amayo, sei: Wer hat das Recht zu entscheiden, wer bleiben darf und wer gehen muss? Sie könne nur sagen, dass sie immer Gott vertraut habe. Kate Amayo ist ein gläubiger Mensch, mit skeptischem Blick für die Welt. Erniedrigungen hat sie in deutschen Amtsstuben erlebt und findet, dass die Mitarbeiter menschlicher handeln könnten. Dass es in dem Film auch noch ausgerechnet eine Liebesgeschichte mit einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde gebe, na ja, das sei etwas übertrieben. Aber dann kichert die 22-Jährige. "Ich würde auch keinen Film schauen wollen, der nicht von Liebe handelt."

Familie, Liebe, all das wünscht sich Kate auch. Aber zuerst möchte sie Ärztin werden. In Deutschland. Bisher ist doch alles gut gegangen.