Das unbekannte Geräusch in Harburg ist bereits mit Messungen bestätigt worden. Helfen kann der Familie Schneider jedoch niemand.

Neugraben. Die Kraft aus dem Urlaub ist nach vier Wochen wieder aufgebraucht. Astrid Schneider "geht wieder am Stock", wie sie meint. Denn das Geräusch, das ihr seit über vier Jahren den Schlaf und den Nerv raubt, ist und bleibt in ihrem Ohr. Vor allem nachts (das Abendblatt berichtete).

Doch mit Hilfe von der Stadt kann das Ehepaar nicht rechnen. "Wir als Behörde haben trotz des Tons keine Handlungsgrundlage, weil auch die tieffrequenten Geräusche keine erhebliche Belästigung darstellen. Der Wert einer Gesundheitsbeeinträchtigung liegt bei 70 Dezibel tagsüber und 60 Dezibel nachts", sagt die Sprecherin des Harburger Bezirksamts, Petra Schulz. "Nur das Überschreiten dieser Grenze würde uns berechtigen, der Sache weiter nachzugehen. Wir haben keine Handhabe", fügt sie bedauernd hinzu.

+++ Das mysteriöse Brummen von Neugraben +++

Seit 2009, als die Schneiders, die an der Bergheide wohnen, sich erstmals bei der Behörde gemeldet hatten, ist die Lärmbeschwerde bekannt. In jenem Jahr sowie 2011 führte das Bezirksamt insgesamt 28 Messungen durch, teilweise mit Unterstützung der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Bei keiner dieser Messungen lagen die Werte über der Norm. Das ist auch in einem Gutachten festgehalten worden. Immerhin haben die Schneiders eine amtliche Bestätigung, dass ihre akustische Wahrnehmung real ist. "Unsere Mitarbeiter haben den Ton ebenfalls gehört", sagt Petra Schulz.

Vielleicht hilft es, dass die Schneiders inzwischen auch wissen, dass sie nicht alleine sind. Denn nach der Veröffentlichung des Artikels meldeten sich viele Abendblatt-Leser, die unter einem ähnlichen Phänomen leiden. Einer von ihnen ist der Hamburger Saxofonist Markus Friedrichsen von der Musikveranstaltungsagentur Elbklang, der in ein paar Hundert Metern Luftlinie Entfernung von den Schneiders am Falkenbergsweg wohnt. Auch er hörte seit einiger Zeit einen Ton, den er sich nicht erklären konnte - und wurde durch den Artikel aufmerksam. "Aber ich wollte sichergehen, dass es sich nicht um ein Problem mit meinen Ohren handelt", sagt der 41-Jährige, der sich vorsichtshalber einen Termin beim HNO-Arzt geben ließ. Die Diagnose: Der Ton, der allerdings nicht konstant vorhanden ist, wird nicht durch ein medizinisches Problem verursacht.

Nein, die Schneiders sind nicht allein - und die Geräuschbelästigung durch diese nur sehr schwer zu messenden und zu ortenden tieffrequenten Töne beschränkt sich auch nicht auf Neugraben: Dagmar Krappe aus Schenefeld hörte einen solchen Ton erstmals am 6. Februar 2009 in ihrer Neubauwohnung. Und auch der hörte nicht auf: "Es ist nicht die Lautstärke des Tons, sondern das Vibrieren, das man in den Ohren und je nach Intensität im ganzen Körper spürt. Man schläft unruhig und wacht morgens völlig gerädert auf", sagt die Journalistin. Auch mehrere Nachbarn fühlen sich durch den Ton belästigt. Im Erdgeschoss des Hauses ist er weniger intensiv als in der zweiten Etage. Hörbar ist das Geräusch nur in den Innenräumen, nicht vor dem Gebäude. "Man hat uns ernst genommen, aber letztendlich doch nicht ausreichend gehandelt", sagt sie. 2010 wurde eine Lärmmessung im Autal vom Kieler Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) durchgeführt. Auch das benachbarte E.on-Heizkraftwerk wurde in die Untersuchung einbezogen, denn besonders intensiv tritt der Ton im Winter und bei nördlichen Windrichtungen auf. Im Januar/ Februar 2011 erfolgte eine zweiwöchige Langzeitmessung durch eine private Messfirma, initiiert durch den Bauträger der Wohnanlage und die Stadt Schenefeld. "Dabei wurde der tieffrequente Ton einwandfrei bestätigt", sagt Dagmar Krappe, "es ist laut Gutachten davon auszugehen, dass tieffrequente Geräusche nach DIN 45 680 vorliegen, die eine erhebliche Belästigung darstellen können." Im Klartext: Es lagen diverse Einzeltöne oberhalb des Toleranzwertes, aber sie waren - laut Aussage des zuständigen Landesamts für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Itzehoe - nicht dauerhaft überschritten und gelten somit nicht als gesundheitsgefährdend.

Dagmar Krappe und ihre Nachbarn hoffen seitdem auf möglichst häufigen Südwestwind, denn dann sei der Ton kaum zu hören. Dieses lästige Brummen sei schon lange unter der Bezeichnung "Teddybrumm" bekannt, sagte der Diplom-Physiker Berthold W. Seemann aus Hanstedt in der Nordheide.

"Es wird hervorgerufen durch ELF-Wellen die sich im Erdreich auch über große Distanzen ausbreiten können und im Frequenzbereich um 70 Hz liegen. Sie treten neben der typischen Erdresonanz auf, die bei 7,85 Hz liegt." Für das menschliche Ohr sei dies nicht hörbar. "Teddywellen werden dagegen mit dem menschlichen Ohr und dem Körper wahrgenommen. Bei dauernder und heftiger Einwirkung können sie nicht nur störend, sondern auch gesundheitsschädlich sein und etwa CFIDS (das chronische Müdigkeits- und Immunschwächesyndrom) hervorrufen", schreibt Seemann.

Fachleute vermuten, dass solche Brummfrequenzen aus dem Erdreich von schwingenden Betonkonstruktionen herrühren. Manchmal aber ist es auch "nur" eine defekte Abwasserpumpe, die den Betroffenen das Leben zur Hölle machen kann. Ute Rombkoswky aus Quickborn erinnert sich, wie sie in alle Schränke gekrochen ist, um die Lärmquelle zu finden. Doch sie und ihr Mann Jürgen, ausgerechnet ein Hamburger Hörgeräteakustiker, hatten Glück im Unglück: "Dieses tieffrequente, je nach Tageszeit in der Intensität schwankende Brummen, hat sämtliche Räume unserer Doppelhaushälfte erfüllt. Unsere direkten Nachbarn hörten jedoch nichts. Als Ursache stellte sich nach langem Suchen letztendlich eine Abwasserpumpe in einem 100 Meter entfernten Siel heraus, deren Automatikschalter kaputt war. Sie lief also ständig. Das Geräusch wurde über das Abwassernetz übertragen und schwankte je nach Füllstand der Rohre." Da bei den Rombkowskys Abwasserrohr hinter der Küchenzeile frei auf dem Boden verlegt war, konnte sich der Ton zu einer Schwingung aufbauen. Bei den Nachbarn dagegen war das Abwasserrohr fest in der Wand verlegt.

Die radikalste Lösung für Betroffene ist und bleibt der Umzug. "Doch bevor man sich zu diesem Schritt entscheidet, sollte man unbedingt untersuchen lassen, ob es sich um einen Körperschall oder einen akustischen Schall handelt", sagt Berthold W. Seemann. "Beim Körperschall, der ja vor allem nachts wahrgenommen wird, kann es häufig schon hilfreich sein, die Bettpfosten auf Gummipuffer zu stellen."