Aber ob die Legalisierung so schnell gelingt, wie die Kanzlerin wünscht, ist fraglich

Das ist deutsche Gründlichkeit: In Paragrafen und Verordnungen ist etwa festgehalten, wie hoch ein Jägerzaun vor dem Haus zu sein hat, wie die Neigung des Daches beschaffen sein soll und auch die Farbe der Ziegel darauf. Manchmal sogar, wie oft die Straße gefegt werden muss.

Und jetzt dies: Die Beschneidung, das religiös begründete Entfernen der Vorhaut bei männlichen Kleinkindern und Knaben, gilt seit einem Urteil des Kölner Landgerichts als Körperverletzung. Dabei handelt es sich um eine jahrtausendealte Praxis - und ist bei Juden und Muslimen so selbstverständlich wie bei Christen die Taufe mit geweihtem Wasser.

Kanzlerin Angela Merkel dachte nach Bekanntwerden des Richterspruchs aus dem "hilligen" Köln, wie Millionen Deutsche auch, eher an eine Posse verwirrter Juristen und wähnte Deutschland schon auf dem Weg zur "Komiker-Nation". Frau Merkel hat sich geirrt und war überrascht von der Heftigkeit der Debatte. Um sie zu begrenzen, hat sie sich zu entschiedenem Handeln entschlossen: Noch in diesem Jahr soll ein Gesetz verabschiedet werden, dass die Beschneidung juristisch einwandfrei regelt.

Das war gut gemeint von der Kanzlerin, aber ob die Legalisierung religiös begründeter Körperverletzung so zügig gelingt, dürfte nach den jüngsten Erfahrungen mit schludrig formulierten Gesetzen der Berliner Politik vor dem Bundesverfassungsgericht bezweifelt werden.

"Eure Vorhaut sollt ihr beschneiden. Das soll ein Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch", heißt es im Alten Testament im Buch Mose. Gott selber soll es danach Abraham so vorgeschrieben haben. Für Juden ist damit die Beschneidung nicht nur eine religiöse Tradition, die man im Lichte neuerer Erkenntnisse modernisieren könnte, sondern ein essenzieller Bestandteil ihres Glaubens und ihrer Identität, ebenso für Muslime.

Dies auszuhebeln kann nicht der tiefere Sinn des Kölner Urteils sein - wenn nicht doch dahintersteckt die Vereinigung von deutscher Gründlichkeit, deutschem Gutmenschentum, gepaart mit einem Schuss eines tiefen antireligiösen Zeitgeistes.

Aber vielleicht ist, wie so oft in letzter Zeit, wieder Verlass auf unsere Verfassungsrichter in Karlsruhe. Denn es geht nicht nur um das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, sondern auch um Religionsfreiheit und Elternrecht - auch Rechte von hohem Rang. Hans-Jürgen Papier, immerhin ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, stuft Elternrecht und Religionsfreiheit deutlich höher ein, wenn die Beschneidungen nicht in einem schmuddeligen Hinterhofzimmer (was keiner will), sondern nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen. Dann sei der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit geringfügig und sollte nicht kriminalisiert werden.

Gleichwohl schlägt er ein Gesetz vor, dass die Beschneidung unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert, um Rechtssicherheit für Eltern und Ärzte zu schaffen. Vielleicht hat er dabei an die Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch gedacht. Der war und ist zwar grundsätzlich verboten, unter bestimmten Indikationen, das heißt Voraussetzungen, aber völlig legal.

Einen wunderbaren Nebeneffekt hat, wenn überhaupt, die bisweilen bizarre Debatte. Viele Leute wussten bislang wenig oder nichts über rituelle, also religiös fundierte Beschneidungen. Und schon gar nicht, dass zum Beispiel in weiten Teilen der Vereinigten Staaten bis zu 80 Prozent der Männer beschnitten sind: Juden, Muslime, aber auch Christen und Atheisten.