5500 Bewohner rund um das Heiligengeistfeld mussten ihre Wohnungen verlassen. Sprengmeister entschärft die Blindgänger in der Nacht.

St. Pauli. Um 2 Uhr ist das Heiligengeistfeld noch immer hell erleuchtet, ringsherum stehen Feuerwehr- und Polizeiautos. Peter Bodes, 56, kniet für die Fotografen neben zwei verrosteten Bomben. Er sieht aus wie ein Jäger, der stolz seine Trophäen zeigt - allerdings wie ein ziemlich müder.

Hinter dem Chef des Kampfmittelräumdienstes und seinen Männern liegen nervenaufreibende Stunden. So wie hinter 5500 Bewohnern auf St. Pauli, die nach dem Fund von zwei Fliegerbomben auf dem Heiligengeistfeld ihre Wohnungen verlassen mussten. Erst am frühen Mittwochmorgen war es Bodes und seinen Männern gelungen, die Sprengsätze aus dem Zweiten Weltkrieg zu entschärfen. Zuvor hatte die Feuerwehr selbst eine kontrollierte Sprengung nicht ausgeschlossen.

+++ 2900 Blindgänger schlummern noch im Hamburger Boden +++

Der Bombenkrimi beginnt am Dienstag um 16 Uhr. In der Mitte des unbebauten Geländes, dort, wo der Hamburger Dom stattfindet, stoßen Fachleute einer auf das Auffinden von Blindgängern spezialisierten Firma auf zwei Fliegerbomben. Und auf ein Problem: Eine amerikanische 250-Kilogramm-Bombe liegt in 1,50 Meter Tiefe auf einer britischen 500-Kilogramm-Bombe.Vor der Entschärfung müssen sie getrennt werden. Eine knifflige Aufgabe selbst für den Kampfmittelräumdienst, der deutschlandweit für seine erstklassige Arbeit bekannt ist.

Rund 20 größere Sprengbomben müssen die acht Kampfmittelräumer der Feuerwehr pro Jahr unschädlich machen, die meisten können entschärft, nur wenige müssen - wie zuletzt in München - kontrolliert gesprengt werden. Bei den 213 Luftangriffen, die Amerikaner und Briten zwischen 1940 und 1945 auf Hamburg flogen, prasselten 107 000 Sprengbomben auf die Stadt. Etwa 2900 sollen noch im Hamburger Boden liegen. 370 davon, so schätzt Bodes, verfügen über einen hochempfindlichen Säurezünder. Die Bomben mit den chemisch-mechanischen Langzeitzündern waren so konstruiert, dass sie erst Stunden nach einem Bombardement detonierten, um Personen zu töten, die die Schutzräume verlassen hatten, und um den Einsatz der Rettungskräfte zu erschweren.

Erst vor einer Woche wurde eine Bombe dieses Typs, 250 Kilogramm schwer, im Münchner Stadtteil Schwabing kontrolliert gesprengt. Ein gigantischer Feuerball erhob sich, Flammen griffen auf Häuser über, Fenster zerbarsten, Bombensplitter beschädigten Fassaden, ein Laden brannte aus. Die Bombe war zuvor mit Stroh bedeckt worden, um die Wucht der Detonation abzumildern. "Ich möchte es mal vorsichtig formulieren: Wir hätten das anders gemacht", sagt Bodes und meint: Er hätte sie - vermutlich - entschärft.

Die Bilder des Feuerballs von München beschäftigen am Dienstag viele Bewohner, die sich in Sorge um ihre Wohnungen und Geschäfte an die Feuerwehrleute und Polizisten wenden. In einem Umkreis von 500 Metern riegeln die Beamten das Gebiet ab, der Luftraum wird bis in einer Höhe von 1000 Metern gesperrt, die U-Bahn-Stationen Feldstraße, St. Pauli und Messehallen werden geschlossen. 5500 Menschen, von der Reeperbahn über den Millerntorplatz bis zum Holstenwall, müssen ihre Wohnungen verlassen. 350 kommen in zwei Schulen unter, die zu Notunterkünften umfunktioniert worden sind. Haus für Haus suchen die Beamten auf. Gegen 21 Uhr klopft es an der Wohnungstür von Celina de Cuveland. Die Studentin ist erst am Freitag nach Hamburg gezogen, in eine WG am Neuen Pferdemarkt. Vier Polizisten stehen vor der Tür - die 21-Jährige findet sie wenig souverän. "Die wirkten total aufgeregt, sagten: ,Hier kann gleich alles in die Luft gehen.' Wir sollten die Wohnung verlassen und zu einer Schule in der Nähe gehen", sagt sie. Da habe sie "kurz Panik" gekriegt.

Um kurz vor Mitternacht haben Bodes und seine Leute freie Bahn. Die Feuerwehr hat große Strahler installiert. Bodes, der den Job seit 25 Jahren macht, steht vor den Blindgängern. So etwas hat er zuvor noch nicht gesehen: zwei Sprengsätze, die übereinander liegen, die kleine Bombe mit dem deformierten Zünder auf der großen Bombe. Als "hochgefährlich" stuft Bodes die Situation ein. Angst hat er aber nicht, Angst lähmt den Verstand. Er entscheidet sich gegen eine Sprengung.

Bei der Entfernung der Bombe durch einen Bagger hofft der 56-Jährige nur, dass sich "das Zündmittel nicht bewegt". Vorsichtig ziehen seine Leute die kleine Bombe von der großen weg. Alles geht gut. "Wir haben Glück gehabt", sagt Bodes. Wäre die kleine Bombe detoniert, "dann wäre die Große aus Sympathie gleich mit hochgegangen." Die gute Nachricht: Beide Blindgänger haben einen Aufschlag- und keinen Säurezünder. Erst ist die 250-Kilogramm-Bombe an der Reihe. Mit einem Druck von 2400 bar schießt Wasser aus dem neuen Hochdruckwasserschneidegerät und presst binnen fünf Minuten den Zünder aus der Bombe heraus. Die große Bombe entschärft Bodes per Hand. Beide Sprengsätze werden bald zerlegt und verfeuert.

Der nächste Einsatz kommt bestimmt: 150 Jahre braucht es, um alle Blindgänger unschädlich zu machen - genug Arbeit für Bodes und seine Männer. Und kommende Generationen.