Gericht erlaubt erstes Treffen, seit Jugendamt Jungen vor acht Wochen abholte. Fünfjähriger bleibt aber im Heim, bis ein Gutachten vorliegt.

Hamburg. Das Hamburger Pflegekind Dennis, dessen Schicksa l so viele Menschen berührt, bleibt auf unabsehbare Zeit in einem Kinderheim. Die Entscheidung, ob er zu seinen Pflegeeltern zurück darf oder zu seinem leiblichen Vater kommt, haben die Behörden von einem Gutachten abhängig gemacht. Wann das vorliegen wird, ist unklar - wohl frühestens im August.

Dennis' Pflegeeltern, die ihn im Alter von vier Monaten aufgenommen hatten, durften ihn nicht mehr sehen, seit der Fünfjährige vor acht Wochen von Mitarbeitern des Jugendamts in Winsen abgeholt worden war. Anna und Peter Schneider (Namen geändert) haben mittlerweile vor Gericht das Recht auf einen Besuch durchgesetzt: In dieser Woche dürfen sie in das Kinderheim fahren und ihn endlich sehen.

Viele Abendblatt-Leser waren nach dem Abendblatt-Dossier über das Justizdrama empört und fassungslos über den Umgang von Jugendamt und Amtsgericht in Winsen mit den Pflegeeltern. Sie wollen wissen, wie es Dennis heute geht. Und ob es für den kleinen Jungen die Chance gibt, zu seinen Pflegeeltern zurückzukehren. Dorthin, wo er fünfeinhalb Jahre lang glücklich gelebt hat.

+++ Dossier zum Fall Dennis +++

"Dennis lebt in einer Jugendhilfe-Einrichtung, in der er sehr gut betreut wird und sich wohlfühlt", sagt Georg Krümpelmann, Sprecher des Landkreises Harburg. Gibt es für Dennis noch eine Rückkehroption zu den Pflegeeltern? "Das ist abhängig vom Ergebnis des Gutachtens, das das Familiengericht in Auftrag gegeben hat", sagt Krümpelmann. Ist auch eine Rückkehr zum leiblichen Vater nach Hamburg möglich? Auch das sei vom Gutachten abhängig, das gerade von einer Sachverständigen erstellt werde.

Nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen um die Besuchskontakte mit dem Vater waren die Schneiders im Mai mit ihren Kräften am Ende und baten das Jugendamt, das bereits im Sommer 2011 einen Herausnahmeantrag gestellt hatte, Dennis abzuholen. Sie wollten ihm weitere seelische Qualen ersparen. Ein "Akt der Verzweiflung", den sie nun bereuen.

Sie waren auch finanziell am Ende, weil sie unbegleitete Besuchskontakte mit dem Vater und der Großmutter in Hamburg mit Rücksicht auf die Gesundheit von Dennis verweigerten. Diese hatte der Richter angeordnet - und die Pflegeeltern bei einem Verstoß gegen seine Anordnung regelmäßig mit Geldstrafen belegt. In einem offenen Brief hat der Verein Pflegeelterninitiative (Pfeil) im Landkreis Harburg jetzt das "unmenschliche Verhalten" von Kommunalpolitik und Jugendamt kritisiert. "Mit Erschütterung und Entsetzen verfolgen wir das Vorgehen des Jugendamts Winsen und des Vormunds im Fall des Pflegekindes Dennis, der seit Wochen nun getrennt von seinen Pflegeeltern im Heim lebt. In einer beispiellosen Schuldumkehrung werden die Pflegeeltern, die sich fünfeinhalb Jahre liebevoll und mit Hingabe um das Kind gekümmert haben, jetzt ins Abseits gestellt", heißt es in dem Schreiben. "Die Pflegeeltern sind seit Gründung unseres Vereins Mitglied bei Pfeil Harburg und vielen von uns persönlich bekannt. Wir stellen uns voll hinter die Pflegeeltern, die sich im Falle Ihres Pflegekindes vorbildlich und schützend vor das Kind gestellt haben, nach dem dieses keinen Schutz durch Vormund und Jugendamt mehr bekam."

In den "Fall Dennis" hatten sich bereits die niedersächsischen CDU-Minister Aygül Özkan (Soziales) und Bernd Busemann (Justiz) sowie Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion und Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), eingeschaltet. Sie forderten die Beteiligten auf, persönliche Anliegen zurück- und das Wohl des Kindes in den Vordergrund zu stellen. Und so schnell wie möglich eine einvernehmliche Lösung zu erzielen.

Alle sollten sich an einen Tisch setzen. Passiert ist bisher nichts. Was hält das Jugendamt von diesen Vorschlägen? Und von der Bitte von Minister Busemann, auszuloten, ob zwischen Kind und Pflegeeltern nicht doch eine unverändert tragfähige Beziehung bestehe? Sollte dies so sein, hatte Busemann gesagt, dürfe dieser wichtige Kontakt nicht abbrechen. "Die Entscheidung darüber", sagt Landkreissprecher Krümpelmann, "ist - wie bisher - am Wohl des Kindes orientiert, insofern abhängig vom Ergebnis des Gutachtens."

Dass der Kontakt zumindest nicht abbricht, hat jetzt das Amtsgericht in Tostedt entschieden. "Es gibt einen gerichtlichen Beschluss", bestätigt Krümpelmann. Das Amtsgericht hat einen "begleiteten Umgang" der Pflegeeltern mit Dennis, also im Beisein von Mitarbeitern des Jugendamts, für diese Woche festgelegt. Dann wird es ein erstes Treffen nach der Trennung geben.

Doch die Frage bleibt, welche Lösung am Ende gefunden wird. Professor Ludwig Salgo, Berater der Bundesregierung und Experte im Bundestag, verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Hürden für eine Rückführung der Kinder in die Herkunftsfamilie und die damit verbundene Trennung von den Pflegeeltern erheblich aufgestockt habe: "Die Risiko-grenze bei einer ins Auge gefassten Rückführung ist überschritten, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern psychische oder physische Schädigungen nach sich ziehen kann, denn ein solches Risiko ist für das Kind nicht hinnehmbar." Ein Plädoyer für Dennis' Rückkehr zu den Schneiders.

Salgo sagt, eine Herausnahme und Verpflanzung bei einem eigentlich in einem Pflegeverhältnis fest verwurzelten Pflegekind käme überhaupt nur in Betracht, wenn "massive Gefährdungen an diesem Ort vorliegen, die auch mit Hilfen nicht veränderbar wären". Ein "Nichtfunktionieren des Umgangs" mit dem leiblichen Vater, so der Rechtsprofessor, wäre kein Grund, um all die mit einer Verpflanzung eines fest im Pflegeverhältnis verwurzelten Kindes bestehenden und nicht unwahrscheinlichen Risiken einzugehen. "Unter solchen Umständen verbieten sich eigentlich solche Versuche aus rechtlicher und ethischer Sicht", sagt Salgo. Kurzum: Dennis hätte den Pflegeeltern niemals weggenommen werden dürfen.

"Die Herausgabe des Kindes aus der Familie, die keineswegs freiwillig, sondern Ergebnis eines Herausnahmeantrags des Vormundes war, ist für sich schon traumatisch für das Kind", sagt Götz Gerke. Der Vorsitzende von Pfeil sagt auch, dass in der Außendarstellung der Eindruck erweckt werde, es handle sich hier um einen besonderen Einzelfall besonders schwieriger Pflegeeltern. "Dieser Darstellung widersprechen wir in aller Deutlichkeit. Es handelt sich hier keineswegs um einen besonderen Einzelfall. Viele der im Verein organisierten Pflegeeltern haben selbst ähnliche Erfahrungen mit Entscheidungen des Jugendamts gemacht, die ausdrücklich nicht am Kindeswohl orientiert waren." Es seien solche Entscheidungen sowie die jahrelange Vernachlässigung des Pflegekinderwesens im Landkreis Harburg und die dauerhafte Mangelversorgung mit qualifiziertem Personal, die zur Gründung von Pfeil Harburg geführt hätten. "Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass jeder von uns leicht in eine ähnliche Situation geraten kann", sagt Gerke.

Der Pfeil-Vorsitzende ruft alle Beteiligten auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und sich wirklich für das Wohl des Kindes einzusetzen. "Zu allererst gehört dazu ein Kontakt des Kindes zu seinen Pflegeeltern", sagt Gerke. Ob Dennis wieder in seine Pflegefamilie zurückkehren kann, hängt nun von dem Sachverständigen-Gutachten ab, das frühestens im kommenden Monat erwartet wird. Der Sprecher des Landkreises Harburg schließt jedenfalls aus, dass vorher eine Entscheidung getroffen wird. Georg Krümpelmann: "Im Sinne des Wohles des Kindes ist das Gutachten abzuwarten."